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23
11
2008

Umgekehrt heißt das, wenn man die Entzündung im Gefäß bekämpft, tut man auch etwas gegen die Arteriosklerose, gegen Herzattacken und Hirninfarkte. Und eben das belegt nun eine neue und viel diskutierte amerikanische Studie.

Schwelbrand im Gefäß – Dr. Hartmut WEWETZER vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Cholesterinsenker auch für Gesunde

By GRR 0

Eigentlich sind die Ursachen für Gefäßkrankheiten ziemlich gut bekannt. Zu hohes Cholesterin, hoher Blutdruck, Rauchen, die Zuckerkrankheit Diabetes – all diese Faktoren erhöhen die Gefahr deutlich, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Aber das ist möglicherweise nur die halbe Wahrheit. Und das buchstäblich, denn jeder zweite Patient mit Herzattacke oder Schlaganfall hat ganz normale Cholesterinwerte.

Wissenschaftler vermuten, dass bei der Arteriosklerose, der Gefäßverkalkung, auch noch eine versteckte Entzündung mit im Spiel ist. Das heißt: der Körper verschlimmert das Problem, indem er eine Art falschen Alarm in den Gefäßwänden auslöst und das Immunsystem in Alarmstimmung versetzt.

Umgekehrt heißt das, wenn man die Entzündung im Gefäß bekämpft, tut man auch etwas gegen die Arteriosklerose, gegen Herzattacken und Hirninfarkte. Und eben das belegt nun eine neue und viel diskutierte amerikanische Studie.

An der Untersuchung unter Leitung von Paul Ridker von der Harvard Medical School in Boston nahmen 18 000 Menschen teil, Männer über 50 und Frauen über 60. Sie waren gesund und hatten normale Cholesterinwerte. Lediglich ein Eiweiß mit Namen hochsensitives CRP war im Blut dieser Personen erhöht. CRP steht für C-reaktives Protein. Es deutet auf eine Entzündung im Körper hin, einen versteckten „Schwelbrand“ im Organismus.

Die Harvard-Mediziner verschrieben der Hälfte der Studienteilnehmer ein blutfettsenkendes Medikament aus der Gruppe der Statine. Von diesen Präparaten weiß man, dass sie nicht nur Cholesterin im Blut senken, sondern auch das CRP verringern. Die andere Hälfte bekam ein Scheinmedikament, ein Placebo.

Das Ergebnis war eindeutig. Der Cholesterinsenker halbierte das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und die Gefahr, an einem Herz-Kreislauf-Leiden zu sterben. Es sank von 1,8 Prozent auf 0,9 Prozent. Der positive Effekt beeindruckte ein unabhängiges Überwachungskomitee so sehr, dass die auf fünf Jahre angelegte Studie schon nach zwei Jahren vorzeitig abgebrochen wurde.

Heißt das nun, dass zukünftig auch Menschen mit ganz normalen Cholesterinwerten lebenslänglich Statine schlucken sollten, wenn ihr CRP erhöht ist? Ganz so einfach ist es nicht. Denn jedes Medikament hat Risiken, und die müssen genau gegen den Nutzen abgewogen werden. Und das umso mehr, wenn der „Patient“ eigentlich gar keiner ist, sondern nur ein Mensch, der abgesehen von einem erhöhten Laborwert meist weitgehend gesund ist.

Auf der anderen Seite ist es nun leichter, sich im Zweifelsfall für das Medikament zu entscheiden, sagt Martin Möckel, Herzspezialist an der Uniklinik Charité. Für Möckel ist klar, dass eine Entzündung in der Gefäßwand die Arteriosklerose stark beschleunigt. Dabei ist die Entzündung nicht einfach nur die Polizei, die stets an den Tatort kommt, wenn sie alarmiert wird. Sie ist vermutlich auch der Täter. Zeit, den Übeltäter dingfest zu machen.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel. 

Der Tagesspiegel vom Sonntag, dem 16.November 2008

author: GRR

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