Wie also umgehen mit den Olympischen Spielen in einem autoritären Land, in dem die meisten Todesurteile weltweit vollstreckt werden, Folter und Schikane Normalität sind?
Olympia – Feiern in einem gefesselten Land – Verbessert Olympia die Menschrechte? China verspricht es, der Sport glaubt es, viele Aktivisten zweifeln. Friedhard Teuffel und Benedikt Voigt im Tagesspiegel
Ein halbes Jahr vor dem Beginn der Olympischen Spiele hat das Gastgeberland einen ersten Rekord aufgestellt. Es ist ein trauriger. China ist das Land mit der wohl jüngsten politischen Gefangenen. Sie heißt Qianci, ist drei Monate alt und steht wie ihre Mutter Zeng Jinyan seit dem 27. Dezember unter Hausarrest.
An jenem Tag stürmten 20 Polizisten ihre Wohnung in einem Pekinger Vorort, kappten Telefon- und Internetverbindung und verhafteten Qiancis Vater, den Menschenrechtsaktivisten Hu Jia. Das alles geschah in einem Neubauviertel mit dem Namen „Bobo Freedom City“. Bobo – Stadt der Freiheit.
Mit der Menschenrechtsfrage in China verhält es sich vor den Spielen sehr widersprüchlich: Einerseits hat China am Dienstag überraschend den wegen angeblicher Spionage verurteilten Journalisten Ching Cheong vorzeitig aus der Gefangenschaft entlassen. Andererseits stellte die Organisation Human Rights Watch jetzt fest, dass sich die Situation für die Menschenrechtsaktivisten in China verschlechtert habe: „Wir beobachten einen systematischen Versuch, jene chinesischen Bürger zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen, die bei der Regierung eine größere Achtung der Grundrechte voranzutreiben versuchen.“ Hu Jia ist bereits der sechste Menschenrechtsaktivist in China, der innerhalb eines Jahres wegen Anstiftung zum Umsturz angeklagt wird.
Wie also umgehen mit den Olympischen Spielen in einem autoritären Land, in dem die meisten Todesurteile weltweit vollstreckt werden, Folter und Schikane Normalität sind? Nicht-Regierungsorganisationen fordern mehr Druck auf die chinesische Regierung, die perfekte Spiele organisieren und damit ihre Rückkehr als Weltmacht demonstrieren will. „Die Weltgemeinschaft muss China dazu drängen, dass es die eigenen Versprechungen erfüllt, die das Land 2001 bei der Vergabe der Spiele gemacht hat“, sagt Minky Worden, China-Expertin von Human Rights Watch. Damals hatte ein Vizebürgermeister Pekings die Verbesserung der Menschenrechte in Aussicht gestellt. Ähnlich äußerte sich jüngst der chinesische Botschafter in Deutschland Ma Canrong. Gleichzeitig betonte er: „Die Konfrontationshaltung in der Menschenrechtsfrage ist falsch.“
Die Organisationen des Sports haben die Versprechungen der Chinesen jedenfalls dankbar aufgenommen. „Ich glaube, dass die Spiele die Menschenrechtssituation verbessern, weil sie China öffnen werden. Es werden mehr als 20 000 Medienvertreter im Land sein, und die Chinesen wissen, dass die Augen der Welt auf sie gerichtet sind“, hat Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), gesagt, zu hohe Erwartungen aber zurückgewiesen: „Man darf uns nicht mit einer Regierung vergleichen. Es wäre unangemessen, vom IOC mehr zu verlangen, als die Regierungen in den vergangenen 25 Jahren tun konnten.“
Mit offener Kritik an der Missachtung der Menschenrechte hält sich das IOC zurück. Es hat sich – wenn überhaupt – für diskrete Politik entschieden. Organisationen wie Amnesty International fordern jedoch beides: Diplomatie hinter verschlossenen Türen und öffentliche Kritik, damit das Regime sich rechtfertigen muss.
Dass sich auch die Sportler zumindest nach ihren Wettkämpfen in China umsehen, wünscht sich zum Beispiel die ehemalige Fecht-Weltmeisterin Cornelia Hanisch. Sie reiste Anfang der Achtzigerjahre zu einem Sportleraustausch nach China und engagierte sich in der Aktion „Sportler für den Frieden“. „Die Athleten sollten mit der Bevölkerung offen reden und darüber auch berichten“, sagt Hanisch, „sie können sich dabei auch spontan als Gruppe zusammentun. Man sollte den Chinesen durchaus etwas zumuten.“
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) will den Athleten keine Vorschriften machen, wie sie sich in Peking zu verhalten haben. „Es wird keine Sprachregelung geben in dem Sinne, dass die Athleten vorgestanzt bekommen, was sie zu sagen haben“, sagt Generaldirektor Michael Vesper. 2007 hat der DOSB ein Positionspapier beschlossen, in dem er von China die Einhaltung der Menschenrechte fordert. „Das ist prinzipiell gut“, sagt Dirk Pleiter, China-Experte von Amnesty International, „aber der DOSB hat noch keinen Weg gefunden, das umzusetzen.“
Hilft Olympia den Menschenrechten in China nun oder schadet es ihnen sogar? Für Todesurteile gibt es inzwischen eine zentrale Überprüfungsinstanz, ausländische Journalisten können jetzt freier in China arbeiten, und ein Gesetz schreibt für die 200 Millionen Wanderarbeiter Arbeitsverträge vor. Doch immer noch lässt das Regime seine eigenen Bürger verfolgen und hinrichten. Bao Tong, ehemaliger Funktionär der Kommunistischen Partei und einer der bekanntesten Dissidenten Chinas, sagte der Zeitung „South China Morning Post“: „Die Olympischen Spiele bringen mehr Hoffnung, selbst wenn sie gleichzeitig mehr Unterdrückung bringen.“
Der Widerspruch bleibt.
Friedhard Teuffel und Benedikt Voigt
Der Tagesspiegel, Freitag, dem 08. Februar 2008