
TCS New York City Marathon Weekend New York City, New York - Photo: Victah Sailer
New York Marathon 2016 – Was treibt Tegla, die schwarze Mutter Teresa zum Big Apple? Klaus Blume
Es kann saukalt werden, am ersten Novembersonntag in New York. Schweinekalt. Was dagegen hilft? Eigentlich nur ein ordentlicher Eggnog. Aus vielen Eiern, Sahne, Rum, Brandy und Whiskey gebraut.
Gibt‘s aber erst Weihnachten.
Was gibt‘s also, wenn wir am Sonntag den New York Marathon daheim vorm Fernseher genießen wollen? Björn in Oslo, der gute Freund in allen Lebenslagen, weiß auch diesmal Rat: Einen ordentlichen norwegischen Aquavit, den sie vorher mindestens zweimal im Eichenfass rund um den Äquator geschippert haben.
Warum nicht?
Aber warum, so fragen wir uns, ist der New York Marathon eigentlich ein MUSS?
Weder ist er der älteste City-Marathon, was die großmäuligen New Yorker trotz besseren Wissens aber ungeniert behaupten, er ist auch nicht der schnellste. Der findet nämlich in Berlin statt. Und den ersten City-Marathon gab‘s schon 1897 – und zwar im feinen Boston.
Im lauten Big Apple rannten sie die 42,195 Kilometer lange Strecke erstmals 1970. Warum ist New York also der berühmteste, der größte, D-E-R Marathonlauf schlechthin?
Vielleicht, weil mindestens 50.000 Menschen aus mindestens 100 Ländern durch alle fünf New Yorker Stadtteile rennen, also sogar durch Bezirke, durch die ein gebürtiger New Yorker noch nicht mal am helllichten Tag im sorgfältig verriegelten Auto fahren würde. Weil der Mitläufer – ob hochbezahlter Star, umjubelter Promi oder Billy Normalo – über fünf, teilweise sogar heftig umwehte Brücken laufen muss, deren Überquerung nicht nur furchtsamen Geistern den Mut rauben kann.
Das alles ist eben der New York Marathon, an einem Novembersonntag. An dem es schweinekalt werden kann.
Aber wen hat es davon abgehalten, auf dem vermaledeiten New Yorker Kurs das Selbstbewusstsein zu malträtieren und womöglich sogar, zu ramponieren? Erst recht nicht unseren ehemaligen Außenminister Joschka Fischer, der 1999 – unter dem Tarnnamen „Martin Fischer" und versehen mit der unverfänglichen Startnummer 9990 – nach 3:55 Stunden das Ziel seiner Lauf-Träume erreichte.
Eine Energieleistung, typisch Joschka!
Denn noch zwei Jahre zuvor hatte er sich, fast so wohlgenährt wie der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, mit dem übergewichtigen Pfälzer in einer Talkrunde ein gnadenloses Rede-Duell geliefert – nicht über die Ostpolitik, nein, über die Zubereitung des italienischen Dessert-Klassikers Zabaione.
Sieben Eier würden allemal dafür reichen, behauptete der Metzgersohn aus dem Schwäbischen kategorisch, was Kohl lächelnd zur Seite schob: „Zehn müssen es schon sein, lieber Joschka , das müssen Sie mir schon glauben . . ."
1999, in New York, präsentierte sich dann ein gertenschlanker Joschka; aus dem grünen Rüpel war längst ein eleganter Chefdiplomat im dunkelblauen Dreiteiler geworden. Auch mit Hilfe des passionierten Schmetterlingsforschers Herbert Steffny, seines damaligen Lauf-Trainers. Steffny hatte übrigens 1984 auf selbiger Strecke als Drittplatzierter realisiert, was bis heute nie wieder ein deutscher Läufer auch nur annähernd erreicht hat.
Es ist wohl diese einzigartige Mischung aus Geschichten und Erinnerungen, weitab jedweder Rekordjagd, die den New York Marathon populärer als jeden anderen Straßenlauf gemacht hat. Ob RTL-Nachrichtenchef Peter Kloeppel oder Birgit Fischer, die erfolgreichste Kanutin aller Zeiten – sie alle haben sich per pedes durch die fünf New Yorker Stadtteile gekämpft.
1993 auch Uta Pippig, mit einem grandiosen unvergessenen Sieg. Auch damit stieg sie in ihrer amerikanischen Wahlheimat zu einer Lauf-Ikone ersten Ranges auf, heute geschätzt als eine Persönlichkeit, die hilft, wo sie nur helfen kann – zum Beispiel bei einem weltweit operierenden Krebsforschungs-Institut in Boston.
1994 und 1995 siegte in New York dann eine nur 38 Kilo wiegende Läuferin: Tegla Loroupe aus Kenia.
Bei ihrem ersten Erfolg war die 1,56 Meter kleine Athletin gerade 21 Jahre alt! Heute wird sie als „schwarze Mutter Teresa" (The Nairobi Times) verehrt. Tegla, die in ihrer aktiven Zeit öfters in Detmold als in Kenia gewohnt hat, gab schon als Läuferin viel Geld für kranke, für alte und für verarmte Menschen in ihrer Heimat. Und verlor nie ein Wort darüber.
Inzwischen hat die nun 43-jährige ihre „Peace Foundation" gegründet, die mit der Welt-Flüchtlingshilfe und dem IOC zusammenarbeitet. Es gehe ihr dabei hauptsächlich um die Menschen am Horn von Afrika, um deren gestohlenes Weideland und die vorenthaltenen Wasserressourcen. Aber auch weiterhin um Teglas mittlerweile schon jahrzehntelangen Kampf gegen Aids und Genitalverstümmelung.
Mit keinem anderen Sportereignis sind solche Einsätze so nachhaltig verbunden, wie mit dem New York Marathon. 2013, zum Beispiel, legte das ehemalige Busenwunder Pamela Anderson, Star der weltweit ausgestrahlten TV-Serie „Baywatch", mit einem extra dafür angefertigtem Kurzhaarschnitt die 42,195 Kilometer im Laufschritt zurück.
Das Ziel erreichte die damals 46-jährige nach fast sechs Stunden. Aber sie kam an, und das mit einem Sponsor zuvor vereinbarte üppige Honorar stiftete sie der Non-Profit-Organisation des Hollywood-Stars Sean Penn – zweckgebunden für die Armen von Haiti.
Übrigens, besonders schnell gelaufen werden kann auf den windigen Brücken von New York ohnehin niemand.
Deshalb steht der Streckenrekord lediglich bei 2:05:06 Stunden, aufgestellt 2011 vom Kenianer Geoffrey Mutai. Übrigens hat es in den letzten drei Jahren ausschließlich kenianische Sieger gegeben, auch am Sonntag gilt wieder ein Kenianer als Top-Favorit, der 30-jährige Stanley Biwott. Der nur 1,52 Meter große Athlet wird von dem Italiener Claudio Berardelli trainiert, der einst auch Biwotts wegen Dopings gesperrte Landsfrau Rita Jeptoo in die Weltspitze geführt hat – und deshalb in Nairobi ins Gefängnis musste.
Jetzt ist Beradelli zwar wieder auf freiem Fuß, doch ob ihn die kenianischen Behörden nach New York reisen lassen, ist fraglich. Schließlich wollen sie ihm in Nairobi noch den Prozess machen.
Klaus Blume
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https://www.laptopwerk.de/kolumnen/blume-unverblümt
Siehe die Geschichte der New York Road Runners (=New York City Marathon) auf der englischen GRR-website:
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