Jonathan Hilbert hat in Tokio 2020 Historisches für den deutschen Gehsport geschafft - Foto: DLV
Olympische Spiele Tokio 2020 – Jonathan Hilbert gewinnt historische Medaille für DLV-Geher
Im letzten olympischen 50-Kilometer-Rennen der Geher hat Jonathan Hilbert Historisches geschafft. Der 26-Jährige gewann nach taktisch cleverer Vorstellung auf dem Rundkurs im japanischen Sapporo die Silbermedaille und bescherte den DLV-Gehern somit die erste Medaille bei Olympischen Spielen seit 29 Jahren.
Es ist die erste Medaille bei Olympischen Spielen für die deutschen Geher seit 1992. Jonathan Hilbert (LG Ohra Energie) hat in der Nacht zu Freitag deutscher Zeit sensationell die Silbermedaille im Wettbewerb über 50 Kilometer gewonnen.
Im letzten olympischen Rennen über diese Distanz erreichte der 26-Jährige nach 3:50:44 Stunden den größten Erfolg seiner bisherigen Karriere. Zuletzt war es der heutige DLV-Bundestrainer Roland Weigel gewesen, der bei den Spielen vor 29 Jahren in Barcelona (Spanien) mit Bronze eine Medaille für die DLV-Geher feiern konnte.
Taktisch agierte Jonathan Hilbert äußerst clever.
Von Beginn an hielt er sich im vorderen Teil des Teilnehmerfeldes auf, ohne dabei jedoch zu viel Energie zu verlieren. Zunächst war es der Chinese Luo Yadong, der sich von seinen Konkurrenten absetzte und einen Vorsprung herauslief. Nach zehn Kilometern hatte er sich 26 Sekunden auf das rund 20 Athleten umfassende Verfolgerfeld um Jonathan Hilbert herausgearbeitet.
Doch die Führung des 29-Jährigen schmolz nach und nach dahin. An der 20-Kilometer-Marke war es dann soweit: Luo Yadong wurde eingeholt und schließlich endgültig durchgereicht: Er beendete das Rennen auf Platz 28. Kurz darauf konnte Jonathan Hilbert sogar erstmals die Führung übernehmen und kurzzeitig das Tempo diktieren.
Dawid Tomala mit Ausreiserversuch erfolgreich
Um die 30-Kilometer-Marke herum wagte schließlich der Pole Dawid Tomala, seines Zeichens 32. der WM in Doha (Katar) über 20 Kilometer, einen Ausreiserversuch – und dieser sollte erfolgreich sein. Der 31-Jährige baute seinen Vorsprung kontinuierlich aus und führte zwischenzeitlich mit rund drei Minuten. Diese Führung war ihm nicht mehr zu nehmen, sodass er nach 3:50:08 Stunden die Goldmedaille feiern konnte.
Doch spannend wurde es dahinter. Jonathan Hilbert hielt sich dauerhaft im mittlerweile auf sechs Athleten geschrumpften Verfolgerfeld auf. Nach etwa 34 Kilometern sah es so aus, als müsse er dem Tempo Tribut zollen, doch die Lücke zu den Medaillenrängen konnte er nach kurzer Zeit wieder schließen.
Gegen Ende des Rennens konnte dem starken Antritt von Jonathan Hilbert nur der Spanier Marc Tur folgen. Der Kampf um die Silbermedaille war eröffnet. Der Deutsche war dabei im Vorteil, da Marc Tur bereits zwei Verwarnungen und somit eine mehr als sein Kontrahent kassiert hatte und so deutlich stärker auf seine Technik achten musste.
700 Meter vor dem Ziel die Entscheidung für Jonathan Hilbert
Rund 700 Meter vor dem Ziel konnte sich der Athlet der LG Ohra-Energie schließlich absetzen – die Silbermedaille war ihm sicher. Nach dem Zieleinlauf stieß er einen lauten Freudenschrei aus, die Tränen konnte er nicht mehr zurückhalten. Letztlich war die Distanz über 50 Kilometer für Jonathan Hilbert wohl sogar etwas zu kurz: Olympiasieger Dawid Tomala brach auf den letzten beiden Kilometern deutlich ein und hatte am Ende nur noch wenige Sekunden Vorsprung.
Die Bronzemedaille sicherte sich auf den letzten Metern der Kanadier Evan Dunfee, der den vollkommen erschöpften Marc Tur noch abfing. Die beiden weiteren deutschen Geher Carl Dohmann (SCL Heel Baden-Baden) und Nathaniel Seiler (TV Bühlertal) belegten die Plätze 33 und 42. Während Carl Dohmann auf der zweiten Rennhälfte einige Plätze gut machen konnte und das Ziel nach 4:07:18 Stunden erreichte, hatte Nathaniel Seiler auf den letzten Kilometern mit zunehmenden Ermüdungserscheinungen zu kämpfen. Er kam nach 4:15:37 Stunden ins Ziel.
Es war das letzte olympische 50-Kilometer-Rennen in der Geschichte. Ab Paris 2024 soll die 15 Kilometer kürzere Strecke die Traditions-Distanz ablösen, die seit Los Angeles 1932 im olympischen Programm seinen festen Platz hatte. Die Siegerehrung von Jonathan Hilbert wird am Wochenende in Tokio stattfinden.
STIMMEN ZUM WETTBEWERB:
Jonathan Hilbert (LG Ohra Energie)
Ich habe noch nicht realisiert, was passiert ist und das wird auch noch ein paar Wochen und Monate dauern. Ich hatte mir vorgenommen, das Rennen couragiert anzugehen und mich nicht zu verstecken. Ich wollte ein gutes, ein ordentliches Rennen machen. Angreifen, da sein, reagieren können. Das war der Plan. Ich habe von Anfang an – eigentlich schon seitdem ich aufgestanden bin –, gemerkt, dass heute ein besonderer Tag ist. Ich war hundert Prozent bei mir, im Tunnel, einfach nur fokussiert. Ich habe am Anfang des Rennens gemerkt, dass ich mich gut fühle. Ich konnte reagieren, ich konnte Druck machen und das Tempo mitbestimmen. Ich musste nicht kämpfen, um vorne mitzugehen. Je länger es wurde, desto stärker habe ich gemerkt, dass immer mehr geht. Ab Kilometer 42 habe ich realisiert, dass ich eine Medaille gewinnen kann. Da habe ich das Herz in die Hand genommen und bin ´All in´ gegangen. Das hat sich ausgezahlt.
Ich werde heute Abend genießen und so viele Leute anrufen, wie es geht. Ich werde versuchen mich an alle Wegbegleiter zu wenden und mich bedanken. Und nochmal mit der ganzen Truppe hier in Sapporo anstoßen. Ich weiß jetzt schon, dass ich bei der Siegerehrung nicht realisieren werde, dass ich diese Silbermedaille für immer behalten darf.
Idriss Gonschinska, DLV-Vorstandsvorsitzender
Diese Silbermedaille über 50 Kilometer Gehen für Jonathan Hilbert ist Ausdruck einer absoluten Fokussierung und der verdiente Lohn für die jahrelange akribische Arbeit im deutschen Geher-Team. Schon bei den letzten internationalen Großereignissen hat sich abgezeichnet, dass unsere Geher in der absoluten Weltspitze mithalten können. Die fantastische Silbermedaille ist ein ganz besonderer Moment für die deutsche Leichtathletik und ein tolles Signal für die letzten drei Wettkampftage bei den Olympischen Spielen. Wir haben uns vorgenommen zu performen, wenn es darauf ankommt und um jeden einzelnen Zentimeter und jede Sekunde zu kämpfen. Genau das hat Jonathan getan und sich keine Grenzen gesetzt. Diese Energie wollen wir in die folgenden Wettbewerbe tragen.
Annett Stein, Chef-Bundestrainerin
Jonathan hat heute eine Weltklasse-Leistung auf die Straße gezaubert. In überzeugender Art und Weise hat er den gesamten Wettkampf mitgestaltet und war immer aufmerksam. Man spürte förmlich, dass er bereit ist, diese Medaille zu gewinnen. Herzlichen Glückwunsch an das gesamte Team um Bundestrainer Ron Weigel! Wir haben in Tokio in Gruppen vor den PCs gesessen und mitgefiebert. Diese Medaille bringt dieser Disziplin die verdiente Aufmerksamkeit zurück.
Carl Dohmann (SCL Heel Baden-Baden)
Ich bin enttäuscht von meiner Leistung. Nach meinen Top Ten-Platzierungen in London, Berlin und Doha hatte ich natürlich nicht den Anspruch nicht mal unter die ersten 30 zu kommen. Nachdem ich in Rio vor fünf Jahren nicht ins Ziel gekommen bin, war es mein Mindestziel, dass ich diesmal auf jeden Fall bis zum Ende durchgehe. Immerhin das habe ich geschafft. Ich denke an alle Menschen, die mich unterstützt haben, allen voran an meinen Trainer Robert Ihly, der in guten sowie in schlechten Zeiten für mich da war. Und auch an meine Familie, an meine Freunde und alle Unterstützer. Ich habe versucht, mich mit einer guten Leistung zu bedanken. Das ist mir leider nicht gelungen.
Herzlichen Glückwunsch an Jonathan und die herausragende Leistung. Die Medaille kann das Gehen in Deutschland in ein deutlich populäreres Licht stellen, das ist gut für uns alle. Ich selbst bin enttäuscht, ich habe es besser gemacht als in Rio. Mehr aber auch nicht. Ich verspreche, dass ich es analysieren und dann nächstes Mal besser machen werde. Ich werde zurückkommen, aber es wird harte Arbeit werden.
Quelle: leichtathletik.de – DLV – Nicolas Walter