Blog
19
05
2010

An der Alternsforschung in den USA gefällt Lindenberger, dass Kognitionspsychologie und Neurowissenschaften dabei besser verknüpft werden als hierzulande.

Psychologie Klavier-Unterricht noch im reifen Alter – Leibniz-Preisträger Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung untersucht, wie „plastisch“ und lernfähig das Gehirn ist – Dr. Adelheid Müller-Lissner im Tagesspiegel

By admin 0

Als Gastwissenschaftler in den USA ist Ulman Lindenberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, von Alltagspflichten etwas freier. Der Psychologe, dessen Forschung sich um Lernen und Gehirnentwicklung im reifen Lebensalter dreht, nutzt die Zeit, um etwas Neues zu lernen:

Er nimmt Klavierunterricht. „Ich glaube, dass das mittlere und das höhere Lebensalter gute Gelegenheiten bieten, sich Jugendträume zu erfüllen. Lernen ist auch dann noch möglich.“ Mit seinem 16-jährigen Sohn, der als Kind angefangen hat Klavier zu spielen, will der 48-Jährige sich nicht vergleichen.

Warum auch? Entwicklung geschieht über die gesamte Lebensspanne – und keineswegs nur bergab. Belege dafür finden sich in den Empfehlungen der Akademiegruppe „Altern in Deutschland“, die 2009 unter Lindenbergers Mitwirkung veröffentlicht wurden.

Für seine Alternsforschung konnte er den wichtigsten deutschen Forschungspreis entgegennehmen, den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Mit den 2,5 Millionen Euro Preisgeld können er und seine Arbeitsgruppe in den nächsten sieben Jahren frei von Auflagen Projekte verfolgen.

Wie werden er und seine Arbeitsgruppe die Freiheit nutzen? Wenn man eine derart stattliche Summe bekommt und bereits ein breites Forschungsprogramm verfolgt, dann könnte man das, was man ohnehin schon tut, noch gründlicher und auf noch breiterer Basis verfolgen. „Ich glaube aber, dass das nicht die richtige Art wäre, mit dem Geld umzugehen“, sagt Lindenberger. „Man möchte in einer solchen Situation lieber etwas tun, das risikobehaftet ist und ohne diesen Preis nicht geschehen wäre.“

Es reizt Lindenberger, den genetischen Ursachen individueller Unterschiede in geistigen Leistungen nachzugehen, verbunden mit der Frage, ob das Ausmaß, in dem solche genetischen Faktoren geistige Leistungen beeinflussen, im Verlauf des Erwachsenenalters eigentlich eher zu- oder abnimmt. Andererseits verlockt den Entwicklungspsychologen, der maßgeblich an der inzwischen weltberühmten „Berliner Altersstudie“ beteiligt war, auch eine auf Jahrzehnte angelegte neue Längsschnittstudie. Neu daran wäre, dass auch die Genetik und die Neurowissenschaften einbezogen würden. Und dass bildgebende Verfahren genutzt würden, um Einblick in die Gehirne der Teilnehmer zu gewinnen.

„Eine neue Längsschnittstudie könnte das Verhalten zur Genetik und zu Funktion und Struktur des Gehirns in Beziehung setzen, wir könnten schauen, wie sich dieses Zusammenspiel mit dem Alter ändert“, sagt Lindenberger. Er weiß jedoch, dass zweieinhalb Millionen dafür längst nicht reichen.

Nach dem Studium im kalifornischen Berkeley und in Berlin promovierte Lindenberger an der Freien Universität (FU) in Psychologie, wo er sich auch habilitierte. Dann war er Professor in Saarbrücken, arbeitete an der FU und der Humboldt-Universität, bevor er als Direktor an das Max-Planck-Institut wechselte. Noch bis zum Sommer forscht er an der Stanford-Universität.

An der Alternsforschung in den USA gefällt Lindenberger, dass Kognitionspsychologie und Neurowissenschaften dabei besser verknüpft werden als hierzulande. Was das Bild des Alters betrifft, so hat der Psychologe den Eindruck, dass jenseits des Atlantik mehr Optimismus herrscht. „Man ist dort eher geneigt, daran zu glauben, dass sich Altern durch eigenes Handeln beeinflussen lässt.“ Das findet er gut, weil es einen aktiven Lebensstil befördert. „Aber es hat auch eine Kehrseite: Wenn die Gedächtnisleistung nachlässt oder ein Mensch Alzheimer bekommt, dann besteht bei einer solchen Sicht der Dinge die Gefahr, ihm selbst dafür die ‚Schuld’ zu geben. Dieser Umkehrschluss ist aber falsch: Wir können zwar die Dinge beeinflussen, aber wir haben sie nicht vollständig unter Kontrolle.“

Lindenberger hält es da lieber mit der Formulierung seines 2006 verstorbenen Lehrers Paul Baltes, der die Potenziale des Alters, aber auch die Grenzen der Beeinflussbarkeit geistigen und körperlichen Abbaus sah und von „Hoffnung mit Trauerflor“ sprach. Allenfalls ein „Halbamerikaner“ also – ein halber Optimist, dessen Lebensaufgabe als Forscher es geworden ist, die Bedingungen des erfolgreichen Alterns zu verstehen.

Gerade hat Lindenberger eine Studie abgeschlossen, in der 100 jüngere und 100 ältere Erwachsene 100 Tage lang dasselbe geistige Trainingsprogramm absolvierten. Ziel ist es herauszufinden, welche Veränderungen im Gehirn passieren, wenn Menschen verschiedener Lebensalter Neues lernen. Die Daten werden gerade ausgewertet.

Es geht darum, wie „plastisch“ das Gehirn ist. „Welche Mechanismen da tatsächlich ablaufen und wie dauerhaft die Veränderungen sind, in welcher Reihenfolge sie ablaufen, was man tun muss, um sie zu erhalten, das sind Fragen, über die wir noch nicht gut Bescheid wissen.“ Zusätzlich interessieren Lindenberger und seine Kollegen sich dafür, ob das Ausmaß der Veränderungen im Gehirn, die durch ein solches Training zu erreichen sind, von genetischen Merkmalen abhängt. Verhaltensänderungen, Gene, Struktur und Aktivität des Gehirns: All das soll zusammengeführt werden.

Auch die Musik konnte der Entwicklungspsychologe schon einbauen: Für die Studie „Brains swinging in concert“ verkabelte er die Köpfe von Gitarristen, um ihre Hirnströme während des Zusammenspiels aufzeichnen zu können. Tatsächlich synchronisierten sich diese. „Als Wissenschaftler fasziniert mich an der Musik die Tatsache, dass es Menschen beim Zusammenspielen gelingt, ihr Verhalten im Bereich von Millisekunden miteinander zu koordinieren“, erzählt Lindenberger.

In der Entwicklung spielt diese Koordination an eine große Rolle, angefangen mit den Blicken und Gesten, die Mutter und Kind austauschen. „Mich interessieren die Grundlagen, die es uns ermöglichen, uns so genau abzustimmen.“

Dass der Musikliebhaber für seine Studie über das Zusammenspiel die Gitarre als Instrument ausgewählt hat, hat einen guten Grund. „Ein guter Gitarrist bewegt beim Spielen nur die Hände, man kann also die Hirnströme ohne Störfaktoren messen.“

Dr. Adelheid Müller-Lissner im Tagesspiegel, Dienstag, dem 13. April  2010

author: admin

Comment
0

Leave a reply