So half sich der Berlin-Marathon mit einem Engagement von ntv. Auch sie Anfänger in Sachen Leichtathletik. Immerhin hat der Nachrichtensender mit Martin Grüning einen erfahrenen Co-Kommentator verpflichtet. Aber warten wir mal ab, ob ntv den Lauf nicht doch ähnlich verhackstückt wie die I-Dötzchen.
Simferopol statt Zürich – Von Manfred Steffny in SPIRIDON
Wollt ihr meine Wutrede hören? Die Fernsehübertragung von „sport1“, wie sich das alte DSF jetzt nennt, von „Weltklasse in Zürich“, dem ersten Finale der Diamond League, war nicht nur eine Zumutung, sie war eine Frechheit. Sagte man: aus der Fiesta von Barcelona wurden Tapas, so wären erst mal die Europameisterschaften mit ihrem traditionellen Vollprogramm beleidigt, auch aber das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das viele Stunden lang von dort übertrug.
Der Privatsender „sport 1“ vierteilte die Leichtathletik wie einen mittelalterlichen Delinquenten, drehte sie durch den Wolf und warf sie anschließend auf den Scheiterhaufen.
Um 20 Uhr sollte die Sendung aus Zürich beginnen. Schließlich hatte sich „sport1“ 14 Diamonds-League-Sendungen vom Internationalen Leichtathletik-Verband eingekauft. Doch die „Sport-I-Dötzchen“ – ich nenne sie jetzt so in Anlehnung an die Schulerstklässler, die wir früher i-Dötzchen nannten – ließen sich Zeit. Was sah man? Ein Fußballspiel Leverkusen gegen Simferopol. Während eines spannenden 3.000-m-Hindernislauf zeigten die Sport-I-Dötzchen das Gehampel um einen Elfmeter, den schließlich der Heimkehrer Ballack ins Tor schoss. Von jenem Hindernislauf, den Ezekiel Kemboi in 8:01 min vor seinem Landsmann Paul Koech erst an der letzten Hürde sicherstellte, sah man im späteren Zusammenschnitt nichts, auch nichts von den ins Vorprogramm abgeschobenen 100-m-Läufen der Männer.
Und auch nicht die Ehrenrunde des neuen Marathon-Europameisters Viktor Röthlin, der in der Schweiz inzwischen so saktrosankt geworden ist wie der Kugelstoßer Günthör, über dessen Weiten man noch heute staunt oder sich wundert, je nachdem, ob man an ein Zentimetermaß oder an eine Spritze denkt.
Um 20.30 Uhr fing es dann bei Sport-I-Dötzchen mit Zürich an. Zu diesem Zeitpunkt saß ich weder auf der Tribüne im Letzigrund-Stadion wie im Jahr zuvor noch schwoll mir die Zornesader bei der „skins“-Werbung – mehr hatten die Sport-I-Dötzchen auch kaum zu bieten bei ihren ständigen Unterbrechungen mit überwiegend überflüssiger Eigenwerbung.
Ich saß vor meinem Laptop und sah die LiveÜbertragung von www.fromsport.com, hatte ich mich doch vorher in einer amerikanischen Internet-Community schlau gemacht, wo und wie man „Weltklasse in Zürich“ frei empfangen konnte. Der Tipp des Tages war – neben dem kostenpflichtigen und nur selten offen zugänglichen Universal – dieser russische Sportsender. Hier konnte man live und ohne Werbung das gesamte Sportfest verfolgen. Und mit Seitenblick auf den Bildschirm Sport-I-Dötzchen kontrollieren. Das sah dann so aus: die Werbung dauerte mal wieder zu lange oder der lieblose Zusammenschnitt des Regisseurs von einem Pack Sprüngen oder Würfen war gerade auf dem Sender, da liefen schon die 400 m der Männer oder die 1.500 m der Frauen.
Da konnte einem der Moderator schon leid tun. Der muss ja auf die Glotze vor sich gucken und das kommentieren, was im Sender abläuft und nicht, was er im Stadion sieht. Da kann man schon durcheinander kommen, wenn der 400-m-Lauf in Echtzeit schon bei 100 m ist und die leicht versetzte Aufzeichnung erst gestartet ist.
Aber es geht um mehr, die ganze Atmosphäre des Ereignisses ist weg, zerschnitten in Event-Häppchen und dazwischen dröhnt ein penetranter Werbespot als Wuchtbrumme, gegen den die Vuvuzelas bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika ein leichtes Säuseln waren. So verjagt man die Zuschauer, schießt schlechte Einschaltquoten als Eigentor. I-Dötzchen eben. An der Entwicklung ist teilweise das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland schuld, das nicht mitpokerte bei den Veranstaltungen der IAAF und dem Spartensender z.B. die Diamonds League überließ.
Zu teuer, hieß es, aber müssen z.B. bei der EM in Barcelona zwei Fernsehanstalten, die sich täglich abwechseln, mit über 200-köpfigen Personal an treten, dreimal mehr als das deutsche Team? Geht’s nicht eine Nummer kleiner?
Dass die Leichtathletik und auch der Marathon von ARD und ZDF allmählich abgenabelt werden, ist ein Faktum. So half sich der Berlin-Marathon mit einem Engagement von ntv. Auch sie Anfänger in Sachen Leichtathletik. Immerhin hat der Nachrichtensender mit Martin Grüning einen erfahrenen Co-Kommentator verpflichtet. Aber warten wir mal ab, ob ntv den Lauf nicht doch ähnlich verhackstückt wie die I-Dötzchen.
Früher war alles besser. Widerspruch? Vor 50 Jahren, am 15. August 1960, begann ich meine berufliche Laufbahn als Redaktionsvolontär bei der nicht mehr existierenden Zeitung „Rhein-Post“ in Lahnstein. Ein oder zwei Tage später traten in Hamburg die unvergleichlichen Beatles erstmals als Gruppe auf. Am 21. Juni war Armin Hary in Zürich erstmals offiziell bestätigten Weltrekord mit 10,0 sec gelaufen. Die ersten Olympischen Fernsehspiele in Rom standen bevor mit der Leichtathletik ab dem 31. August. Ich verstärkte die Sportredaktion der „Rhein Post“ und sah jeden Vorlauf im 1. Programm, das damals das einzige war.
Armin Hary wurde Olympiasieger über 100 m und der Barfußläufer Abebe Bikila aus Äthiopien im Marathonlauf, ein Ereignis, das mich geprägt hat. Klar, alles war schwarz-weiß im Fernsehen, ohne Zeitlupe, Wiederholung und mitfahrende Kamera, aber authentisch. Und das ist heute das auf Fernsehhäppchen zugeschnittene Konzept der „Diamonds League“ mit auf dem Globus verteilten 14 Events in 32 Disziplinen – ohne die 100 m der Männer, wie in Zürich bitter beklagt wurde – schon vom Ansatz her nicht.
Es lohnt sich gar nicht mehr als Zuschauer oder Journalist hinzufahren, weil immer viele Wettbewerbe fehlen, in Brüssel beim zweiten Finale gab es die andere Hälfte. Die Punktewertung ist nicht eingängig, manchmal steht der Sieger schon vor dem Finale fest. Zum Teil manipuliert, wenn der zweitbeste Stabhochspringer Malte Mohr, erst gar nicht nach London eingeladen wird.
Und die $40.000 cash für den Einzelsieg kann man auch nicht mit den $1,35 Millionen vergleichen, die der Mettmanner Martin Kaymer gerade beim Golf in den USA gewonnen hat. Zunächst sollte es ein Diamant im Wert von $80.000 sein. 2011 heißt die Serie wohl Samsung-League, denn die Japaner sind mitten in der Saison eingestiegen und haben die inzwischen klamme IAAF, in deren Etat für 2010 ein Minus von $9 Mio durch Rücklagen aufgefangen werden muss, erst einmal über die Runden gebracht.
Zürich hätte die Diamonds League gar nicht nötig, jahrelang fuhr man als Mini-WM wesentlich besser. Ein Argument hinter vorgehaltener Hand lautet, die Leichtathletik sei heutzutage wegen ihrer Afrikanisierung weniger interessant geworden. Und so werden weiße Sprintsieger wie die Sprinter Lemaitre und Sailer gefeiert.
Dass die nicht so aussehen wie die schwarzen Sprinter, hat aber nichts mit der Hautfarbe zu tun, sondern mit der genetischen Voraussetzung, dass Westafrikaner eine stärkere Oberschenkelmuskulatur haben als Kaukasier, wie die korrekte Bezeichnung für die europäisch-stämmige Bevölkerung heisst.
Noch eine Erinnerung in meinen (bisher) 50 Berufsjahren: Vor 15 Jahren, am 2. August 1995, erschien ein großer dpa-Artikel mit der Überschrift „Zuviel Laufen schadet dem Gedächtnis“. Scheint wohl nicht zu stimmen.
Manfred Steffny in SPIRIDON September 9/2010