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06
09
2008

Die olympische Zeit wird für Peking erst mit dem Ende der Paralympics am 17. September vorbei sein. China nimmt die heute beginnenden Spiele der körperlich Behinderten genauso wichtig wie zuvor Olympia

Paralympics Peking 2008 – Der wahre Grund des Eifers – China nutzt Paralympia auch zu PR-Zwecken. Benedikt Voigt, Peking, im Tagesspiegel

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Der stumme Fahrradreparateur an der Jintai-Straße darf noch nicht zurück an seinen Stammplatz. Normalerweise sitzt er inmitten seiner Schläuche, Wasserschüsseln und Werkzeuge direkt an der Straße. Als Peking im Juli für die Olympischen Spiele begann, Wanderarbeiter, Müllsammler und Bettler aus der Stadt zu weisen, verlegte er seinen Arbeitsplatz in eine zurückgelegene Einfahrt.

Dorthin, wo er von der Polizei nicht so schnell gesehen werden kann. Wann setzt er sich wieder an den alten Platz? „Wenn die Olympischen Spiele vorbei sind“, antwortet ein Freund. Noch sind sie das nicht.

Die olympische Zeit wird für Peking erst mit dem Ende der Paralympics am 17. September vorbei sein. China nimmt die heute beginnenden Spiele der körperlich Behinderten genauso wichtig wie zuvor Olympia. Zwei Spiele, gleicher Glanz, lautet das offizielle Motto. Weiterhin gilt ein Fahrverbot für die Hälfte der 3,3 Millionen Fahrzeuge, weiterhin bleiben Fabriken geschlossen, weiterhin warten rund 40 000 Volunteers darauf, dass ein Gast sie beschäftigen möge. Auch die umstrittenen Protestparks, in denen bisher keine einzige Demonstration stattgefunden hat, werden beibehalten.

„Wir haben 2,1 Millionen Tickets zur Verfügung, davon sind eine Million verkauft“, berichtet Wang Wei. Der Vizepräsident des Pekinger Olympia-Organisationskomitees Bocog bestätigt auch, dass rund 400 000 Tickets für das Erziehungsprogramm zur Verfügung stehen. Mit Schülern und Studenten hatte Bocog bereits bei Olympia leere Stadien gefüllt. Die Paralympics werden mit einem Aufwand wie nie zuvor betrieben. Was das kostet, kann Wei nicht sagen. „Bei der Bewerbung vor sieben Jahren haben wir eine Summe von 100 Millionen Dollar angegeben, aber inzwischen sind die Kosten gestiegen.“

Die Organisatoren prahlen mit zahlreichen Maßnahmen, mit denen Peking behindertenfreundlicher gestaltet worden ist. „Ein 1541 Kilometer langer Pfad für Sehbehinderte ist in 880 Straßen integriert worden, 23 631 Rampen sind an Schlüsselstellen wie Straßen oder der Umgebung der paralympischen Sportstätten eingerichtet worden“, heißt es. 2835 Niederflur-Busse, 600 barrierefreie Busse und 70 barrierefreie Taxen stehen bereit. Knapp 35 Prozent der U-Bahn-Eingänge sind mit Lifts ausgerüstet. „Ich musste neulich an einer U-Bahn-Station über Stufen getragen werden“, berichtete ein englischer Journalist, der im Rollstuhl sitzt.

Die Funktionäre und Athleten begrüßen den Ernst, der ihren Spielen zuteil wird. „Ich bin beeindruckt, mit welchem Aufwand und Enthusiasmus die Gastgeber diese Spiele vorbereitet haben“, sagt Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees. Aus dem Grund für die Anstrengungen macht Wang Wei keinen Hehl. „Erstens geht es darum, das wahre China zu präsentieren“, sagt der Bocog-Sprecher, „zweitens darum, die Anliegen der Behinderten zu fördern.“ Man beachte die Reihenfolge.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bemängelt hingegen, dass Behinderte in China weiterhin diskriminiert werden. Viele hätten nie höhere Schulen besucht, weil ihnen trotz besserer Leistungen Nichtbehinderte vorgezogen werden. Der stumme Fahrradmonteur in der Jintai-Straße beherrscht noch nicht einmal die Gebärdensprache. Das wahre China dürfte zurzeit eher in einer Einfahrt an der Jintai-Straße sitzen und auf das Ende der Paralympics warten.

Benedikt Voigt, Peking, im Tagesspiegel, Sonnabend, dem 6. August 2008

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