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19
03
2008

Es ist falsch, dass das IOC in der Tibet-Frage jegliche Boykottdrohung ablehnt, weil es sich nicht politisch vereinnahmen lassen will. Mit den Mitteln der Diplomatie könnte gehörig Druck auf China ausgeübt werden - das in diesen Zeiten weich und verletzlich ist wie selten.

Olympia boykottieren? Da darf man nicht nur spielen – Kommentar von Friedhard Teuffel auf der Titelseite des Tagesspiegel

By GRR 0

Übers Wochenende ist eine fast vergessene olympische Disziplin wieder aufgetaucht: das Boykottieren. Sie schien nach dem Ende des Kalten Krieges schon ausgestorben, ohne Blockbildung hatte sie ihren Reiz etwas verloren. Doch jetzt, da in Tibet chinesische Soldaten und Polizisten auf Demonstranten losgehen, ist sie auf einmal wieder Teil der olympischen Bewegung.

Bisher befinden sich mögliche Boykotteure in der Trainingsphase, noch hat kein Staat und kein Sportverband sich entschieden, China dafür zu bestrafen, dass in Tibet Gewalt herrscht und das Regime seine Bürger verfolgt. Aber ein fröhliches Sportfest können die Olympischen Spiele in Peking kaum noch werden.

Nützt ein Boykott den Menschen in China und Tibet mehr, als ihnen die Olympischen Spiele helfen? Sicher wäre die chinesische Politik jetzt nicht derart unter Beobachtung, wenn das Internationale Olympische Komitee nicht vor sieben Jahren die Spiele an Peking vergeben hätte. Und auch die Lage in Tibet wäre nicht so interessant geworden für die Weltöffentlichkeit. Etwas gebracht haben die Spiele auch schon: Ausländische Journalisten dürfen sich in China frei bewegen, und für die Verhängung der Todesstrafe gelten inzwischen, wenn man das als Fortschritt bezeichnen mag, strengere Regeln.

Dagegen steht, dass für olympische Baumaßnahmen in Peking Hunderttausende umziehen mussten, Bauarbeiter unwürdig behandelt werden und die Kommunistische Partei noch schnell versucht, unliebsame Gegner vor Beginn der Spiele loszuwerden. Ob ein Boykott die Lage verbessert oder nicht, kann bei diesem Einerseits und Andererseits nicht klar beantwortet werden. Deshalb geht es erst einmal um etwas anderes.

Schon die Vorstufe ist wichtig, die Androhung von Sanktionen. Bisher weigert sich das IOC, über einen Boykott überhaupt nachzudenken. Es lehnt sogar kategorisch jegliche politische Verantwortung ab. Mit der Begründung, dass der Sport nicht mit einem Ereignis aufholen könne, was unzählige Regierungen mit ihren Diplomaten in den vergangenen Jahrzehnten versäumt hätten.

So hat das IOC einen Schutzwall vor sich aufgebaut, der groß genug ist, um nicht nur sich selbst dahinter zu verstecken, sondern das ganze chinesische Regime gleich mit. Als was sollten die Chinesen die demonstrative Nichteinmischung des Sports deuten, wenn nicht als Aufforderung, weiterhin zu tun und zu lassen, was sie wollen?

Das IOC glaubt, es schlage sich bei einer politischen Äußerung auf eine Seite – und brüskiere die andere. Doch es hat sich längst festgelegt: auf die Wahrung der Menschenrechte. So steht es in der olympischen Charta, die jegliche Form von Diskriminierung ablehnt und außerdem einen Beitrag Olympias für eine friedliche Gesellschaft einfordert.

Die Mitglieder des IOC leben wie Staatsgäste, sie verwalten ein Budget von der Größe eines Staates – und sie treffen Entscheidungen wie Staatsmänner. Etwa die, die Spiele an China zu vergeben. Daher muss das IOC auch mit den Konsequenzen klug umgehen. Dabei können ihm die Mittel der Diplomatie helfen. Warum nicht nach Menschenrechtsverletzungen die olympische Flagge auf Halbmast setzen, warum nicht damit drohen, dass der IOC-Präsident lieber zu Hause bleibt, anstatt sich Spiele in einem Land mit solchen Grausamkeiten anzuschauen? Und sollte das alles nichts helfen, könnte das IOC immer noch die Boykottkeule herausholen.

Jedenfalls braucht das IOC keine Angst zu haben, mit Kritik an chinesischem Beton abzuprallen. China ist weich und verletzlich wie selten, der wirtschaftliche Aufschwung steht nicht auf festem Grund, und das Regime kann sich eine Blamage einfach nicht leisten.

Als der Westen 1980 seine Sportler nicht zu den Spielen nach Moskau schickte und der Osten sich vier Jahre später in Los Angeles revanchierte, war der Sport nur noch Werkzeug der Politik. Nie wieder so abhängig zu sein, das erklärte der Sport danach zum Ziel. Jetzt droht er wieder zum Spielball zu werden – weil das IOC nicht unterscheiden kann zwischen unabhängig und unpolitisch.

Kommentar von Friedhard Teuffel auf der Titelseite des Tagesspiegel am Dienstag, dem 18 März 2008

author: GRR

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