Blog
18
03
2008

Die Kraft des Sports kann viel Gutes bewirken, aber unter falscher Regie erwächst aus ihr auch eine Gefahr. Der Streit um die Olympia-Hoheit zwischen Markt und Moral vor tibetischer Kulisse zeugt von diesem Risiko und weist über Pekings Spiele hinaus.

Olympische Spiele in China – Die Politik der Ringe – Ein Kommentar von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Die Boykott-Diskussion dieser Tage wird am Ende das Wertvollste sein, was vom großen Sporttheater Olympia übrigbleibt. Erstens rückt nun die repressive Politik des Gastgebers China in den geschärften Blick der Weltöffentlichkeit.

Und zweitens wirft die Debatte um Boykott oder nicht Boykott nach dem brutalen Vorgehen des chinesischen Militärs in Tibet ein Licht darauf, wie der Sport sich selbst sieht in den Konflikten der Gegenwart: als eigene Welt nämlich, die unberührt bleiben will von den Einflüssen da draußen, sofern sie kein Geld bringen.

Eine Institution wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) sieht sich als Veranstalter einer globalen Party, die im Zeichen hoher Moral gefeiert wird, letztlich aber vor allem Interessen von Sponsoren und Sportindustrie bedient. Es geht dabei weniger um Botschaften als vielmehr um Märkte und um das sogenannte Produkt Sport, das gerade dadurch attraktiv wird, dass es harmonisch daherkommt – eine ideale Mischung aus Werten und Massenunterhaltung.

Die Freiheit, dieses Produkt gewinnbringend zu entwickeln, ist dabei ein gewünschtes Gut. Politische Freiheit stört dagegen im Zweifel. In ihrem Zweckdenken sind sich der Sport und China ziemlich ähnlich.

Ist ein Boykott der Show sinnvoll?

So erklärt es sich auch, dass das IOC die Spiele vor sieben Jahren an eine Nation vergab, die zwar für einen enormen, explosiv wachsenden Markt stand, aber nicht für Menschenrechte und saubere Umwelt. An dieser Entscheidung ist jetzt nichts mehr zu ändern. Die Sportlobby hat Medienwelt und Athleten in die Situation gebracht, Teil einer chinesischen Inszenierung zu sein, die alle Abgründe der Parteidiktatur mit herrlichen Bildern und Bauten überblendet.

Ein Boykott der Show? Diese Alternative gibt es im Grunde gar nicht. Ein Boykott würde die Fronten zwischen China und der demokratischen Welt nur verhärten und Symptome eines neuen Kalten Krieges befördern. Die Boykotte der Spiele 1980 in Moskau durch Teile des Westens und der Spiele 1984 von Los Angeles durch Teile des Ostens haben nicht mehr gebracht als einen Eintrag in der Chronik des Ost-West-Konflikts und Sportlerfrust; abgesehen davon, dass schon damals keine einheitliche Boykottlinie herzustellen war.

Besäße das IOC ein politisches Gewissen, wollte es eine ernstzunehmende Rolle in der globalen Gesellschaft spielen außer als Jongleur von Wirtschaftsinteressen, dann hätte es 2001 die Spiele nicht nach Peking vergeben. Es hätte seine Entscheidung in die ferne Zukunft gelegt und in China auf deutliche Fortschritte in Fragen der Menschenrechte und des Umweltschutzes gewartet.

Aber so kompliziert denkt der Sport nicht. Das kann man aus den Worten der Athleten zur Boykottfrage herauslesen. Die Sportler sind so verhaftet in ihrem strapaziösen Alltag, dass sie sich nicht von höheren Mächten ihre Ziele zerstören lassen wollen. Das zeigen vor allem die empörend oberflächlichen Äußerungen hoher Funktionäre wie des IOC-Vizepräsidenten Thomas Bach, der als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes auch der höchste Repräsentant des hiesigen Sports ist.

Verquere Logik

Bach verteidigt die chinesischen Gastgeber und verweist auf die Reformen des KP-Kapitalismus. Er verschanztsich hinter der Tatsache, dass das IOC "kein politisches Mandat" habe. Er weist es als Errungenschaft aus, mit den Spielen ein Forum zu schaffen, in dem Journalisten und Sportler ihren Standpunkt deutlich machen können.

Das ist eine verquere Logik: Was das IOC an politischer Schärfe nicht aufbringt, sollen offenbar die sonst im Sport nicht so wohlgelittenen kritischen Fragesteller besorgen und die Athleten, die ohnehin schon von allen Seiten instrumentalisiert werden: als Vortänzer der Peking-Party, als nationale Leistungssymbole, als Hauptdarsteller einer Fernsehseifenoper – und jetzt auch noch als gutes Gewissen der aufgeklärten Welt.
Dabei sind die Sportler nicht einmal frei, jedes Zeichen zu setzen: Symbolhandlungen und Schriftzüge, die mit den Zielen der Spiele-Sponsoren kollidieren, sind verboten in den olympischen Arenen.

Da verklärt jemand die olympische Welt und wird letztlich selbst zum Instrument der Propaganda. Hatte Bach im Fernsehen nicht zufrieden erklärt, dass Pressefreiheit herrsche während der Spiele? Diese olympische Pressefreiheit ist in Wahrheit ein Symbol der chinesischen Kontrollwut.

Denn sie ist befristet und gilt nur für ausländische Journalisten. Genau mit solch lückenhaften Darstellungen machen sich Funktionäre zum Werkzeug des KP-Apparats, und man fragt sich, was so ein Sportgrande noch alles mitträgt, wenn nur die Bedingungen stimmen.

Die Kraft des Sports kann viel Gutes bewirken, aber unter falscher Regie erwächst aus ihr auch eine Gefahr. Sport kann man kaufen, was ihn dem Risiko aussetzt, missbraucht zu werden.

Der Streit um die Olympiahoheit zwischen Markt und Moral vor tibetischer Kulisse zeugt von diesem Risiko und weist über Pekings Spiele hinaus. Für 2014 hat sich Sotschi das olympische Werteetikett gesichert. Russland also, der nächste explosiv wachsende Sportmarkt mit gewissen Defiziten.

Ein Kommentar von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Dienstag, dem 18. März 2008

author: GRR

Comment
0

Leave a reply