Früher seien deutsche Läufer bereits 2:09 und 2:10 Stunden gelaufen. „Dort müssen wir wieder hinkommen!"
„Ruck durch die Marathonszene“ – Bundestrainer Ronald Weigel sieht den deutschen Marathonlauf auf einem guten Weg – und rechnet mit fünf Olympiastarterin in London – Wilfried Raatz berichtet
Seit Herbst 2010 ist der Geher-Bundestrainer Ronald Weigel auch für den Marathonlauf verantwortlich. Bei den deutschen Halbmarathonmeisterschaften in Griesheim war der frühere Weltklassegeher am Samstag einer der ersten Trainer auf dem Sportgelände des Turn- und Sportvereins, am Sonntag aber auch einer der letzten Trainer, die das Gelände an der Jahnstraße nach Abschluss der Wettkämpfe verließen.
Präsenz und Engagement jedenfalls sind dem 52jährigen gewiss nicht abzusprechen. Und er sieht nach einem halben Jahr unzähliger Gespräche mit Athleten, Trainern und der Leitungsebene beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) Licht im Tunnel.
„Es geht ein Ruck durch die Marathonszene!" stellt Weigel am Rande der Meisterschaften fest. Und macht diesen in erster Linie an seinem Schützling André Pollmächer fest, den er nach dessen Rücktritt im Weltmeisterschaftsjahr 2009 schon nach einem Jahr Auszeit als alten und neuen Hoffnungsträger der deutschen Langstreckenläufer zurückholen konnte. „Ich habe einige Gespräche mit André geführt, bis ich ihn überzeugen konnte, dass er noch längst nicht sein Potential ausgeschöpft hat".
Und der Chemnitzer hat in Griesheim praktisch wieder dort angeknüpft, wo er leistungsmäßig Ende 2009 stand, als er dem Leistungssport zugunsten eines Trainerjobs ade sagte. 1:04:16 Stunden liest sich nach dem Meisterschaftsrennen die neue Bestzeit des inzwischen für den Verein Rhein-Marathon Düsseldorf startenden Pollmächer. „Das hat wirklich Spaß gemacht. Vor allem konnte ich im Rennen einmal ausreizen, was derzeit möglich ist", analysierte der Weigel-Schützling seine Leistung. „Die letzten beiden Kilometer waren vielleicht 5:40 Minuten!" Eine Leistung, die wie er es im Fachjargon formulierte, „nicht auf dem Zahnfleisch" ablieferte.
Ronald Weigel möchte ihn wettkampfhart auf Unterdistanzen machen, bevor es an die eigentliche Vorbereitung auf einen Herbstmarathon geht, an dessen Ende die Olympianorm im Bereich von 2:12 Stunden stehen sollte. So wird Pollmächer als Tempomacher Anfang Mai beim Metro Group Marathon in Düsseldorf für die Spitzengruppe eingesetzt. Praktisch in einem Schnupperkurs für den Ernstfall. Er trifft dabei auf den früheren 10.000 m-Europameister Jan Fitschen, einen weiteren Hoffnungsträger der Marathonszene. „Wir haben keine Geheimnisse voreinander. André und Jan beispielsweise veröffentlichen ihre Trainingsleistungen im Internet. Vor allem, es wird nicht nur wieder gemeinsam trainiert, sondern auch über das Training diskutiert".
Nach einem halben Jahr Herantasten an die Marathonszene sieht er viele positive Zeichen, die auch Disziplin übergreifend mit den Gehern angegangen werden können. So hatte er André Pollmächer und Sabrina Mockenhaupt ins südafrikanische Trainingslager der Geher bereits einbinden können. „Vieles passt einfach zusammen. Jahresaufbau, Trainingsprinzipien, Grundlagenausdauer….!"
Der Bundestrainer möchte weitere Athleten motivieren, die Signale seien ermutigend. „Ich denke, wir haben gute Leute, die auch im Weltmaßstab mithalten können. Es ist kein genetisches Problem, weshalb unsere Läufer derzeit so weit zurückhängen, sondern es ist vor allem eine Kopfsache. Vielen fehlt einfach die Risikobereitschaft!" Früher seien deutsche Läufer bereits 2:09 und 2:10 Stunden gelaufen. „Dort müssen wir wieder hinkommen!"
Den Schlüssel zum Erfolg sieht Ronald Weigel in verstärkter gemeinsamer Trainingsarbeit. „Wir müssen allmählich wieder Vertrauen aufbauen. Warum sollte ein Mann wie Musa Roba-Kinkal, den ich langfristig auch auf der Marathondistanz sehe, nicht auch einmal mit uns ins Trainingslager fahren?" Als Beispiel für einen Leistungssprung nennt er Hagen Brosius, den 23jährigen Trainingspartner von André Pollmächer, der in Griesheim über sich hinausgewachsen war. „André spielt hier fast schon eine väterliche Rolle, gibt ihm viele Tipps und bindet ihn in viele Trainingseinheiten ein, soweit es der Tagesablauf zulässt".
Für Weigel fällt das Fazit der Halbmarathon-Titelkämpfe positiv aus. „Wir haben bei den Männern ein gutes Niveau auf den vorderen Plätzen. Die Masse dahinter muss sich allerdings noch entwickeln. Mit Hagen Brosius oder Robert Krebs gibt es schon junge Leute, die brennen". Für die Olympiamannschaft 2012 stellt sich der Marathon-Bundestrainer ein Team mit fünf oder sechs Startern vor.
Erste Wahl sind dabei Pollmächer und Fitschen sowie bei den Frauen Irina Mikitenko und Sabrina Mockenhaupt. Die dritten Plätze sieht Weigel hart umkämpft, traut sogar der jungen Katharina Heinig schon eine reelle Chance auf Olympia 2012 zu. Ein „Scherbenhaufen", wie stellenweise bereits für das Marathonlager apostrophiert wurde, jedenfalls kann Ronald Weigel nicht erkennen….
Wilfried Raatz