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02
08
2008

"Ich stehe unter Schock". Jelena Sobolewa, aussichtsreiche Goldkandidatin über 1500 Meter nach der positiven Dopingprobe.

Positiv vor Olympia – Hausmittel der Dopingpraxis – Während Dopingexperte Franke wenig überrascht ist von den Dopingfällen der russischen Leichtathleten, glaubt man in Russland an Verschwörung – Thomas Hahn und Sonja Zekri in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Jelena Sobolewa, die verhinderte russische Goldläuferin, konnte nichts erklären, natürlich nicht. Die Nachricht war noch ganz frisch, dass sie und sechs weitere prominente Leichtathletinnen vom Weltverband IAAF suspendiert worden waren, weil Urinproben von ihnen aus dem vergangenen Jahr bei einem DNA-Abgleich nicht übereinstimmten.

"Ich stehe unter Schock", zitierte sie die Zeitung Nowaja Iswestija, sie war doch so zuversichtlich gewesen vor Olympia nach ihrer fulminanten 800-Meter-Bestzeit von 1:54,85 Minuten bei den russischen Meisterschaften. "Ich verstehe die ganze Situation nicht", sagte Jelena Sobolewa, 25, "wie könnten wir etwas mit den Proben anstellen, wenn wir während des gesamten Prozesses der Urinabgabe von einer Kontrolleurin beobachtet werden?"

Das immerhin kann sie bei dem Heidelberger Antidopingexperten Werner Franke erfahren, der schon vor mehr als zehn Jahren die raffinierten Methoden anmahnte, mit denen Doper Kontrolleuren falschen Urin unterjubeln. Für Frauen eignet sich dazu ein Femidom, ein Präservativ für Frauen, das man mit Fremdurin füllen, in die Vagina einführen und dann bei der Urinabgabe unbemerkt entleeren kann. "Das ist ungemein beliebt", sagt Franke. Oder die Frauen lassen sich den Fremdurin vor der Kontrolle mit einem Katheder in die Blase pumpen. Alte Hausmittel aus der Dopingpraxis sind das, weshalb Franke auch sagt: "Die Überprüfung der DNA einer jeden Probe sollte eigentlich Vorschrift sein."

Das allerdings ist in Russland eher weniger das Thema gewesen am Tag nach der Suspendierung. Die Affäre beherrschte die Schlagzeilen. Nachdem das Land zuletzt Triumphe im Eishockey, Basketball und Fußball gefeiert hat, soll Peking die natürliche Fortsetzung des Jubels bringen – und unter den Belasteten waren in Sobolewa, der Diskus-Europameisterin Darija Pischtschalnikowa, der früheren Hammer-Weltrekordlerin Gulfija Chanafejewa und der ehemaligen 1500-Meter-Weltmeisterin Tatjana Tomaschowa gleich vier ernstzunehmende Medaillenkandidatinnen.

Die Presse wirkte fast so geschockt wie Sobolewa selbst: "Noch nie hat Olympia für uns mit einem solchen Skandal begonnen", schrieb Nowaja Iswestija, "und das Schlimmste an der ganzen Geschichte ist, dass wir weder durch Beschwerden noch durch Proteste etwas daran ändern können."- "Der gestrige Skandal gehört zweifellos auf die Liste der größten in der Geschichte des russischen und des internationalen Sports", bemerkte Kommersant. Iswestija titelte: "Fünf Goldmedaillen haben wir schon ,vergossen'."

Die Zeitung Sport Express fand bemerkenswert, dass die Regelverletzungen erst so spät bekannt wurden: "Das bedeutet, dass der Skandal irgendjemandem nutzt. Nur wem?" Vielleicht der IAAF? Die nämlich, so die Zeitung listig, zahle einer "westlichen" Firma riesige Summen" für die Dopingtests. Die "derzeitige Situation" gebe Hinweise darauf, dass dieses Geld an "Gauner" fließe: "Völlig egal, wer die Proben vertauscht hat – Sportler, Trainer, Offizielle, Putzfrauen -, entscheidend ist, dass ein Vertreter des Antidoping-Dienstes dabei mitgemacht hat." Die Sportlerinnen sähen "keinen Grund, sich schuldig zu fühlen".

Ähnlich hat sich auch Valentin Balachnitschew, der Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes geäußert, und Cheftrainer Valentin Maslakow wittert "eine politische Entscheidung wegen unserer exzellenten Resultate". Verschwörungstheorien kursierten in der Sportnation, am wenigsten allerdings jene, wonach die Sportlerinnen selbst die Verschwörer sein könnten.

Werner Franke hingegen leuchteten die Suspendierungen ein.

Thomas Hahn und Sonja Zekri in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend, dem 2. August 2008

author: GRR

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