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17
02
2008

Norman Müller: „Durch meine Hautfarbe schon einiges erlebt ”

Norman Müller – Weglaufen war gestern – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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Das Ziel ist Berlin. Das Fachblatt „Leichtathletik“ fragt schon: „Erster schwarzer Kanzler?“ Doch Norman Müller hat nicht am Tor des Amtssitzes von Angela Merkel gerüttelt, als er sich in der vergangenen Woche einen Einblick in das politische Berlin genehmigte. Er bleibt dem Sport treu:
Als Trainer Wolfgang Kühn seinen jungen Zehnkämpfer endlich wieder zu zwei Trainingseinheiten pro Tag rief, brach der Sportler seinen Aufenthalt bei der SPD-Bundestagsabgeordneten Dagmar Freitag ab, noch bevor er eine Sitzung des Sportausschusses miterlebt hatte.

Seitdem bereitet er sich wieder in Halle an der Saale auf die Olympischen Spiele vor. Dabei liegt Norman Müllers Ziel wirklich in Berlin: Es ist aber nicht ein politisches Mandat, sondern die Weltmeisterschaft der Leichtathleten im kommenden Jahr. „Peking, gut und schön“, sagt der dunkelhäutige Zweiundzwanzigjährige. „Aber die Chance, eine Weltmeisterschaft im eigenen Land zu erleben, hat man nur einmal im Leben.“

Sein Gerechtigkeitssinn führte ihn zur Polizei

An Krücken hatte Norman Müller im Sommer vor einem Jahr die Europameisterschaft in Göteborg besucht und war dabei mit Dagmar Freitag, der Vizepräsidentin seines Verbandes, ins Gespräch gekommen. Nun nahm er ihre Einladung zu ein paar Informationstagen an; wenn Müller nicht Polizeimeisteranwärter in der Sportförderung der Bundespolizei wäre, wäre der Besuch sogar als Praktikum durchgegangen und Müller hätte nicht Urlaub dafür nehmen müssen.
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Ist Norman Müller ein politischer Mensch? „Nicht wirklich“, antwortet der Athlet. Hauptberuflich ist er Zehnkämpfer und ebenso hauptberuflich betreibt er, Beamter auf Widerruf, seine Berufsausbildung. „Ich habe einen Gerechtigkeitssinn“, sagt er, „weil ich durch meine Hautfarbe schon einiges erlebt habe.“ Tatsächlich hat der alltägliche Rassismus ihn zum Sport und damit auch zur Polizei gebracht.

Sie schrien eine Stunde lang „Neger!“ auf ihn ein

Geboren und aufgewachsen in Eisleben bei Halle an der Saale, umringte ihn, als er in die vierte Klasse ging, nach der Wende, eine Horde von Jugendlichen und schrie eine Stunde lang auf ihn ein: „Neger!“ „Geh zurück nach Afrika!“ Erst als seine Mutter, die ihn allein erzog, zu Hilfe eilte, ließen die Burschen von ihm ab. Stundenlang brauchte der kleine Norman, um sich zu beruhigen.
 
Mit Sportsfreund Arthur Abele: eines Tages die deutsche Nationalhymne

Kein Wunder, dass der schlaksige Junge, der seine Mitschüler an Körpergröße und schulischer Leistung überragte, fürchtete, dass aus verbalen bald körperliche Übergriffe werden könnten. Kampfsport erschien ihm als Lösung. Auf der Suche nach einem Verein riet ihm eine Nachbarin, statt Karate doch Leichtathletik zu betreiben; da könne er sich zwar nicht verteidigen, aber um so schneller weglaufen. 10,89 Sekunden ist die Bestzeit von Norman Müller über 100 Meter, im Hürdensprint liegt er bei 14,48, und über 1500 Meter ist er mit einer Bestzeit unter 4:30 Minuten international einer der schnellsten Zehnkämpfer.

Heute tun dem Elitesportler die „armen Würstchen“ leid

Zusammen mit den übrigen sieben Disziplinen hat er es dadurch auf eine Bestleistung von 8255 Punkten gebracht, im vergangenen Jahr wurde er damit in Götzis Siebter. Bei der Weltmeisterschaft von Osaka, wo er sich in der Weltklasse etablieren wollte, scheiterte er im Stabhochsprung: null Punkte. Immerhin überzeugte er, vor allem danach, mit seiner kämpferischen Leistung. In diesem Jahr will er 8300 Punkte übertreffen und sich, in Konkurrenz mit sechs deutschen Zehnkämpfern, für die Spiele in Peking empfehlen.
Norman Müller: Das Ziel ist Berlin

Norman Müller: Das Ziel ist Berlin

Die Angreifer von damals hat er nicht vergessen. „Ich sehe die armen Würstchen heute noch manchmal“, sagt er. „Echte Sozialfälle.“ Durch den Besuch des Sportgymnasiums in Halle, den sich seine Mutter in Zeiten der Arbeitslosigkeit buchstäblich vom Munde absparte, hat es Norman Müller in eine gesicherte Existenz und zu wunderbaren Aussichten gebracht. Auch in seinen privaten Plänen spielt Berlin eine Rolle. Hier lebt die Familie der Freundin, hier werden sie sich, sobald verheiratet, womöglich zusammen niederlassen.

Die deutsche Nationalhymne sollte für ihn erklingen

Den alltäglichen Rassismus hat Norman Müller nicht hinter sich lassen können. „Er ist weniger geworden“, sagt er. „Aber er ist noch da.“ Erst vor anderthalb Jahren wurde er mitten in Halle angepöbelt. Ein Freund, voller Wut, schrie den Aggressoren entgegen: „Dieses Negerschwein, wie ihr sagt, tut mehr für Deutschland, als ihr je für Deutschland tun könnt.“ Sekunden darauf hatte er ein blaues Auge. Die Rechtsextremen rannten davon.

Es wäre nicht nur eine Ironie des Schicksals, sondern vor allem auch eine Freude und Genugtuung, wenn eines Tages für Norman Müller die deutsche Nationalhymne erklänge.

Er kämpft dafür.

Michael Reinsch

Frankfurter Allgemeine Zeitung – Mittwoch, dem 13. Februar 2008

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