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07
08
2016

Joachim Gauck? Fehlte bei der Eröffnungsfeier. Thomas de Maizière? Ist auch nicht in Rio? Die ranghohen Politiker Deutschlands machen sich rar bei großen Sportereignissen. Das hat Gründe.

Olympia-Kommentar – Die Politik meidet den Sport – Michael Reinsch, Rio de Janeiro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Vermutlich ist die Leistungsfähigkeit der deutschen Mannschaft nicht in Gefahr durch die jüngsten Absagen. Aber Gewicht hat es schon, dass erst der für die Spitzensportförderung des Bundes zuständige Bundesinnenminister und dann das Staatsoberhaupt ihre Besuche in Rio abgesagt haben.

Thomas de Maizière verwies zur Entschuldigung auf seine wichtigste Aufgabe, die innere Sicherheit; seine Verantwortung halte ihn in Berlin. Der Bundespräsident ließ mitteilen, dass eine schmerzhafte Vereiterung die Reise verhindere. Statt zur Eröffnungsfeier ins Maracanã geht es für Joachim Gauck zum Zahnarzt. Mit Verlaub: Das Team wird’s verkraften.
 
Sport und Politik scheinen dabei zu sein, ihr Verhältnis neu zu sortieren. Deutschlands erster Fan der Fußball-Nationalmannschaft, die Bundeskanzlerin, ließ schon bei der Europameisterschaft eine auffällige Lücke auf der Ehrentribüne und in der Kabine des Teams.

Sie äußert sich nicht dazu, doch dürfte die Vermutung nicht abwegig sein, dass die anhaltenden Skandale im deutschem, europäischen und im Welt-Fußballverband ihr den Ausflug verleideten. Wer mag schon in Gesellschaft von Männern sein, die in den Fußstapfen von Blatter und Platini gehen? Und wer will, in der Politik noch wichtiger, mit ihnen fotografiert und gefilmt werden?

Auch Thomas de Maizière scheint aus Kalkül auf Nummer sicher zu gehen. Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees und mit dem Innenminister freundschaftlich verbunden, hat seinen Ruf und den Olympias schwer beschädigt, indem er den Repräsentanten des russischen Staats-Dopings Tür und Tor nach Rio geöffnet hat.

Da muss man nicht dabei sein, wenn das Team Moskaus mit Flagge und Hymne einmarschiert.

Da setzt man sich eher nicht der Frage aus, ob das denn zu glauben sei, dass ein und derselbe Mann zero Toleranz und den Schutz sauberer Athleten beschwört und zugleich vor dem Staat einknickt, der seit Jahren die wichtigsten Wettkämpfe einer Vielzahl von Sportarten bis hin zu den Olympischen Winterspielen durch systematisches Doping und die Manipulation von Kontrollen sabotiert hat.

Da weicht man besser der Frage aus, wie sich die Regierung eine überzeugende Doping-Bekämpfung vorstellt, da die Anti-Doping-Agenturen der Welt beim IOC plötzlich nichts mehr zu melden haben und die Kronzeugin der Enthüllung desavouiert ist.

Gauck, der Präsident auf Abschiedstournee, dürfte sich nicht gedrückt haben vor der Begegnung mit Bach. Andere mögen Bauchschmerzen haben, wenn sie an ihn denken,

Gauck quält, so ist zu hören, wirklich der hohle Zahn.

Doch auch seine Abwesenheit lässt sich als Botschaft verstehen: Ohne Biss geht’s nicht.

Michael Reinsch, Rio de Janeiro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 6. August 2016

author: GRR

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