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18
07
2012

Olympische Spiele - In London drängt die Zeit - AUF DIE PLÄTZE: FERTIG! - Matthias Thibaut im Tagesspiegel ©LONDON 2012

Olympische Spiele – In London drängt die Zeit – AUF DIE PLÄTZE: FERTIG! – Matthias Thibaut im Tagesspiegel

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„Vergessen wir nicht, dass es sich um das fantastischste Sportereignis der Welt handelt“, sagte die britische Innenministerin Theresa May kürzlich. Daran erinnert sie nicht ohne Grund: Wenige Tage vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 2012 kämpft London noch mit negativen Schlagzeilen und skeptischen Bürgern.

Wie weit sind die Olympiabauten?

Vor einem halben Jahr erklärte Olympiachef Seb Coe: „Wir sind startklar“. Alle Bauten seien „innerhalb des Zeitrahmens und des Budgets fertig gestellt“, freute sich Olympiaminister Jeremy Hunt. Doch am Sonntag wurden dann 40 nationale Teamchefs darüber informiert, dass der olympische Park teilweise erst am 23. Juli eröffnet werden könne – vier Tage bevor das olympische Feuer entzündet wird.

„Athener Zustände?“, fragte die Presse. „Nein, nur die letzten Vorbereitungen, damit die Sportstätten absolut spektakulär und funkelnagelneu aussehen“, beruhigte ein Sprecher des Organisationskomitees LOCOG. Seb Coe behauptete, „bis zum Eröffnungstag wird Rasen gemäht“, dabei ist der Rasen an manchen Stellen noch gar nicht gelegt. Überall stehen Planierraupen und Fahrkräne im vom Regen aufgeweichten Matsch. Fernsehtechniker legen Kabel und Hunderte von Arbeitern sind noch dabei, die Sitze in Austragungshallen zu montieren. IOC-Chef Jacques Rogge winkte gelassen ab. „Es ist normal, dass Olympiastädte erst im letzten Moment fertig werden. Da ist London nichts besonderes“, zitiert ihn die Nachrichtenagentur AP.
 
Immerhin hat LOCOG termingerecht begonnen, die 32 Veranstaltungsorte olympiagerecht mit Fahnen, Logos und olympischen Ringen zu schmücken. Als erstes wurde der „Look of the Games“, das Farb- und Designschema, in der Wasserpolo Halle vorgeführt. Dabei handelt es sich um eine in silberne Folio verpackte Interimskonstruktion mit aufblasbarem Dach, die nach den Spielen wieder abgebaut wird. Bleiben wird das Olympische Dorf. Wohnungen für 17 000 olympische Sportler werden nach den Spielen in 2800 Wohneinheiten für Londoner umgebaut – über 4000 Londoner haben sich bereits für diese Wohnungen beworben, die als „erschwingliche Eigenheime“ mit Zuschüssen gekauft werden können.

Wird der Verkehr zu Olympia reibungslos funktionieren?

Ein großer Stein fiel der Londoner Verkehrspolizei am Freitag vom Herzen, als der Autobahnzubringer vom Flughafen Heathrow mit der Sonderspur für die Olympioniken wieder eröffnet werden konnte. Vor zwei Wochen wurden Risse in einem Viadukt entdeckt und die gesamte Autobahn wurde für Reparaturarbeiten gesperrt. Nun werden die Busse mit Athleten und Nationalteams über das „Olympic Route Network“ (ORN) durch die Stadt geleitet – 35 Meilen Sonderspuren, die Athleten, ihren Teamhelfern, IOC-Mitgliedern und wichtigen Sponsoren vorenthalten sind. Londoner dagegen, die 130 Pfund Strafe zahlen müssen, wenn sie sich auf die Spuren verirren, sprechen grimmig von „Bonzenspuren“. Taxifahrer drohen, einfach zu Hause zu bleiben, wenn der Kampf um den Straßenraum aussichtslos wird. „Kein Fahrgast will in einem Taxi sitzen, das nicht vorankommt“, warnt die Taxizentrale. U-Bahnen und der Hochgeschwindigkeitszug „Javelin“ fahren in sechs-Minuten-Takt zum Olympiabahnhof Stratford, aber Londoner Alltagsnutzer der Verkehrssysteme stehen ansonsten in direkter Konkurrenz mit Olympia.

Die Verkehrskampagne „Get Ahead of the Games“ gibt Ratschläge, wie man den Spielen zuvorkommt. Bester Rat: Zu Hause bleiben. Mehr Teile Londons würden betroffen, als sich die Londoner träumen lassen, warnen die Behörde und hoffen, dass 30 Prozent der Londoner Urlaub machen oder von zu Hause arbeiten. In zentralen Umsteigebahnhöfen warnen Plakate, zu Stoßzeiten könne es bis zu einer Stunde dauern, bevor man in eine U-Bahnstation überhaupt hineinkommt. Wanderkarten zeigen Wege zu weniger überfüllten Bahnhöfen. Wenn alles hängt, sollten Londoner am besten nach der Arbeit noch ins Pub gehen, so ein noch besserer Rat.

Noch ist zudem unklar, ob das Londoner Mobilfunknetz mit dem Ansturm von bis zu fünf Millionen zusätzlicher Nutzer fertig wird. Vor einer Woche hatte das O2 Netz, ganz ohne Olympia, einen Teilzusammenbruch, der über Stunden nicht behoben werden konnte. Die britische Telecom BT hat im Auftrag von LOCOG 500 000 zusätzliche freie Hotspots eingerichtet, die den Handy-Verkehr über das britische 3G Netz entlasten sollen. Aber wenn sich zu viele Menschen von den verstärkten Olympia-Brennpunkten entfernen, könnte es eng werden.

 

Wie sicher sind die Spiele?

Seit dem Terroranschlag vom 7. Juli 2005 – ein Tag, nach dem London Olympiastadt wurde – ist London auf der Hut. Das olympische Sicherheitsbudget wurde Jahr für Jahr erhöht – nach einigen Berechnungen liegen die Kosten bereits bei einer Milliarde Pfund. Sicherheitsbehörden betonen, es gebe keine spezifische Drohung gegen die Spiele. Aber vor zwei Wochen wurden in London sechs Personen wegen angeblicher Terrorverschwörung verhaftet und inzwischen angeklagt.

An spektakulären, sogar bedrohlich wirkenden Vorkehrungen ist kein Mangel. HMS Ocean, einer der größten Kreuzer der Royal Navy, ankert seit Freitag in der Themse in der Nähe des Olympiageländes. Er dient als Hubschrauber Landeplatz und Kommandozentrale. Auf Dächern rund ums Olympiagelände wurden Luftabwehrraketen stationiert, Typhoon-Jets stehen auf Luftwaffenstützpunkten in Südengland in Bereitschaft. Notdienste wurde immer wieder auf ihre Tauglichkeit hin getestet und Notfallpläne überarbeitet. Bei einer Großübung im Mai simulierten 2500 Sicherheitsbeamte eine Terrorattacke auf die U-Bahn.
 
Trotzdem ist an Berichten von Sicherheitsfehlern und Schwachstellen kein Mangel. Seit die private Sicherheitsfirma G4S zugeben musste, dass ihr 3500 Mitarbeiter fehlen, ist das Vertrauen erneut gesunken. Einspringen müssen nun in Afghanistan kampferprobte Soldaten. Der „Observer“ berichtete am Sonntag über anhaltende Mängel auf dem für Chaos und Schlangen berüchtigten Flughafen Heathrow – mehrere Personen, die auf einer Terror-Beobachtungsliste stehen, hätten unkontrolliert die Grenze passiert.

Aber es geht nicht nur um Terror. Für Kriminelle aus ganz Europa sei London während der Spiele eine Anlaufstelle, warnt Scotland Yard. Polizisten haben Urlaubssperre, mindestens 27 000 Sicherheitsbeamte werden im Einsatz sein. Wer es durch die enormen Kontrollen ins Stadion schafft – wofür bis zu zwei Stunden gerechnet werden – darf sich aber sicher fühlen. Die Liste der Gegenstände, die konfisziert werden, geht von Messern und Schusswaffen bis zu „spitzigen Kämmen“ und Skateboards. Giftstoffe und Chemikalien, Wifi Router und Golf-Regenschirme, „übergroße Hüte“ und Flüssigkeiten über 100ml sind verboten – auch Wasserflaschen.

Man werde sich bei den Sicherheitsmaßnahmen aber „dezent“ im Hintergrund halten, versprechen Minister trotz allem. Bewaffnete Soldaten zur Sicherung der Spiele seien „normal“, ergänzt Verteidigungsminister Phillip Hammond. Das sei auch bei anderen olympischen Spielen so gewesen.

 

Freuen sich die Londoner auf Olympia?

 

Fragt man die Leute auf der Straße, im Pub, an den Schultoren, lautet die Antwort: Nein. Eher herrscht in der britischen Hauptstadt eine mit Skepsis durchsetzte, grimmige Erwartung.

Aber Londoner sind, was Spiel und Spaß angeht, oft ziemlich blasiert und wenn es dann los geht, doch begeistert dabei. Die Vorbereitungen wurde von Anfang an von einem Strom von Kritik und Debatten begleitet. Über die hohen Kosten, die Sondersteuer der Londoner auf ihre Kommunalabgabe, den Verkauf von Karten, bei dem sie glaubten, den Kürzeren zu ziehen. Es gab – abgesehen von den Dauerdebatten um Sicherheit und Verkehr – einige Kontroversen um ausländische Bauarbeiter und Sponsorenverträge. Nur Wochen vor Beginn der Spiele bekundete die Hälfte der Londoner in Umfragen, „kein Interesse“ an Olympia zu haben. Nur 51 Prozent glauben, dass die Spiele der Stadt Vorteile bringen.

Aber wenn am 27. Juli morgens die Glocken läuten und das Spektakel beginnt, werden die Londoner sicher begeistert bei der „größten Party der Geschichte“ dabei sein, die Bürgermeister Johnson ihnen verspricht.

 

Matthias Thibaut im Tagesspiegel, Dienstag, dem 17. Juli 2012

author: GRR

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