Johannes Vetter - Nur Zaungast, als es drauf ankommt: - Foto: Victah Sailer
Olympia-Ärger bei Vetter:„Das kotzt mich tierisch an“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Speerwerfer Johannes Vetter ist Gold-Favorit und erreicht nicht einmal das Olympia-Finale. Der Bundestrainer macht den Hersteller der Bahn und die Organisatoren gegenüber der F.A.Z. dafür verantwortlich
Bundestrainer Boris Obergföll macht den Hersteller der Bahn und die Organisatoren für das Scheitern von Johannes Vetter bei den Olympischen Spielen verantwortlich.
„Dies war ein unfairer Kampf. Der weiche Untergrund war der killing factor – das war ungefähr so, als würde man die Fußball-Nationalmannschaft aus Eis spielen lassen“, sagte er gegenüber der F.A.Z. „Wir hatten erwartet: ein Untergrund von Mondo, da steht Jojo wie eine Eins. Und dann ist der Untergrund so weich, dass alle, die mit Stemmbein werfen, wegrutschen.“
Gold-Favorit Vetter, der überlegene Speerwerfer dieses und des vergangenen Jahres, wurde mit einem Wurf von 82,52 Metern sowie zwei ungültigen Versuchen Neunter und schied damit vor dem Finale der top acht aus. „Die Anlage kann man nach dem Wettkampf definitiv in die Tonne kloppen“, sagte er in Anspielung darauf, dass der weiche Untergrund den Belastungen des Speerwerfens nicht standhielt und tiefe Schlieren aufwies.
Seine vergangenen neunzehn Wettbewerbe hatte der 28-Jährige, der bei Obergföll in Offenburg am Oberrhein lebt und trainiert, allesamt gewonnen und in diesem Jahr bereits sieben Mal 90 Meter übertroffen, seit Mai ist er mit 96,29 Meter überlegen Jahresbester.
Olympiasieger wurde der Inder Neeraj Chopra mit 87,58 Meter vor den Tschechen Jakub Vadlejch (86,67) und Vitezslav Vesely (85,44). Auf Platz vier kam Julian Weber aus Mainz mit 85,30 Meter. Chopra ist mit einer Bestleistung von 88,07 Meter die Nummer vier des Jahres, Vadlejch verbesserte sich am Samstag von Position 15 der Weltrangliste auf Rang 6, und Vesely steigerte ich von Rang 22 auf 11. Weber profitierte davon, dass er wegen einer Fußverletzung keinen so starken Stemmschritt macht und verbesserte seine Bestleistung des Jahres um 35 Zentimeter.
„Dies ist ein Desaster“
„Jojo steht perfekt drin“, ließ sich Obergföll vom Biomechaniker des Teams bestätigen. Doch mit seinem schnellen Anlauf und seinem kraftvollen Stemmschritt war Vetter zu stark für die Anlage. „Ich würde sagen: Die Anlage war zu schwach für Jojo“, korrigierte der Bundestrainer.
Obwohl sie die längsten Spikes aufzogen, die erlaubt sind, obwohl sie die Organisatoren überreden konnten, die Anlage vor dem Wettkampf mit einigen Zentnern Eis herunterzukühlen und die in der Qualifikation entstandenen Risse zu kleben, fand Vetter in Tokio keinen Halt. „Wenn du deinen Wurf abfackeln willst, rutscht dein Stemmbein einfach weg“, konstatierte Obergföll.
Im ZDF schimpfte Vetter, dass der Untergrund Speerwerfer wie ihn, die einen festen Halt finden müssten, benachteiligt habe: „Ich kann nicht umlernen von der Quali zum Finale. Das kotzt mich tierisch an.“
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Obergföll und sein bester Athlet waren beim Eintreffen in Tokio überrascht worden von dem neu entwickelten Belag, der in den Laufdisziplinen Weltrekorde und Bestleistungen ermöglicht haben soll. Nach Angaben des italienischen Herstellers Mondo enthält er unter einer mit Kautschuk versetzten Oberfläche Lufttaschen, die Läufern federnd die Energie ihrer Schritte zurückgeben und Leistungssteigerungen von bis zu zwei Prozent ermöglichen sollen. Speerwerfer wie Vetter allerdings rutschten darauf weg.
„Dies ist ein Desaster“, urteilte Obergföll: „Mit diesem Boden haben sie den Wettbewerb gecrasht.“ Schon bei der Qualifikation habe der Boden tiefe Schlieren aufgewiesen. Gewinner von Tokio seien Werfer, die auf der Tour keine Rolle gespielt hätten, Athleten, die, wie der Bundestrainer es ausdrückte, „ohne linkes Bein werfen“.
Vetter versuchte sich mit der Aussicht zu trösten, dass er wegen der Verschiebung dieser Spiele durch die Pandemie auf die nächsten Olympischen Spiele, die von Paris, nur drei Jahren statt vier Jahre warten müsse.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 7. August 2021