Pferde werden wegen der klimatischen Bedingungen entlastet; der Geländeritt der Vielseitigkeit ist gekürzt und seine Hindernisse sind verkleinert worden. Für Menschen gibt es, wenn mehr als Spannung in der Luft liegt und dies die Gesundheit bedroht, lediglich die Möglichkeit, die Startzeit zu verschieben.
Olympia-Kommentar – Es liegt was in der Luft – Freitag morgen in Peking – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die Luft ist rein – lasst uns endlich anfangen! Das könnte auch ein olympisches Motto sein, schließlich ist es griffig, optimistisch und trifft im Detail eher nicht so ganz zu. Je näher die Eröffnungsfeier und die ersten Wettbewerbe rücken, desto dicker wird die Luft in Peking. Wer den Wirkungsbereich der überall blasenden Klimaanlagen verlässt, dem legt sie sich wie ein feuchtes, heißes Tuch über Gesicht und Körper.
Die klimatische Belastung ging an manchen Orten mit üblem Geruch und, für manche empfindlichen Menschen, mit tränenden Augen sowie kratzendem Hals einher. Athleten, die lange Läufe zu absolvieren haben, trainieren deshalb im klimatisierten Kraftraum auf Bändern.
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Eigentlich eigne sich der September besser für Sport
Die Organisatoren der Spiele räumten am Freitag, dem Tag der Eröffnungsfeier, ein, dass man in Peking Sport eigentlich besser im September treibe. Dann sei es nicht ganz so heiß und auch weniger feucht. Die Olympischen Spiele, der wichtigste Wettbewerb in fast allen der 28 Sportarten, werden allerdings, wenn das Klima günstiger ist, vorüber sein. Die Medaillen sind dann längst vergeben.
So habe es der internationale Sportkalender leider vorgeschrieben, sagen Chinas Funktionäre entwaffnend offen. Sie versuchten mit Statistiken zu belegen, welch enorme Fortschritte sie bei Bekämpfung der Luftverschmutzung gemacht hätten. Sie konnten sich sogar der Unterstützung von IOC-Präsident Jacques Rogge gewiss sein, der darauf hingewiesen hatte, dass das, was kritische Ahnungslose für Smog hielten, ganz normaler Nebel sein könnte.
Dass die Luft gut ist, behauptet nicht einmal Jacques Rogge
Mit seiner Freundlichkeit lag Rogge nicht völlig daneben. Die Luft muss schließlich besser geworden sein in Peking, seit die Gastgeber von Staats wegen Fabriken stillgelegt, die Hälfte der Autos aus dem Verkehr gezogen, alle Bauarbeiten gestoppt und Abermillionen Bäume gepflanzt haben. Dass sie nun gut wäre, hat nicht einmal der IOC-Präsident behauptet.
Die chinesischen Herrscher über Zahlen- und Menschenkolonnen müssen sich allerdings sagen lassen, dass niemand in Peking Daten atmet. Die Luft trug vor dem großen Fest zum Auftakt immer mehr Wassermoleküle, an denen Staub- und Schmutzpartikel hingen – auch ein Fall von Intransparenz. Nichts wünschten sich die Pekinger und ihre Herrscher mehr als reinigende Schauer – vermutlich nicht ganz so wie den Niederschlag, der gerade Hongkong und die olympischen Reitplätze überflutete.
Dem Aufruf zu mehr Pressefreiheit wurde schnell die Luft abgeschnitten
Pferde werden wegen der klimatischen Bedingungen entlastet; der Geländeritt der Vielseitigkeit ist gekürzt und seine Hindernisse sind verkleinert worden. Für Menschen gibt es, wenn mehr als Spannung in der Luft liegt und dies die Gesundheit bedroht, lediglich die Möglichkeit, die Startzeit zu verschieben. Haile Gebrselassie, der schnellste Marathonläufer der Welt, hat deshalb umgesattelt von der Straße ins Stadion. Statt 42,195 läuft er, frei atmend, zehn Kilometer.
Einen besonderen Einsatz zur Luftreinhaltung hatte die chinesische Polizei am Freitagmorgen am Olympiastadion. Zwölf Stunden vor der Eröffnung, um acht Uhr morgens, war ein Sender der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ mit einem Aufruf für Pressefreiheit und zur Freilassung von politischen Gefangenen einige Minuten lang „on Air“.
Er verstummte schnell. Die chinesischen Autoritäten verfügen, so oder so, über die Lufthoheit.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 8.08.2008