Eine Bewerbung muss also getragen werden vom Willen des Landes, nicht nur der Stadt, und das bedeutet vor allem: von den Menschen.
Olympia in Berlin: Wann, wenn nicht jetzt – Lorenz Maroldt im Tagesspiegel
Citius, altius, fortius – so lautet das offizielle Motto der Olympischen Spiele, und so sieht mancher auch Berlin: immer schneller, höher, stärker.
Tatsächlich konnte man sich zuletzt vor guten Nachrichten kaum retten. Eine wirtschaftsfreundliche Lobbyvereinigung bescheinigte der rot-rot-regierten Stadt größte Dynamik; die Zahl der Touristen steigt weiter und weiter, die der Einwohner auch; Berlin ist die weltweit viertbeliebteste Stadt für Kongresse, sogar die Modewoche, lange belächelt, wird international beachtet, die Branche boomt. Und dann auch noch das: München verliert den Wettkampf um die Olympischen Winterspiele, der Weg ist wieder frei für andere deutsche Städte. Schon tönt es aus Berlin: Wer, wenn nicht wir!
Schneller, höher, stärker, lauter – das war das inoffizielle Motto der Berliner Bewerbung für Olympia 2000.
Die Betreiber verstanden zwar wenig bis nichts vom Wesen des Internationalen Olympischen Komitees, aber sie konnten sich einfach nichts anderes vorstellen, als dass es die ganze Welt drängte, am Wunder der Wende teilzuhaben. Selbst als ihnen klargemacht wurde, dass entscheidende Stimmen der IOC-Mitglieder zu kaufen sind, hielten sie ihre bescheidenen filzokratischen Erfahrungen für ausreichend. Das Ergebnis dieser Selbstüberschätzung war eine peinliche Pleite.
Wenn Berlin heute ernsthaft eine neue Bewerbung erwägt, steht als Erstes die Frage: Wozu? Von Olympischen Spielen verspricht sich eine Stadt ein gutes Bild in der Welt. Berlins Image aber ist bereits bestens. Die Touristen kommen auch so. Nur muss das nicht so bleiben.
Vielleicht sind die Mauerreste irgendwann mal durch, die besten Clubs Firmenzentralen gewichen, institutionalisierte Großereignisse wie der Karneval der Kulturen und der Christopher Street Day murmeltierartige Zombies. Berlins Anziehungskraft beruht auch darauf, dass die Stadt noch vergleichsweise billig ist, doch das ändert sich. Die freien Räume werden enger, die Angebote ramschiger, die Preise aber steigen. Berlin erscheint „normaler", und die Enttäuschung darüber ist schon zu spüren. Olympische Spiele würden die Stadt eher noch schneller teurer machen, aber sie könnten ihr auch etwas Besonderes, Wertvolles geben, zumal dann, wenn sie einer etwas anderen Idee folgen würden.
Doch die müsste jemand entwickeln, was zur nächsten wichtigen Frage führt: Wer soll's denn machen? Becker, Bach, Beckenbauer – dann lieber nicht. Eine Bewerbung Berlins muss mehr sein als eine Hoffnungsrunde für stolzverletzte deutsche Sportfunktionäre oder politische Ego-Shooter. Die haben das IOC bisher auch schon nicht knacken können.
Und wie soll das gehen? Allen Versprechungen zum Trotz haben Bewerberstädte fast immer öffentliche Mittel zuschießen müssen, Berlin aber hat weniger als nichts, die Stadt ist ohne Bundeshilfe auf Dauer nicht handlungsfähig. So dynamisch die Entwicklung der Wirtschaft auch sein mag, das Niveau ist bescheiden.
Eine Bewerbung muss also getragen werden vom Willen des Landes, nicht nur der Stadt, und das bedeutet vor allem: von den Menschen. Ohne Volksabstimmung geht das nicht. Andererseits hat Berlin bereits vieles, was anderswo erst teuer gebaut werden müsste; die Bewerbung damals war weit besser als die Personen, die sie repräsentierten.
Und die S-Bahn fährt ja auch bald wieder richtig. Also wann, wenn nicht jetzt?
Lorenz Maroldt im Tagesspiegel, Sonntag, dem 10. Juli 2011