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20
10
2016

Viel Konkurrenz bedeutet geringe Siegchancen – schon bei den Kleinen. ©Horst Milde

Reform des Spitzensports – Kritik am Goldenen Plan für Medaillen – Anno Hecker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Einigkeit täuscht. Sie besteht nur grundsätzlich im organisierten deutschen Sport: Mehr oder weniger alle Gestalter des deutschen Spitzensports wollen eine Reform. Das ist das Ergebnis eines Treffens der Verbände an diesem Montag in Frankfurt.

Doch mit dem Konzept sind viele en detail nicht einverstanden. Ein einziger Aspekt eint die Sportarten und ihren Dachverband, den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der als ihr Unterhändler mit dem Bundesinnenministerium (BMI) eine Art „Goldenen Plan“ für die Zukunft ausheckte.

Deutschlands Sport soll seine Medaillenproduktion (planmäßig) steigern. So will es Sportminister Thomas de Maizière, und so hätte es auch DOSB-Präsident Alfons Hörmann gern.

Uneinigkeit herrscht allerdings darüber, wer bei der Umsetzung des Konzeptes in sportfachlichen Fragen das Sagen haben soll und wer das letzte Wort bei der Verteilung der Millionen: Sportfunktionäre, Bürokraten oder Wissenschaftler? Die Verbände proben hinter verschlossenen Türen den Aufstand gegen den Staat. Ein heikler Zweikampf um die Macht.

Das BMI gibt, was dem Leistungssport an allen Ecken und Enden fehlt, wenn er im großen Spiel vorne bleiben will (und soll): Geld.

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In Frankfurt nun fragten sich Männer und Frauen aus der Praxis des Leistungssports, ob es sinnvoll sei, Universitäts-Professoren mitbestimmen zu lassen. Um Klüngel innerhalb des Sports zu verhindern, will das Innenministerium Externe darüber befinden lassen, ob Sportarten oder deren Disziplinen in Zukunft noch förderwürdig – also medaillenträchtig erscheinen.

Dazu will es im kommenden Jahr Hochschulprofessoren verpflichten und sogar eine gut dotierte Stelle schaffen.

Der Sport befürchtet, dass ihnen aus dem Elfenbeinturm reingeredet wird. „Wissen die geschätzten Experten aus den Universitäten, die Mitarbeiter der Führungsakademie des Sports, was los ist auf der Hochleistungsebene einer Sportart, wissen sie, wie sich eine Disziplin entwickelt hat?“ fragt ein Verbandspräsident. Er will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, weil er um die redliche Begutachtung seines Sports fürchtet.

Angeblich ist das neue Verfahren ganz neutral.

Ein Computer wird mit zwanzig Bewertungskriterien für 130 Sportartengruppen gefüttert und spuckt dann eine Liste der Medaillenkandidaten aus, die mehr kriegen sollen als früher.

Es folgen die Athleten mit Perspektive für die übernächsten Spiele mit guter Förderung, und am Ende stehen die ohne Aussicht auf Medaillen und ohne Anspruch auf Unterstützung. Der Weg führt über drei Instanzen und eine Menge Bürokratie zum Scheck: über die Potentialanalyse, die Struktur- und die letztlich entscheidende Förderkommission. Dort möchte der DOSB am Hebel sitzen. Deshalb nickten die Verbände am Montag, als DOSB-Präsident Alfons Hörmann seinen Führungsanspruch gegenüber dem BMI proklamierte.

Der Minister und seine ehrgeizige Abteilung Sport sehen sich aber schon lange nicht mehr allein als Geldgeber. Sie haben den DOSB nach dessen Forderung 2012, die Spitzensportförderung pro Jahr um 38 Millionen Euro zu steigern, zur Reform gezwungen.

Im Ministerium zweifelte man praktisch jede Zahl an, die der Sport nannte, von der Zahl der Top-Athleten bis zum Bedarf an Stützpunkten.

Im Sport empfand man den Gestus der Ministerialen als anmaßend.

Zwar sind sich de Maizière und Hörmann in der Forderung nach Effektivität einig; doch schon auf der nächsten Ebene herrscht Misstrauen. Der Staat sitzt auf der Schatulle mit Steuergeld, von dem der olympische Spitzensport in Deutschland abhängig ist. Er hat den längeren Hebel. Noch dazu muss der klamme, zuletzt um Hunderttausende Euro betrogene DOSB, um die Führung auszuüben, die er beansprucht, hochrangige Experten für den Leistungssport einstellen – und braucht dafür Geld aus Berlin.

Doch weil sich auch die Politik ein Scheitern der Spitzensport-Reform nicht leisten kann, schließlich hat de Maizière sie vor anderthalb Jahren begonnen, ist schon von einer Anschubfinanzierung für die Reform die Rede. Die Verbände müssen bloß zustimmen.

Saubere Athleten sehen keine Chance auf Medaillen

Doch sie haben noch Diskussionsbedarf. Bei der Einschätzung der Förderwürdigkeit von Sportarten, Disziplinen und Athleten, klagen einige, werde Unvergleichbares über einen Kamm geschoren. Muss nicht berücksichtigt werden, dass etwa Tischtennis in aller Welt verbreitet ist und bei Olympia deshalb stärkere Konkurrenz herrscht als, im Vergleich, innerhalb der übersichtlichen Rennrodel-Gemeinschaft?

Müssen sich deutsche Leichtathleten mit Russen, Kenianern und Jamaikanern vergleichen lassen, in deren Heimat es keine akzeptablen Doping-Kontrollen gibt? Und nicht wenigen Verbänden scheint es wichtig, nicht in überwunden geglaubte Muster zu verfallen. Die DDR hatte ihr Spitzensportprogramm zum Ende der Sechziger Jahre allein auf erfolgversprechende Disziplinen ausgerichtet.

Ganze Sportarten wie Hockey, Basketball und alpiner Skilauf wurden der volkseigenen Medaillenproduktion in anderen Sportarten geopfert. Die pädagogische Funktion des Spitzensports trat gegenüber dem flächendeckende Doping-System im Osten wie auch den Doping-Nestern des Westens zurück. Vor diesem Hintergrund nimmt das Konzept den deutschen Gewichthebern den letzten Rest Motivation.

Frustriert sehen die – laut eigener Auskunft sauberen – Athleten keine Chance auf Medaillen gegen gedopte Konkurrenz. Nach der Logik des neuen deutschen Förderprogramms würden sie in die Kategorie drei eingestuft werden: in die Verliererklasse.

Medaillen, hatte Bundespräsident Gauck bei der Rückkehr der Olympiamannschaft von den Spielen in Rio gesagt, dürften nicht zum Maßstab aller Dinge gemacht werden.

Er bekam großen Applaus – vom Sport.

Anno Hecker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 19. Oktober 2016  

Anno Hecker

  Michael Reinsch  

 

author: GRR

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