Immerhin, nach einer Woche Paralympics in Peking kann man sich durchaus vorstellen, dass diese Spiele anders als das Kommerzspektakel Olympia in China etwas bewirken
Paralympics Peking 2008 – Im Land hinter der Pracht – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Die Athleten lassen ausrichten, dass sie begeistert sind von Peking. Dieses schöne Paralympia-Dorf, diese vollen Stadien, diese gewaltige Aufmerksamkeit. Und der deutsche Tischtennis-Doyen Rainer Schmidt, 43, ein
hochdekorierter Titelsammler, siebenmaliger Paralympics-Starter, evangelischer Pfarrer und kein Dampfplauderer, sagt: "Wenn man nicht das vielzitierte Menschenrechtsproblem und nicht keine Pressefreiheit hätte, würde Phil Craven am Ende wohl sagen, es waren die besten Spiele aller Zeiten."
Vielleicht sagt das der britische Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees ja doch noch, man wird das beobachten müssen. Denn wenn Rainer Schmidt recht hat, ist Phil Craven nicht so leicht zu blenden
von den logistischen Meisterleistungen der chinesischen Spiele-Planer und den Prachtbauten der Parteidiktatur. Und das wäre wirklich mal eine angenehme Abwechslung, wenn ein hoher Sportfunktionär die Kunst der Diplomatie nicht derart missversteht, dass er wegen eines gelungenen Fests gleich alles an seinem Gastgeber toll findet.
. Und zwar im Sinne der Menschenrechte, für die das IPC als Fürsprecher seiner Athleten ausdrücklich wirken will. Dieser Einfluss hat mit den Neubauten zu tun, welche behindertengerecht sein mussten, um den Standards der Spiele zu genügen. Und mit der Berichterstattung der Staatsmedien, an der kein fernsehender oder Zeitung lesender Chinese derzeit vorbei kann. Diese Bewusstseinsschule hatte China bitter nötig.
Nachhaltigkeit der baulichen Veränderungen ist dafür allerdings die Voraussetzung. Und dass das Publikum die Bilder der Spiele richtig versteht: Es darf diese Hochleistungsbehinderten im Fernsehen nicht mit den
Kunstfiguren eines besonders abgedrehten Menschenzirkus? verwechseln. Diese Athleten sind echt, ihre bewegenden Geschichten Wirklichkeit, die Probleme, vor die sie die Gesellschaft oft stellt, nicht mit Medaillen und Weltrekorden zu tilgen.
Und: Sie sind nur die sportliche Elite einer viel größeren Gruppe von Menschen mit Behinderung, die immer noch ausgegrenzt und benachteiligt werden. Gerade in China, im weiten Land hinter aller Spiele-Pracht, in dem der paralympische Gedanke erst noch Wirklichkeit werden muss.
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend, dem 13. August 2008