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26
04
2014

Sigrid Richter-Unger: "Schweigen wäre das Schlimmste" ©Claus Thal

Nicht weg-, sondern hinschauen – Interview mit Sigrid Richter-Unger, Leiterin „Kind im Zentrum“ – Claus Thal in SPORT in BERLIN

By GRR 0

Thema Kinderschutz. Sigrid Richter-Unger, Leiterin der Beratungsstelle „Kind im Zentrum" des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerkes (EJF)  in der Weddinger Maxstraße muntert in einem Interview alle auf, nicht weg-, sondern hinzuschauen und Vorkommnisse sofort zu melden.

Sexuelle Missbräuche und Übergriffe – wo lauern denn besonders die Gefahren?.

Grundsätzlich überall dort, wo Kinder und Jugendliche in einer engen Beziehung zu Erwachsenen stehen beziehungsweise eine gewisse Abhängigkeit vorhanden ist. Hinreichend bekannt sind Fälle aus der katholischen Kirche, aus Kliniken, Internaten, Heimen, der Schule und aus dem Sport. Was besonders schade ist, weil sich hier viele motivierte und engagierte Menschen um das sportliche Wohl, körperliche Erziehung und Gesundheit kümmern. Ich bin allerdings weit davon entfernt, den Sport unter Generalverdacht zu stellen. Nicht vergessen dürfen wir bei der gesamten Problematik aber auch  Eltern, Verwandte und sogenannte gute Bekannte, die mitunter als Täter identifiziert werden.

Lassen Sie uns nur den Sport betrachten, wo sind mögliche Verfehlungen gegeben?

Bleiben wir bei den ganz normalen Hilfestellungen. Ob bei Turnen, Judo, Eiskunstlaufen oder Tanzen, ich könnte auch andere Sportarten nennen, bieten sich Gelegenheiten einer unsittlichen Berührung. Uns sind auch Vorkommnisse aus dem Fußball bekannt. Möglichkeiten zu unsittlichen Handlungen ergeben sich in Umkleidekabinen, Duschen, auf Reisen, zu Spielen oder in Trainingslagern. Und nicht zuletzt können auch Erpressungen eine Rolle spielen. Aussprüche wie `Wenn du nicht das machst, was ich will, dann guckst du eben nur zu` sind gar nicht so selten.

Welchen Möglichkeiten der Vorbeugung bestehen?

Die beste Methode ist nach wie vor, offen und öffentlich mit dem Thema umzugehen. Jeder Verband und jeder Verein sollte sich verpflichtet fühlen, aufklärend zu wirken und streng auf Grenzüberschreitungen zu achten Wichtig sind vertrauenswürdige, unabhängige Ansprechpartner, ferner das Verlangen eines Erweiterten Führungszeugnisses von allen Trainern, Trainerinnen, Übungsleitern, Übungsleiterinnen, Betreuern und Betreuerinnen  sowie ein in den Satzungen verankertes Beschwerde-Management. Darüber hinaus sollte allen Eltern klar gemacht werden, dass sich der Verein seiner Verantwortung bewusst ist und jegliche Übergriffe ahndet.

An wen kann man sich bei  Verdachtsmomenten oder Verfehlungen wenden?

LSB, Sportjugend und EJF haben mit ihrer gemeinsamen Erklärung zum Kinderschutz vor gut vier Jahren ein Zeichen gesetzt und Ansprechpartner-Stellen geschaffen. Auch bei „Kind im Zentrum", der Institution Wildwasser sowie beim Deutschen Kinderschutzbund wird Hilfe angeboten. Die Bezirksämter können ebenfalls weiter vermitteln. Was wir aber in erster Linie brauchen, das sind aufgeklärte, selbstbewusste Kinder, die  den Mut aufbringen, sich zu wehren und einem Erwachsenen zu sagen: Lass das sein, ich will das nicht." Schweigen wäre das Schlimmste.

Was wurde von offizieller Seite getan, um auf das Problem aufmerksam zu machen?

Vor zwei Jahren trat das Bundeskinderschutzgesetz in Kraft. Ein ganz wichtiger Schritt in Berlin war 2010 die Unterzeichnung der Kinderschutzvereinbarung von LSB und EJF, die die Vorlage des Erweitertes Führungszeugnisses verlangt. Zu dem gesamten Komplex gehört ein funktionierendes Netzwerk, Fortbildungsmaßnahmen, Seminare, Kampagnen und Aufklärungsbroschüren, wobei stets auf Nachhaltigkeit geachtet werden sollte.

Sind genug Ressourcen vorhanden, um dem Problem wirkungsvoll zu Leibe zu rücken?

Eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Beratungsstellen wäre wünschenswert. Unser „Kind im Zentrum" hat seit 1996 keine Erhöhung des Etats erhalten. Die Bezirksämter müssten stärker eingebunden werden. In den letzten Jahren hatten wir rund 1500 Anfragen, die oft ganz allgemeiner Art waren. Die Dunkelziffer bei Sexualdelikten ist aber viel viel größer und aus Scham kommt es ganz selten zu einer Anzeige.

Wie sehen Sie die Aktivitäten des LSB?

Positiv. Man darf nicht nachlassen. Es müssen  immer wieder alle Beteiligten wachgerüttelt und Fortbildungsseminare angeboten werden. Besonders vorbildlich ist der Berliner Fußball-Verband.           

 

Interview: Claus Thal in SPORT in BERLIN – März 2014

author: GRR

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