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28
03
2008

Die zensierten chinesischen Medien malen weiterhin das Bild der harmonischen Spiele - Die Debatte um die Olympischen Spiele in Peking: Welcher Protest ist sinnvoll, welcher kommt an? Deutsche Sportler erwägen Aktionen gegen Chinas Tibetpolitik – allerdings mit Maß.

Olympia 2008 – Alles wunderbar – Die chinesische Öffentlichkeit bereitet sich auf die Olympischen Spiele vor – das Thema Tibet ist tabu. Benedikt Voigt, Peking – Armbänder für den Frieden – Frank Bachner und Lars Spannagel im Tagesspiegel

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Für Cai Xiao Ye beginnen die Olympischen Spiele im Gleichschritt. Die Englischstudentin marschiert am ersten Tag ihres Praktikums im Pekinger Sieben-Sterne-Luxushotel „Pangu Plaza“ gemeinsam mit 32 Mädchen neben einem roten Teppich auf und ab. „Yi, er, yi“ schreit der Sicherheitschef des Hotels, der zuvor bei der chinesischen Volksbefreiungsarmee gearbeitet hat.

Yi, er, yi – eins, zwei, eins. Die Mädchen winkeln die Arme an, ballen die Hände in Hüfthöhe zu Fäusten und marschieren weiter. Das Exerzieren kennen sie aus Schulzeiten. Keine lacht.

Doch Cai Xiao Ye ist eine fröhliche junge Frau. „Ich will ein Teil der Olympischen Spiele werden“, erzählt sie anschließend und zeigt hinter sich auf das ovale Nationalstadion und das würfelförmige Schwimmstadion. „Ist das nicht alles wunderbar?“ Um beim größten Sportereignis der Welt dabei zu sein, ist die zierliche Chinesin für ein halbes Jahr aus Chengdu in der Sichuan-Provinz nach Peking gekommen. Als Kellnerin oder Verkäuferin im spektakulären, drachenförmigen „Pangu Plaza“, das im Juni in unmittelbarer Nähe der olympischen Anlagen eröffnet wird, will Cai Xia Ye zumindest die olympische Atmosphäre mitbekommen. Und die wird es geben, da ist sie sich sicher.

Von der Boykottdiskussion, die zurzeit außerhalb Chinas geführt wird, hat sie jedenfalls nichts gehört. „Ein Boykott wäre auch keine gute Idee“, sagt Cai Xia Ye, „wer so etwas vorhat, der versteht die chinesische Kultur nicht.“ Seit Konfuzius achteten die Chinesen die Harmonie unter den Menschen, sagt sie, „Menschlichkeit ist für uns eine sehr wichtige Tugend.“ Doch in diesem Punkt dürfte der Chinese Yang Chunlin anderer Meinung sein.

Der Olympiakritiker und Menschenrechtler ist am Dienstag von einem chinesischen Gericht „wegen Anstiftung zum Sturz der Regierung“ zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Sein Vergehen bestand darin, dass er 2007 eine Petition mit der Forderung: „Wir wollen Menschenrechte und keine Olympischen Spiele“ verfasst hat. Er wollte auf die Not der Bauern in seiner Heimatprovinz Heilongjiang aufmerksam machen. In der Haft soll er misshandelt worden sein, bei seinem Prozess am 19. Februar 2008 wurde er nach Auskunft von Amnesty International mit einer Kapuze über dem Kopf sowie in Hand- und Fußfesseln vorgeführt.

„Wir rufen die Öffentlichkeit, Regierungen und das Internationale Olympische Komitee weiterhin dazu auf, die versprochene Verbesserung der Menschenrechtslage konsequent von der chinesischen Regierung einzufordern“, sagte Verena Harpe, Asienreferentin von Amnesty International.

Das Urteil bestätigt nur, dass China ungeachtet des gestiegenen Drucks aus dem Ausland seine unnachgiebige Linie gegenüber Dissidenten und Demonstranten fortführt. Seit der Vergabe der Olympischen Spiele 2001 an China haben nicht nur Menschenrechtsgruppen einen Boykott der Spiele in Erwägung gezogen. Die Niederschlagung der Demonstrationen und die Ausschreitungen in Tibet haben diese Diskussion neu entfacht. Außerhalb Chinas allerdings, die chinesische Bevölkerung bekommt davon nur wenig mit. Oder gar nichts. Die zensierten chinesischen Medien malen weiterhin das Bild der harmonischen Spiele.

Die staatliche Zeitung „China Daily“ schaffte es, der Entzündung der Flamme sieben Artikel zu widmen – ohne die Demonstranten zu erwähnen. Die Überschrift lautete: „Die Sonne lacht, während die olympische Fackel entzündet wird.“

Fan Shen Li ist jedenfalls begeistert von den Olympischen Spielen in seinem Land. Der 32 Jahre alte Familienvater steht auf einer Fußgängerbrücke vor dem für Olympia errichteten Dorf der 53 ethnischen Minderheiten Chinas – einer Art Ethno-Disneyland, das nach den Ereignissen von Tibet besonders fragwürdig wirkt – und bietet Touristen seine Dienste an. Für einen Euro fotografiert er sie vor dem neuen Nationalstadion und druckt das Bild sofort an seinem Drucker aus.

„Ich verkaufe rund 20 Fotos am Tag“, sagt Fu Shen Li. Er mag die Spiele auch, weil sie ihm vor zwei Jahren eine neue Aufgabe gebracht haben. Sein altes Fotostudio nahm zu wenig Geld ein. Fu Shen Li versteht deshalb überhaupt nicht, worum es bei den Boykottdiskussionen des Westens gehen soll. „Die Ausschreitungen in Tibet haben doch aufgehört“, sagt er, „die Menschen sollten unserer Regierung vertrauen.“

Benedikt Voigt, Peking – Der Tagespiegel, Donnerstag, dem 27. März 2008

Armbänder für den Frieden

Berlin – 5000 Leute protestierten, Manfred Thiesmann weiß es noch genau. 5000 Leute in der Dortmunder Westfalenhalle, viele davon Sportler, der Rest Sportfans. Vereint in einem Gedanken: Der Olympiaboykott von Moskau ist falsch. Thiesmann war damals, 1980, noch Dortmunder Vereinstrainer, aber vier seiner Schwimmer waren für Moskau nominiert, Thiesmann wäre also auch mitgefahren. Und zwei seiner Sportler hatten die Protestveranstaltung maßgeblich mitinitiiert. Es nützte nur nichts. Der Protest nicht, aber, sagt Thiesmann, der Boykott ja auch nicht. „Er hatte niemandem etwas gebracht.“

Jetzt ist Thiesmann Bundestrainer der deutschen Schwimmer, und er denkt immer noch gleich. „Ich glaube, es bringt viel mehr für die Menschenrechte, wenn wir mit tausenden Sportlern, Funktionären, Trainern und Fans nach Peking fahren und dort mit Menschen ins Gespräch kommen.“

Thiesmann steht mit seiner Haltung für viele, für Sportler und Trainer. Sie alle denken so. Boykott, bitte nicht. Aber wegschauen bitte auch nicht. Die Frage ist vielmehr: Wie reagiert man am wirkkungsvollsten auf die Unruhen in Tibet? Herbert Czingon, der Bundestrainer der deutschen Stabhochspringerinnen, sagt: „Die Idee, bei der Eröffnungsfeier etwas zu machen, finde ich wesentlich besser als einen Boykott.“ Anna Battke, seine Athletin, schlägt zum Beispiel vor, dass sich Athleten als tibetische Mönche und chinesische Regierungsbeamte verkleiden. Dann könnten sie sich symbolisch die Hand reichen.

Sebastian Biederlack, Hockey-Nationalspieler und Olympiadritter von 2004, sagt: „Bei einer weiteren Eskalation käme auch der Sport wohl nicht umhin, in irgendeiner Form Flagge zu zeigen. Als Sportler müsste man sich dann überlegen, ob und inwiefern man einen Beitrag zur Förderung der Menschenrechte leisten kann.“ Die Menschenrechtsdiskussion in China müsse auf alle Fälle vorangebracht werden. Aber, sagt Politikstudent Biederlack auch, „in der Hockey-Mannschaft gibt es keine Pläne für irgendwelche Aktionen“. Noch nicht.

So sieht es auch Sebastian Schulte, Mitglied des Deutschland-Achters und Aktivensprecher des Deutschen Ruderverbands. „Ich halte es für verfrüht, jetzt über die Form eines Protestes nachzudenken. Wir Ruderer aus dem Achter müssen erst mal sicherstellen, dass wir für den Olympia-Achter nominiert werden. Das mag egoistisch klingen, aber so ist nun mal die sportliche Realität.“

Es geht um den Sport, zu allererst, es geht um die Qualen, die Schmerzen, das harte Training, den Preis, den sie alle für ihr Hobby oder ihren Job bezahlen müssen. Das sagen viele Sportler, vermutlich denken fast alle so. Christian Blum zum Beispiel, der Deutsche Meister über 100 Meter denkt ganz sicher so. „Die Tibet-Bilder machen mich natürlich betroffen, klar. Aber ich muss mich auf den Sport konzentrieren. Wenn ich die Menschenrechte in den Mittelpunkt meines Denkens stellen würde, könnte ich mich nicht mehr auf den Sport konzentrieren.“ Ein Boykott? „Das wäre die schlechteste Lösung.“ Und, bitte, „vor sieben Jahren, als die Spiele nach Peking vergeben wurden, da war auch schon klar, dass in China Menschenrechte missachtet werden“.

Es ist ein Grundsatzproblem. In der Sekunde, in der man die Spiele in ein Land wie China vergibt, lautet die Frage ja nicht: Kommen Proteste? Sondern: Wann kommen sie? Und deshalb ist einer wie Schulte ja auch auf der Linie von Thiesmann, dem Schwimm-Bundestrainer: „Allein die Tatsache, dass die Spiele in China stattfinden, stellt eine Chance dar, dass sich das Land ein wenig öffnet.“ Und „wenn sich der Gewinner des 100-Meter-Laufs nach seinem Sieg zu den Menschenrechten äußert, will ich erst mal sehen, dass ihn das Internationale Olympische Komitee nach Hause schickt“. Danny Ecker, der Weltklasse-Stabhochspringer, ein klarer Boykottgegner, ist eher für die symbolischen Gesten. Athleten könnten zum Beispiel Armbänder gegen die Unruhen tragen. Ein stiller Protest, mit dem die Athleten ihre Haltung zeigen könnten. „Da bin ich dabei“, sagte der Sechs-Meter-Springer Ecker der dpa.

Manfred Thiesmann bedauert noch heute, dass er damals nicht dabei war, 1980 in der Westfalenhalle, bei dem Protest der 5000. „Ich hatte leider einen Termin, den ich nicht verschieben konnte.“

Frank Bachner und Lars Spannagel, Der Tagesspiegel. Donnerstag, dem 27. März 2008

author: GRR

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