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20
01
2023

Dr. Dr. Lutz Aderhold - Foto: privat

Post-COVID-Syndrom und Long COVID – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Schon früh wurde bei einem Teil der erwachsenen COVID-19-Patienten eine Persistenz der Symptome oder andere Beschwerden nach einer durchgestandenen SARS-CoV-2-Infektion beschrieben.

Wichtig ist hierbei, dass sich dieser als „Long COVID“ bezeichnete Symptomenkomplex auch nach initial mildem Verlauf etablieren kann. Bis zu 15% der Menschen entwickeln nach einer COVID-19-Infektion ein Long COVID und etwa 2% ein Post-COVID-Syndrom.

Bei Frauen tritt häufiger ein Long COVID auf. Nach einer kanadischen Studie sollen 6% der infizierten Kinder betroffen sein.

Die Tatsache, dass vor allem durch Viren verursachte Infektionen prinzipiell zu persistierenden Symptomen führen können, ist gut bekannt. Dies ist zum Beispiel nach Influenza, anderen Coronavirus-Erkrankungen oder nach Pfeifferschem Drüsenfieber durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) möglich. Auch bakterielle Infektionen können ähnliche Folgen entwickeln.

Leitsymptome sind Erschöpfung (Fatigue) und Belastungsintoleranz sowie eine Symptomverschlechterung nach geringer Anstrengung. Typische Beschwerden sind außerdem Schlafstörungen, Kopf-, Bauch-, Muskel- und Gliederschmerzen, neurokognitive Symptome wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Licht- und Lärmempfindlichkeit, vegetative Symptome, etwa Kreislaufprobleme, Störungen der Wärmeregulation oder auch grippale Symptome wie Halsschmerzen, Atemstörungen und geschwollene Lymphknoten. Eine weiterführende Abklärung ist angezeigt, wenn nach durchgemachter SARS-CoV-2 Infektion Einschränkungen länger als 3 Monate anhalten. Eine neue S1-Leitlinie gibt Empfehlungen hierzu. Diese Leitlinie bezeichnet die Persistenz von Symptomen über 4 Wochen hinaus als Long COVID und von mehr als 12 Wochen als Post-COVID-Syndrom (PCS). In der Zwischenzeit wurde auch ein Patientenleitfaden entwickelt. Zusätzliche Informationen gibt es für Betroffene unter: (www.longcovid-info.de ) sowie in der Stellungnahme der BÄK (23.09.2022).

Eine genaue Definition der Begriffe Post-COVID-Syndrom oder Long COVID gibt es bisher nicht. Das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) unterscheidet drei Krankheitsphasen:

  • Akute COVID-19-Erkrankung mit Symptomen bis zu vier Wochen nach Infektion,
  • Andauernde COVID-19-Symptomatik mit Symptomen im Zeitraum von 4-12 Wochen nach Infektion,
  • Post-COVID-19-Syndrom mit Symptomen seit mindestens 12 Wochen, die nicht durch andere Diagnosen erklärt werden können.

Der Begriff Long COVID entstand in der Anfangsphase der Pandemie in den sozialen Medien und wird dort immer noch mehrheitlich verwendet. In der Fachliteratur hat sich der Begriff Post-COVID-Syndrom (PCS) durchgesetzt. Die WHO hat die folgende Definition des PCS entwickelt: Die Symptome müssen später als zwölf Wochen nach der akuten Infektion noch bestehen und mindestens zwei Monate andauern. Es darf keine andere ätiologische Erklärung geben. Der Verlauf kann persistierend, rezidivierend oder fluktuierend sein.

In wenigen Fällen können Long COVID und das PIMS-Syndrom auch nach einer COVID-19-Impfung auftreten. (13.05.2022).

Long COVID kann unterschiedliche Organsysteme betreffen und respiratorische, kardiologische, neurologische, nephrologische, gastroenterologische, immunologische und vaskulitische Symptome zeigen, die zum Teil mit nachweisbaren Organveränderungen oder messbaren Funktionsstörungen einhergehen. 10-15% der Kinder- und Jugendlichen geben 5 Wochen nach der akuten Infektion noch mindestens ein persistierendes Symptom an. Die häufigsten Beschwerden waren Müdigkeit, Schlafstörungen, Husten, Kopfschmerzen, Myalgien, Konzentrationsstörungen und ein persistierender Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns. Einige berichten, dass nach einer Impfung die Symptome verschwanden. Umgekehrt können vollständig Geimpfte nach einer Infektion auch ein Long COVID entwickeln.

Wie eine Studie aus Peking (27.08.2021) ergab, leiden viele an COVID-19 infizierte und hospitalisierte Menschen auch nach einem Jahr noch unter den Folgen der Erkrankung. Jeder 2. wies nach 12 Monaten noch mindestens 1 Residualsymptom auf. Am häufigsten wurde über Abgeschlagenheit oder Muskelschwäche geklagt. Kurzatmigkeit lag vor allem noch bei den Patienten vor, die intensiv mit Sauerstoff behandelt oder beatmet werden mussten. Gut 25% klagten über Ängste und Depressionen. Geruchs- und Geschmacksstörungen lagen nur noch bei 4% bzw. 3% vor. Insgesamt waren Frauen 1,4-mal häufiger mit Residualsymptomen betroffen. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Studien aus London und Nijmegen (26.01.2022), Atlanta (08.02.2022) und Deutschland (04.03.2022).

Unter den Durchbruchsinfektionen überwogen laut einer britischen Studie (02.09.2021) milde und asymptomatische Verläufe. Der Anteil der geimpften Patienten, bei denen es zum Long COVID kam, war nur halb so hoch wie bei einer Erkrankung von Nichtgeimpften. Dies bestätigt auch eine Studie aus Oxford (11.05.2022).

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat erste Daten ausgewertet (22.12.2021). In etwa 6% der Infektionen kommt es zu einem Post-COVID-Syndrom. Die Altersgruppe der 40- bis 65-Jährigen ist am häufigsten betroffen. Es handelt sich ganz überwiegend um Patienten, die bereits wegen verschiedener meist chronischer Krankheiten in ärztlicher Behandlung sind. Eine Studie aus Boston (10.02.2022) zeigte, dass jeder 3. Ältere Erwachsene nach Genesung weitere Erkrankungen entwickelt.

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE – 05.01.2022): Auch milde bis moderate Krankheitsverläufe von COVID-19 können die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren mittelfristig beeinträchtigen und mit gehäuften Zeichen einer Beinvenenthrombose einhergehen.

Safed/Israel und London (31.01.2022, 14.09.2022): Impfungen bieten derzeit den besten Schutz vor COVID-19. Durchbruchsinfektionen verlaufen meist milder und nach den Ergebnissen von 2 Studien aus Israel und England ist auch das Risiko von anhaltenden Long-COVID-Beschwerden sehr gering. Es gab praktisch keine Unterschiede zu Nichtinfizierten.

Chongqing/China (11.03.2022): Schwere COVID-19-Erkrankungen hinterlassen bei älteren Menschen häufig kognitive Störungen. Diese Ergebnisse werden auch durch eine Studie der Universität Oxford (11.03.2022) gestützt. Eine Reduktion der grauen Substanz in bestimmten Hirnregionen ist eine mögliche Folge einer Infektion mit SARS-CoV-2. Besonders das limbische System scheint betroffen zu sein. Psychische Störungen halten nach schweren Erkrankungen länger an (große Kohortenstudie aus sechs Ländern – 15.03.2022) und führen auch häufiger zu Long-COVID (Boston 08.09.2022; Essen 14.09.2022). Untersuchungen von Hirnzellen verstorbener COVID-19-Patienten zeigten Veränderungen, die auf eine vorzeitige Alterung hindeuten (Boston, 07.12.2022).

Groningen (05.08.2022): Einer von 8 Erwachsenen hat nach COVID-19 langfristig Symptome.

New Haven/USA (17.08.2022): Patienten mit Long-COVID haben häufig niedrige Kortisol-Konzentrationen.

Prädiktoren für das Fortbestehen zahlreicher Symptome nach COVID-19-Erkrankung sind das weibliche Geschlecht, Prädisposition für Autoimmunität, eine adipös-diabetische Stoffwechsellage, Diabetes mellitus, Asthma bronchiale, psychiatrisch-neurologische Vorerkrankungen und die Schwere der Akutinfektion. Hypothesen zur Pathogenese von Long COVID sind eine Viruspersistenz, persistierende Inflammation, Mikrothromben-Bildung mit Störung der Mikrozirkulation (Endothelschäden), Autoimmunität und psychosoziale Faktoren.

In der Zusammenschau der aktuellen Studienlage heben sich 6 Symptomencluster ab:

  • Rasche Erschöpfbarkeit / chronische Müdigkeit (Fatigue),
  • Kardiopulmonale Beschwerden (Dyspnoe, Brustschmerzen, Palpitationen),
  • Neurokognitive Einschränkungen (Konzentrations- und Gedächtnisstörungen),
  • Schmerzsyndrome (Gliederschmerzen, Par-/Dysästhesien, Myalgien, Arthralgien),
  • Sensorische Störungen (Geruchs- und Geschmacksstörungen, Seh- und Hörstörungen),
  • Psychische Einschränkungen (psychiatrische Erkrankungen, Schlafstörungen).

Die Behandlung ist – nach differenzialdiagnostischer Abklärung – in erster Linie symptomorientiert. Eine allgemeingültige kausale Behandlung ist bisher nicht bekannt. Insgesamt gibt es bisher mehr Fragen als Antworten.

Fazit: Wichtig ist eine sorgfältige Differenzialdiagnose, um Long COVID von anderen Krankheitsursachen und den Folgen der allgemeinen Belastungssituation durch die Pandemie abzugrenzen. Frauen sind insgesamt häufiger betroffen und auch bei Kindern kann es zu Long COVID kommen. Die vollständige Impfung schützt auch vor Long-COVID, nach einer Studie aus Oxford (03.03.2022) ist das Risiko um 41% reduziert.

Update zu Long COVID

Mehr als 200 Symptome werden mit Long COVID in Verbindung gebracht. Aber gehen die Komplikationen tatsächlich immer auf die Infektion zurück? Mit Sicherheit lässt sich das oft nicht sagen. Weil etliche Beschwerden auch unabhängig von Corona häufig vorkommen, fällt eine eindeutige Zuordnung schwer. Es fehlt nach wie vor das umfassende Verständnis.

Neben der Schwere der COVID-19-Erkrankung haben insbesondere vorbestehende Erkrankungen und Gesundheitsrisiken einen Einfluss auf das Risiko für Long COVID – dies gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche. Darüber hinaus sind Mädchen und Frauen deutlich häufiger von Long COVID betroffen als Jungen und Männer. Zudem scheinen Erwachsene im jüngeren und mittleren Lebensalter (darunter Frauen mehr als Männer) häufiger Long COVID zu entwickeln als Kinder und Jugendliche sowie ältere Menschen. Unter Kindern und Jugendlichen scheinen Teenager deutlich häufiger betroffen zu sein als jüngere Kinder. Erwähnt werden muss, dass in sehr seltenen Fällen (0,001-0,02%) die Impfung möglicherweise Long-COVID-ähnliche Beschwerden im Sinne eines Post-Vac-Syndroms verursachen kann. Auch bei anderen Impfungen kann es dazu kommen. Die Ursachen sind bisher unklar. Leitlinien zur Therapie des Post-Vac-Syndroms existieren noch nicht.

Internationale systematische Übersichtsarbeiten zeigen, dass die Häufigkeit von Long COVID bei Erwachsenen, die aufgrund von COVID-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten, deutlich höher liegt als bei Personen mit milden oder symptomarmen Verläufen. Dies zeigt sich anhand einer systematischen, globalen Analyse: So wurde die Prävalenz für Long COVID-Symptome drei Monate nach einer SARS-CoV-2-Infektion mit intensivmedizinischer Behandlung auf 43,1% geschätzt, bei Hospitalisierten ohne intensivmedizinische Behandlung auf 27,5% und bei Nicht-Hospitalisierten auf 5,7%.

Darüber hinaus gibt es erste Hinweise darauf, dass sich die Häufigkeit von Long COVID je nach Virusvariante unterscheidet, wonach das Risiko für Long COVID nach einer Omikron-Infektion geringer zu sein scheint als bei anderen Varianten. Eine aktuelle Auswertung von Daten zeigt, dass bei  der Delta-Variante 6,3% der erwerbstätigen Versicherten wegen Long COVID krankgeschrieben waren, wohingegen es in der seit Frühjahr 2022 durch Omikron dominierten Krankheitswelle lediglich 2,1% der an COVID-19 erkrankten Versicherten betraf.

Auch Kinder und Jugendliche können von Long COVID betroffen sein – allerdings ist die Häufigkeit im Vergleich zu Erwachsenen insgesamt geringer. So berichtet ein aktuelles Review Häufigkeiten für Long COVID von 2–3,5% bei überwiegend nicht hospitalisierten Kindern.

Dauer von Long COVID

Sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen gibt es Hinweise für einen Rückgang von Long COVID-Symptomen über die Zeit. Dennoch können Long COVID-Symptome auch noch sechs bis 12 Monate nach einer SARS-CoV-2- Infektion sowohl den allgemeinen Gesundheitszustand als auch die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen. Bei der Hälfte der nicht hospitalisierten Erwachsenen bildeten sich Long COVID-Symptome innerhalb von vier Monaten zurück. Bei Personen, die wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten, dauerte die Rückbildung hingegen etwa neun Monate (Median). Bei insgesamt 15,1% der Menschen mit Long COVID bestanden die Beschwerden auch noch nach einem Jahr.

Eine Besonderheit bei den langfristigen Folgen einer Infektion mit Sars-CoV-2 ist allerdings, dass sie so viele Gesichter haben. Zunehmend neigt man in der Wissenschaft deshalb zu der Annahme, dass es mehrere Arten von Long COVID gibt. Ähnlichkeiten mit dem Myalgische Enzephalomyelitis / chronisches Fatique Syndrom (ME/CFS) liegen vor. 10-20% der Long-COVID-Patienten sollen dieses Krankheitsbild entwickeln.

Diagnostik und Therapie

Das große Problem bei der Diagnostik von Long COVID ist bisher allerdings das Fehlen von Biomarkern im Blut oder bestimmten Strukturen, die etwa bei einer Gewebeuntersuchung Gewissheit geben könnten. Nicht selten lässt sich bei Long COVID körperlich gar nichts nachweisen. Deshalb wird intensiv nach solchen Biomarkern geforscht, sie könnten dann auch als Basis für die Entwicklung gezielt wirkender Medikamente genutzt werden.

Da die Suche nach den Mechanismen zwar plausible Erklärungen, aber noch wenig handfeste Belege und Biomarker geliefert hat, fehlen bislang spezifische Medikamente, mit denen die Beschwerden gezielt behandelt werden können. Deshalb wird derzeit ein wahres Potpourri an Arzneimitteln ausprobiert. Dazu zählen unter anderem Medikamente, die gegen Entzündungen und übermäßige Reaktionen des Immunsystems wirken wie Antihistaminika oder Kortison, antivirale Mittel oder Blutverdünner gegen Mikrozirkulationsstörung, auch Blutwäsche (H.E.L.P.-Apherese und Immunadsorption) wird als Therapie getestet.

Die Apherese, die hyperbare Sauerstofftherapie und die Kryotherapie werden zwar stark beworben, ausreichend Daten und eine Leitlinienempfehlung hierfür gibt es allerdings nicht. Auch die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie sieht z.Z. keine Indikation für die Apherese bei Long COVID. Leide ein Patient an Long COVID, scheine die Impfung die Symptomatik bisweilen zu modifizieren. Ein therapeutischer Effekt kann aus der vorliegenden Evidenz momentan allerdings nicht sicher abgeleitet werden. Auch Nahrungsergänzungsmittel werden wiederholt empfohlen, die Evidenzlage ist auch hier uneinheitlich.

Bei bestehender Belastungsintoleranz ist das Selbstmanagement mit „Pacing“ wichtig. So kann Entspannung über Biofeedback visualisiert werden. Die eigenen Grenzen anzuerkennen und nicht dagegen anzurennen ist hilfreich. Dazu gehört auch die Stärkung der Resilienz (psychische Widerstandskraft).

Prävention

Der beste Schutz vor Long COVID ist die Vermeidung einer SARS-CoV-2-Infektion. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass eine vollständige COVID-19- Impfung die Häufigkeit und Ausprägung von Long-COVID-Symptomen nach einer Durchbruchsinfektion mildern.

St Louis/Missouri (08.11.2022): Die Behandlung der akuten Covid-19-Erkrankung mit Paxlovid hat bei US-Veteranen die Häufigkeit eines späteren Long COVID um etwa 25% gesenkt. Die Vorteile waren bei ungeimpften, geimpften und geboosterten Personen gleichermaßen wirksam.

Jena (01.12.2022): Für Long COVID und das Post-COVID-Syndrom (PCS) gibt es bisher weder evidenzbasierte diagnostische Parameter noch eine kurative Therapie. Das ergab der 1. Kongress zu Long COVID im November letzten Jahres in Jena.

Quellen: (RKI: Long COVIV, 03.11.2022; Ellert C: Long COVID. Wege zu neuer Stärke. Symptome, Behandlungen, Hilfe zur Selbsthilfe. München: ZS Verlag 2022; Post-COVID-Syndrom, Dtsch Arztebl Int 2023: 120).

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

author: GRR