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08
2016

2015 IAAF World Championships Beijing, China August 22-30, 2015 Photo: Andrew McClanahan@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET

Olympia in Rio – Willkommen im Zirkus Bolt – Michael Reinsch, Rio de Janeiro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Olympischen Spiele mögen schon am Freitag begonnen haben, der Hauptdarsteller ist jedoch erst am Montag in Rio eingetroffen: Usain Bolt ist da und ließ es alle wissen.

Die Olympischen Spiele von Rio, am Freitag eröffnet, können allmählich beginnen. Der Hauptdarsteller ist in der Stadt. Am Montagabend ließ er es alle wissen; da öffnete der Zirkus Bolt seine Tore.

Usain Bolt, der schnellste Mensch der Welt, ließ sich von Samba, Rap und schönen Frauen umspielen und sorgte mit seiner unglaublichen Mischung aus Selbstsicherheit, Egozentrik und Charme dafür, dass selbst abgebrühten Journalisten der Mund offen stehenblieb. 

Nun gut, man kann die drei-, vierhundert Gäste einer Veranstaltung, die auf der Theaterbühne der Cidade das Artes stattfindet, einem gigantischen Betonbau namens Stadt der Kunst, und angeblich eine Pressekonferenz ist, schon mal beim Reinkommen wissen lassen, dass ihr Applaus zu dünn sei. „Das geht lauter“, rief Bolt durch die Musik, ruderte mit den Armen und kündigte sich selbst noch einmal an: „Hier kommt Usain Bolt!“

Zufrieden nahm er das Klatschen entgegen, schlenderte in die Mitte der Bühne, während er den Blick über die dicht an dicht stehenden Kameras gleiten ließ, und setzte sich zum Interview vor eine Kulisse nieder, welche, als sei’s programmatisch, die Raffinesse moderner Werbung mit dem Stolz des jamaikanischen Sports verbindet.

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Puma hatte dort sein Logo nach oben und unten, nach rechts und links bis in die Unendlichkeit abwechselnd mit der jamaikanischen Flagge und den olympischen Ringen abgebildet, und gewiss nicht zufällig schien sich das Markenzeichen aus Herzogenaurach mit dem Olympias zu verbinden.

Da der Moderator der Veranstaltung, der frühere Dreispringer Jonathan Edwards, vor Bolt den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees auf die Bühne gebeten hatte, Michael Fennell, war die wirkungsvolle Verbindung von Firmen-Logo und den wertvollen Ringen wohl irgendwie vom Ambush zu rechtmäßigem Marketing aufgestiegen.

So viel zum Hintergrund. Im Vordergrund saßen Hunderte von Männern und Frauen mit Presse-Akkreditierungen für die Olympischen Spiele, erlebten ein nettes Interview, in dem es auch ein wenig um das Hundert-Meter-Finale am Sonntag ging, und wurden aufgefordert, Fragen zu stellen. Um mögliche Rivalen ging es, darum, wie es sich anfühlt, Usain Bolt zu sein, und, natürlich, um die Sauberkeit der Leichtathletik.

Ein junger Mann bekam das Wort und das Mikrophon, und er gestand auf Englisch mit norwegischem Akzent: „Ich habe gar keine Frage. Ich will nur sagen, dass ich dich liebe.“

Dann brach er in einen Rap aus, in dem es um schnelle Beine, tolle Moves, einen goldenen Ring und den Unfall von der Weltmeisterschaft in Peking ging, bei dem ein Kameramann auf Rädern Bolt umgefahren hatte. „Ich hoffe, dass du gewinnst, auch wenn ein Segway kommt.“ So reaktionsschnell Bolt auch nach dem Telefon in seiner Hosentasche griff, da war der schnellste Mann der Welt nicht schnell genug.

Gemeinsam mit dem Moderator überredete er den jungen Mann, das Gereimte noch mal zum Besten zu geben, und nun filmte er ihn. Wenige Minuten später ließ Bolt via Snapchat die Welt an seiner kruden Huldigung teilhaben.

„Ich gehe raus und lasse die Zuschauer staunen“

Niemand kam auf die Idee, den vermeintlichen Fan rauszuwerfen oder ihm die Akkreditierung als Reporter abzunehmen. Das hätte einige Schwierigkeiten gemacht. Der junge Mann im roten Polohemd ist Helt Ramm vom norwegischen Sender NRK, der sich seit Jahren einen Spaß daraus macht, Helden des norwegischen Sports zu parodieren, und im Alltag als Sportmoderator arbeitet. Er scheint ins internationale Geschäft aufsteigen zu wollen. Wie man dort besteht, zeigte souverän Bolt.

Er erzählte ein bisschen darüber, wie hart ihn sein Trainer kritisieren kann, machte sich ein bisschen über seinen Mannschaftskameraden Asafa Powell lustig, der angeblich immer und überall seinen nackten Oberkörper zeigen will, und lobte sogar Rio und die Organisation der Spiele – mit der Einschränkung, dass er den dringend nötigen Fernseher, der auf seinem Zimmer fehlte, selbst gekauft habe.

Auf Fragen nach der Glaubwürdigkeit des Sports, dem Thema dieser Spiele, hatte er diese Antwort: „Ich mache mir nie Gedanken über Doping-Mittel. Ich geh raus und starte und lasse die Zuschauer staunen. In ein paar Jahren, denke ich persönlich, wird das Thema erledigt sein.“

Denn: „Wir gehen in die richtige Richtung. Wir jäten die Schlechten raus, wir sind auf dem rechten Weg.“

Am Freitag geht mit der Leichtathletik, einer der höchstbelasteten Sportarten, der Zirkus richtig los.

Michael Reinsch, Rio de Janeiro in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 10. August 2016


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