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20
03
2008

Der Autopsiebefund zum Tod des amerikanischen Marathonläufers Ryan Shay lässt immer noch viele Fragen offen. Ein Kardiologe rät Hobbyläufern zu Gelassenheit.

Narben im verdickten Herzen – Ryan Shay brach in New York zusammen und konnte nicht wiederbelebt werden. Warum, bleibt ein Rätsel. Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

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Ellen Borakove, die Sprecherin des gerichtsmedizinischen Instituts von New York, braucht eine ganze Weile, ehe sie ans Telefon zurückkehrt. Sie entschuldigt sich vielmals, aber immerhin bringt sie die Antwort auf eine Frage mit, die Sportler auf der ganzen Welt seit bald fünf Monaten bewegt: Warum musste der begabte Marathonläufer Ryan Shay aus Central Lake/Michigan sterben?

Wie konnte es passieren, dass er, Shay, 28, der scheinbar in der Blüte seines sportlichen Schaffens stand, an diesem kühlen Morgen des 3. Novembers 2007 als Teilnehmer der amerikanischen Olympia-Ausscheidungen nach 5,5 Meilen auf dem hügeligen 42,195-Kilometer-Kurs durch New Yorks Central Park zusammenbrach und nicht mehr wiederbelebt werden konnte?

Ellen Borakove sagt zunächst: "Er starb eines natürlichen Todes." Und dann liest sie den Befund ihres Hauses vor, buchstabiert die Worte, die unklar sein könnten, erklärt die Fremdworte. Und am Ende steht da als Erklärung für diesen Tod eines Leistungssportlers die sperrige Formulierung: ""Kardiale Arrythmie bei myokardialer Hypertrophie mit ungleich verteilter Fibrose unbestimmter Ursache."

Übersetzt heißt das, dass Ryan Shay ein verdicktes Herz hatte, außerdem narbenartige Veränderungen des Herzmuskelgewebes, von der niemand sagen kann, woher sie kommen, und dass diese Übergröße und diese Narben zu tödlichen Herzrythmusstörungen führten. Und was heißt das wiederum? "Dass sie es nicht wissen", sagt Melchior Seyfarth, Professor am Deutschen Herzzentrum in München, und ist nicht sehr beeindruckt von dieser Erklärung, weil sie immer noch viel Raum für Spekulationen lässt.

Wöchentlich 25 Anrufe von besorgten Läufern

Seyfarth sagt: "Die Ursache für Ryan Shays Tod ist leider mit diesem Befund weder geklärt noch sind bestimmte Diagnosen ausgeschlossen."

Alicia Shay, Ryans junge Witwe, ebenfalls eine begabte Langstreckenläuferin, hatte schon kurz nach dem Unglück gesagt, dass diese Autopsie für sie keine Bedeutung habe, denn: "Nichts, was sie finden, ändert etwas an der Tatsache, dass Ryan nicht mehr hier ist." Es klang nicht so, als wolle sie etwas verbergen, ohnehin gab Ryan Shays Familie von Anfang an sehr offen Auskunft über den Toten.

Dass Ryan Shay ein verdicktes Herz hatte, wussten seine Eltern, seit er 14 war. Übermäßig beunruhigend wirkte das nicht, weil viele Ausdauersportler verdickte Herzen haben, und noch Anfang 2007 zeigte eine ärztliche Untersuchung in Arizona keine Auffälligkeiten. Aber natürlich kursierte in der Szene die Frage, ob Ryan Shay nicht auch Opfer des Dopens geworden sein könnte. Und andere Läufer beschlich die Angst, sie seien selbst bedroht durch ihren Sport; Lewis Maharam, der Medizin-Beauftragte des Marathon-Veranstalters New York Road Runners, klagte, dass ihn wöchentlich 25 Anrufe von besorgten Läufern erreichten. Und so wurde diese Autopsie zu einer Angelegenheit, die Klarheit in vielerlei Hinsicht bringen sollte.

Die reichhaltige Dopingvergangenheit des Sports verleitet ihn zur Skepsis. Immerhin, Blutdoping als Todesursache ist auszuschließen, todbringende Gefäßverschlüsse durch zu dickes Blut hätte der Befund ausweisen müssen. "Das kann der Pathologe in dem Maße nicht verheimlichen", sagt Seyfarth.
"Es gibt keinen Grund, dass alle Läufer zum Kardiologen gehen"

Aber was zu den fatalen Arrythmien an Ryan Shays Herzen führte, ist nicht sicher. Waren sie angeboren? Möglich. Rührten sie von einem verschleppten Virus her? Auch möglich. Oder von Dopingmitteln, die nicht mehr nachweisbar sind? "Der Tod eines Leistungssportlers ist grundsätzlich im Verdacht, dass irgendwelche Substanzen mit im Spiel waren, die kurzfristig oder mittelfristig schaden", sagt Seyfarth. Was man lernen kann aus dem Fall Shay? "Nichts", sagt Seyfarth. "man kann eigentlich nur sagen, dass der Mann nichts ganz Exotisches hatte wie ein unerkanntes Loch im Herzen oder einen Tumor."

Am Tag, an dem der Befund kam, sagte Joe Shay in der Los Angeles Times, dass ein Gerichtsmediziner ihm schon im Dezember gesagt habe, Tests auf "Hunderte von Substanzen inklusive leistungssteigernde Medikamente" seien negativ gewesen. Der Kardiologe Seyfarth wiederum fragt sich, warum beim Rennen die Erste Hilfe für Ryan Shay nicht funktionierte: "Warum man ihn nicht reanimieren konnte, ist ein bisschen komisch." Und für die Normalläufer beugt er falschen Schlüssen vor:

"Es gibt keinen Grund, dass alle Läufer zum Kardiologen gehen", sagt er, "zweitens: Es ist nicht so, dass Laufen gefährlich wäre. Drittens: Es gelten die allgemeinen Hinweise, dass man mit seinem Sport Pause macht, wenn man sich nicht gut fühlt, insbesondere, wenn man eine grippeartige Erkrankung hat."

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung. Donnerstag, dem 29. März 2008

 

 

 

author: GRR

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