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24
05
2007

Vieles ist wichtig, dass Deutschland erfolgreicher als in den vergangenen Jahren bei den internationalen sportlichen Höhepunkten abschneidet – entscheidend ist, wie gut und wie viel unsere Athletinnen und Athleten trainieren. Demzufolge ist auch vieles bei einer Steuerung zu berücksichtigen – entscheidend ist aber, wie das letztlich zu einer leistungswirksamen Veränderung des (täglichen) Trainings beiträgt.

Neue Modelle braucht das Land?! Ein Plädoyer für eine Trainingsoffensive … Dr. Jochen Zinner, Leiter des Olympiastützpunktes Berlin

By GRR 0

In Berlin wurden im Olympiazyklus 2005 bis 2008 durch den Deutschen Sportbund 15 olympische Sommersportarten als Schwerpunktsportarten benannt.
In Berlin trainieren gegenwärtig rund 700 Bundeskaderathleten (A-D/C), die überwiegend in die komplexe Betreuung durch den OSP einbezogen sind.
Hinzu kommen rund 2.500 Landeskader (D-Kader), die vorrangig in den Landesleistungszentren trainieren. Etwa 800 der 2.500 Landeskader besuchen eine der Berliner Eliteschulen des Sports.

Der Abschwung des deutschen Leistungssports bei den Olympischen Spielen seit 1992 soll 2008 gestoppt sein, der Aufschwung für 2012 bzw. 2016 beginnen. (Auch) eine leistungswirksame Wissenschaft soll’s richten. „Neues Steuerungsmodell“ und „Wissenschaftliches Verbundsystem“ sind die entsprechenden Stichworte. Die Gefahr lauert:
Nicht die Optimierung von Systemen ist das Ziel, sondern die Optimierung des Trainings jedes einzelnen Kaderathleten!

1. … aus der Sicht der Steuerung:

Vieles ist wichtig, dass Deutschland erfolgreicher als in den vergangenen Jahren bei den internationalen sportlichen Höhepunkten abschneidet – entscheidend ist, wie gut und wie viel unsere Athletinnen und Athleten trainieren. Demzufolge ist auch vieles bei einer Steuerung zu berücksichtigen – entscheidend ist aber, wie das letztlich zu einer leistungswirksamen Veränderung des (täglichen) Trainings beiträgt.
Jedes diesbezügliche Steuerungsmodell muss somit um folgenden Basisprozess „kreisen“:

Zum Zeitpunkt 1 gibt es eine (weitgehend) feststehende Menge von (Kader-) Athleten mit dem sportlichen Leistungszustand
1. Zum Zeitpunkt 2 soll (weitgehend) dieselbe Menge von Athleten den sportlichen Leistungszustand 2 besitzen (der dann eben z.B. eine höhere Zahl von Medaillen bei Olympischen Spielen erwarten lässt). Gesucht ist demnach ein Bündel von (Trainings- und Betreuungs-)Maßnahmen, das von Zustand 1 zum Zustand 2 führt.

Alles, was im Namen eines Modells zur Steuerung der Leistungskraft des Spitzensports in Deutschland unternommen wird, muss demzufolge strikt danach bewertet werden, welche positiven Veränderungen es im Training von Hochleistungssportlern bzw. bei der strukturellen Verbesserung der Voraussetzungen bewirkt.

(Das ist etwas ziemlich anderes, als „Sport als System“ zu optimieren, wo – unabhängig von ihrer Bedeutung für die Steuerung des Trainings – möglichst alle Strukturelemente des deutschen Sports sich wiederfinden sollen, wo deren Stellung (Über/Unterordnung) in der Struktur von größter Bedeutung ist und wo mit Pfeilen und gut platzierten Pfeilspitzen Verbindungen zu markieren sind…)

Die Menge der Athleten auszuwählen, deren Leistungszustand zu bestimmen, (mit DOSB und BMI gemeinsam – auch unter Einbeziehung von z. B. Weltstandsanalysen) eine anspruchsvolle, aber realistische und finanzierbare sportliche Zielstellung vorzugeben und, vor allem das dazu gehörige Trainings- und Betreuungskonzept zu entwickeln und durchzusetzen – das ist die ursächliche, schwierige Aufgabe der Spitzensportverbände, für die diese selbstverständlich „kräftige Partner“ brauchen.
Je klarer der Basisprozess formuliert werden kann, umso klarer „springen“ diese notwendigen Partner und deren zu leistender Beitrag „ins Auge“. Umso offensichtlicher wird auch die Rolle des sportartübergreifenden „Steuerers“, des Bundesvorstandes Leistungssport! Er muss nämlich diese Partner (vor allem Olympiastützpunkte, Landessportbünde und Landesverbände) auf die Unterstützung des Basiskonzeptes „einschwören“ und sie führen.

Nicht um alle, die wollen oder könnten, geht es dabei, sondern um die (und nur die), deren Beitrag für den Basisprozess (Steuerung des Trainings) unverzichtbar ist. Mit Hilfe von Kooperationsvereinbarungen und Regionalkonzepten kann diese Führung geregelt werden. Aber auch hier gilt: nicht um den ganzheitlichen Aspekt von „Sport in der Region“ (bei Regionalkonzepten) oder „Olympiastützpunkte als Serviceeinrichtung“ (bei Kooperationsvereinbarungen) geht es, sondern um deren spezifischen Zuschnitt für die Steuerung des Trainings sowie die Schaffung leistungsfördernder Strukturen vom Nachwuchs bis zur Spitze.
(Am Standort Berlin gibt es im Sommersport 15 Schwerpunktsportarten. Demzufolge waren auch 15 Regionalkonzepte für den Zeitraum 2005 bis 2008 nach den Vorgaben des DSB/BL zu erarbeiten.
Das führte zu einem „Buch“ mit 570 Seiten… – wahrscheinlich ein Buch mit sieben Siegeln!)

(Weil eventuelle Fehleinschätzungen bei der Festlegung der Ziele bzw. des Trainings- und Betreuungskonzepts fatale, oft nicht korrigierbare Einflüsse nicht nur auf den Basisprozess, sondern auf den gesamten „Überbau“ haben, sollten die Spitzensportverbände durch einen kompetenten „Berater“ bei dieser substantiellen Aufgabe unterstützt werden – das sollte eine unter der Führung des DOSB wirkende wissenschaftliche Einrichtung sein – z. B. ein den Anforderungen angemessenes, neu strukturiertes IAT/FES…)

Klar wird auf diese Weise auch die diesbezügliche Rolle der Olympiastützpunkte: Sie müssen im täglichen Training Einfluss darauf nehmen, dass die für ihren Standort benannten Athletinnen und Athleten d a s (tägliche) Training und d i e (tägliche) Betreuung erhalten, die im Trainings- und Betreuungskonzept des Spitzensportverbandes festgelegt sind. Eine herausragende, durchaus schöpferische Rolle – wie ich finde!

Im täglichen Training – im Unterschied zum zentralen Training, das fast schon Training „unter Laborbedingungen“ ist – findet nämlich das „wahre Leben“ statt. Hier – im langfristigen Prozess des Übens und Mühens – zeigt sich, ob Schule, Studium, Beruf und Familie mit dem Sport „unter einen Hut“ gebracht werden können, ob in jeder Trainingseinheit konsequent und hart trainiert wird, ob der (vor Ort)Trainer „Meisterlehrer“ ist und das Training optimal organisiert, ob die Arbeit tatsächlich in Einklang mit den Trainingsplänen steht und auf langfristige Ziele ausgerichtet ist, wie konsequent die Leistungsdiagnostik eingesetzt ist, was bei Verletzungen geschieht, wie sich der Athlet ernährt, und, und, und…

Wenn man das auf die Situation in Berlin übertragt, muss man beispielsweise sehen, dass alle Peking-Kandidaten Berlins – oft seit 6, 8, 10 und mehr Jahren – in einer außerordentlich direkten, engen Beziehung zu unserem Olympiastützpunkt stehen:
Wir verfügen durch die dezentralen Leistungsdiagnostiken und Trainingssteuerungen (im Auftrag der Spitzensportverbände) über alle relevanten sportmedizinischen und trainingswissenschaftlichen Daten;
wir haben die schulische und berufliche Ausbildung der Athleten gefördert, auch beeinflusst; wir haben psychologischen Einfluss genommen, wenn lange Rehapausen gestaltet werden mussten;
wir kennen die familiäre Situation, die finanziellen Nöte, die Wünsche und Träume.
Selbst ein direkter Einfluss auf das Training dieser Athleten wird vom OSP realisiert, weil 19 beim OSP angestellte Trainer in 15 Sportarten das tägliche Training solcher Athleten in gewissen Altersbereichen geführt haben oder es auch heute noch führen.
Und, weil schließlich 85 % (!) der Berliner Peking-Kandidaten von Trainern betreut werden, die nicht unmittelbar beim Spitzenverband angestellt sind und deshalb also nicht von vornherein und ausschließlich in Abstimmung oder im Interesse des Spitzenverbandes handeln, ist auch hier eine entsprechende Einflussnahme durch den OSP notwendig.

2. … aus der Sicht des wissenschaftlichen Verbundsystems:

Nicht so sehr der Stand der Sportwissenschaft ist entscheidend, sondern das, was sich für die Trainingspraxis unmittelbar „absetzen“ lässt. Die vielen (geförderten) Langzeitprojekte an den (vielen) sportwissenschaftlichen Einrichtungen/Institutionen der Bundesrepublik – ein Großteil der Projekte läuft ohnehin im schier unerschöpflichen Bereich von Breiten-, Gesundheits- und Schulsport – sind sicherlich sehr interessant, aber einen direkten, zielführenden Einfluss auf die Trainingsgestaltung von Spitzenathleten haben sie kaum.
Wenigstens ist die Autonomie des Instituts und die Freiheit der Forschung gesichert, doch die „Karawane“ des Leistungssports ist schon längst weitergezogen…

Wenn aber die Wissenschaft und das wissenschaftliche Verbundsystem tatsächlich – wie oben ausgeführt – zur Optimierung des Trainings in Vorbereitung auf internationale Wettkämpfe für absehbare Zeiträume beitragen will, dann steht nicht „Sport als Wissenschaft“ (Stichworte: reine Lehre, unabhängige Wissenschaftler, sehr lange Zeiträume) im Vordergrund, sondern es geht um „wissenschaftliche Anstrengungen zur Unterstützung des Leistungssports“ (Stichworte: vertrauensschaffende, kontinuierliche Zusammenarbeit, auch „vor Ort“). Damit stehen dann aber nicht nur unterschiedliche inhaltliche Ansätze, sondern in der Regel sogar andere (wissenschaftliche) Personengruppen zur Diskussion.

Derjenige nämlich, der „wissenschaftliche Anstrengungen zur Unterstützung des Leistungssports“ unternimmt, erwartet nicht nur intelligent aufbereitete Fragen aus der Praxis, sondern setzt alles daran (eben auch Arbeitszeit), konkrete, komplexe, authentische Daten aus dieser Praxis zu erhalten. (Und zwar von Gegenwart und Vergangenheit – weil er beispielsweise erkennen muss, ob die von ihm in seiner wissenschaftlichen Untersuchung eventuell zur Veränderung des Trainings gefundenen Reize etwa in früheren Trainingsetappen bereits „verbraucht“ wurden.) Ihm ist bewusst, dass in der Regel solche hochsensiblen Daten aus dem Hochleistungstraining – aus sicher sehr verständlichen Gründen – von Athleten und Trainern nur dann an Wissenschaftler, an wissenschaftliche Teams oder gar an wissenschaftliche Institutionen weitergegeben werden, wenn ein ausgeprägtes Vertrauensverhältnis besteht.
Er weiß, dass ein solches Vertrauensverhältnis nur durch kontinuierliche und zuverlässige Begleitung der Athleten und ihrer Trainer auf dem langen Weg zur olympischen Spitze entwickelt werden kann. Er hat erkannt, dass seine praxisnahe Mitwirkung zugleich gute Voraussetzungen für eine langfristig orientierte „Forschung am Gegenstand“ schafft, weil die verwendeten Datenbasen nicht nur trainingssteuernde, sondern zugleich höchste (Grundlagen-)theoretische Relevanz besitzen.
Ein noch so optimiertes Verbundsystem wird nur dann im Hochleistungstraining wirksam Einfluss nehmen können, wenn es auf solch eine Transfer-Qualität aufbaut!

Damit ist auch hier die Rolle der Olympiastützpunkte umrissen: die auf der Basis der Trainings- und Betreuungskonzepte des Spitzenverbandes an einem Schwerpunktstandort täglich trainierenden Kaderathleten werden an diesem OSP im Auftrag des Spitzenverbandes durch Sportmedizin, Trainingswissenschaft, Biomechanik, Psychologie… (wissenschaftlich) betreut.
Die Leistungsfähigsten dieser dezentralen Teams aus erfahrenen Trainern der Verbände und wissenschaftlich ausgebildeten Diagnostikern der OSP sollten die Zelle (und es gibt eine Menge davon) sein, an der künftig verstärkt und kontinuierlich – nicht nur bis zur beabsichtigten Graduierung oder zum Abschluss der Forschungsprojekte – Wissenschaftler „angedockt“ werden sollten.
Auf diese Weise würden sehr wirksame sportartspezifische „Steuergruppen“ entstehen, die sportartübergreifend z. B. in einem vom DOSB koordinierten Institut („IAT“) zusammengeführt werden und ihre „wissenschaftliche Heimat“ finden könnten. Von dort würden schließlich – wenn erforderlich – wissenschaftliche Grundsatzfragen mit Relevanz zur Erfüllung der Zielstellungen im (Spitzen-)Sport an die „reine Wissenschaft“ der „unabhängigen Institute“ übergeben und finanziell vom BMI gefördert werden. Damit könnte sukzessive dann auch grundlagenorientiertes, „neues Wissen“, zur langfristigen Optimierung des Trainingsprozesses entstehen…

Ja, neue Modelle braucht das Land!
Die bisherigen konnten jedenfalls den Abschwung des deutschen Spitzensports nicht verhindern. Bei den neuen Modellen muss es aber darauf ankommen, dass sie (endlich wieder) das tägliche Trainingsgeschehen (Athleten, Trainer, unmittelbares Umfeld) in den Mittelpunkt stellen. Man muss vielleicht nicht immer erst die Probleme im Weltall und auf der Erde lösen, um sich den Problemen von Menschen zu stellen…

Die Modelle zur Steuerung und zum Wissenschaftlichen Verbundsystem müssen nicht als Jahrhundertwerk entwickelt werden, müssen nicht komplett aussehen, Furcht erregen und unnahbar wirken, sondern sie müssen – eigentlich viel einfacher – erreichen, dass Athleten täglich hart und wahrhaft trainieren, dass sie von ihren Trainern kompetent und professionell betreut, geführt und motiviert werden und dass beide – Athleten und Trainer – auf ihren Weg zur olympischen Spitze dabei leistungswirksam wissenschaftlich unterstützt und begleitet werden.
Sonst führen auch neue Modelle „ins Leere“.

Dr. Jochen Zinner
Leiter – Olympiastützpunkt Berlin
Quelle: OSP Newsletter 1/2007

https://www.berlin.de/osp/
OSP Berlin

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