Michael Reinsch: Mehr Medaillen, mehr Olympiasiege: Über den Weg dorthin sind sich Sport und Politik ganz und gar nicht einig. ©privat
Politik und Sport – Geheimsache Spitzensport – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Eine Reform des Spitzensports im Geheimen? Das ist mit den Verbänden nicht zu machen. Vergangene Woche schickte Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes, seinen Kollegen eine Datei, in der auf 13 Seiten „Neustrukturierung Leistungssport – Zwischenergebnisse und Trends“ dargestellt werden.
Der Bayer Kaidel hat die Nase voll davon, mit bruchstückhaften Informationen und Gerüchten konfrontiert zu werden. Die Situation sei misslich, schrieb er in seiner Rolle als Vorsitzender der Konferenz der Spitzenverbände.
Um sich bei steigendem Diskussionsbedarf und sinkendem Informationsfluss nicht in Interpretationen von unvollständigem Wissen zu verlieren, sondern sich an der Reform beteiligen zu können, fordert er, müssten die Verbände umfangreich, zeitnah und ernsthaft informiert werden.
Damit hat Kaidel einen Mangel der Spitzensportreform benannt, die in acht Arbeitsgemeinschaften, einem Beratungsgremium und einer Lenkungsgruppe mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Alfons Hörmann, dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), betrieben wird.
Nach den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro, im September oder Oktober, soll das Resultat vorgestellt werden. Erst dann soll die Diskussion über die Frage beginnen, die viele schon mit den gescheiterten Abstimmungen über Olympische Spiele in München und Hamburg beantwortet glauben: Was für einen Leistungssport wollen wir in Deutschland?
Geheimsache Spitzensport: Was läuft falsch bei der Kommunikation zwischen Politik und Sportverbänden?
„Ziel dieser Reform ist: mehr Spitzensport“, sagte de Maizière im Interview mit dieser Zeitung (9. März). „Dies zählt man nun mal in Medaillen.“ Seine Vorgabe lautet: ein Drittel mehr. Diese knapp fünfzehn Medaillen zusätzlich zu den 44, welche die deutsche Olympia-Mannschaft bei den Sommerspielen in London gewann, drei oder vier Olympiasiege mehr als die elf von 2012 hätten das Team zwar lediglich von Platz sechs der Medaillenwertung auf Rang fünf gebracht.
Doch ein solches Ergebnis würde beenden, was auch Vertreter des Sports als anhaltenden Abwärtstrend betrachten, seit die Olympia-Expedition des frisch vereinten Deutschlands bei den Spielen von Barcelona 1992 82 Medaillen holte, 33 Olympiasiege und Rang drei im Medaillenspiegel.
„Ich glaube nicht, dass es ohne mehr Geld geht.“
Über den Weg zum olympischen Aufschwung ist jedoch Schweigen vereinbart. Schließlich soll nicht, zum Beispiel, die Schließung von knapp sechzig bis neunzig auf 150 Bundesstützpunkte und die Reduzierung von 19 Olympia-Stützpunkten auf einen pro Bundesland für Unruhe sorgen, bevor die Reform insgesamt überzeugen kann.
In Wirklichkeit ringen Sport und Staat um die Macht.
„Der DOSB als Vertreter der Verbände muss das Heft des Handelns in die Hand bekommen“, sagt Kaidel. „Er muss entscheiden können, was richtig ist. Das BMI kann sportfachlich nicht mitreden.“ Selbst die Vorstellung einer gemeinnützigen Spitzensport GmbH, die der im DOSB-Vorstand für den Leistungssport zuständige Dirk Schimmelpfennig und Gerhard Böhm, Abteilungsleiter Sport im Innenministerium, gemeinsam führen könnten, lehnt die Mehrheit der Verbände laut Kaidel ab.
Die Landessportbünde fordern, „die sportfachliche Kompetenz des DOSB konsequenter als bisher für die Förderung und Steuerung des Leistungssports in Deutschland zu nutzen“.
Einstimmig beschlossen sie im März: „Eine Aufgabenverteilung, bei der die Politik die Entscheidungen träfe und DOSB und Fachverbände die Verantwortung für die Ergebnisse übernehmen sollen, lehnen sie ab.“ So steht es auch in dem Papier, das Kaidel informell erhielt und in Umlauf brachte. Eine zentrale Steuerung mit Weisungsbefugnis gegenüber Bundes- und Landestrainern solle sportfachlich definiert werden. Deutlicher: „Minimierung der politischen Einflüsse.“
Bei Kaidels Post handelt es sich allerdings nicht um ein Protokoll, sondern um eine im Januar aktualisierte Präsentation des DOSB. Aus dem Ziel, Trainer zu stärken und die Führung von Stützpunkten zu professionalisieren, leitet Kaidel ab: „Ich glaube nicht, dass es ohne mehr Geld geht.“ Keine Sportart dürfe hinten runterfallen, nicht einmal eine nichtolympische. Rugby mit der Zulassung für Rio gilt ihm als Beispiel für den schnellen Aufstieg in die Olympia-Klasse.
Genug Stoff für leidenschaftliche Diskussionen
Im Innenministerium jedoch ist man von der Unfähigkeit des Sports überzeugt, Prioritäten setzen und zielgerichtet und effektiv arbeiten zu können. Das vom DOSB mit 5300 Top-Athleten angegebene Spitzensport-Reservoir schrumpfte allein dadurch auf 3800, dass jemand nachzählte. 1500 Phantomsportler waren etwa dadurch entstanden, dass einzelne Athleten an bis zu sechs verschiedenen Olympia-Stützpunkten trainieren – und von jedem für sich reklamiert wurden.
Auch deshalb ist es Ziel des Ministeriums, Potential statt Struktur zu fördern, auch schon mal Einzelkönner zu unterstützen, unabhängig von Organisation oder Desorganisation ihres Verbandes. Nicht dem DOSB, sondern einem Expertengremium soll die Beurteilung der Förderwürdigkeit obliegen.
Auch die Institute für Sportgerät und für angewandte Trainingswissenschaft, das FES in Berlin und das IAT in Leipzig, sollen ihr Monopol als privilegierte Partner des Sports verlieren.
Spitzensportförderung soll nach Vorstellungen im Hause de Maizière auch darin bestehen, dass wissenschaftliche Betreuung an Hochschulen im ganzen Land akquiriert und im Sport weitergegeben wird.
Genug Stoff, eigentlich, für leidenschaftliche Diskussionen.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 13. April 2016