Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, hat Bolt und Phelps zu den Ikonen dieser Spiele erhoben. Wenn sie das wären, würde das gegen diese Olympischen Spiele sprechen, in denen das IOC überhaupt viel von seinen Werten unter dem Druck der Chinesen fallen ließ.
Nach Olympia – Ferne Spiele – Der Leitartikel von Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Zweieinhalb Wochen haben bei diesen Olympischen Spielen verschiedene Wirklichkeiten nebeneinander existiert. Da war zum einen die olympische, bunt angemalt und gut eingezäunt. Außerhalb fand der Alltag Pekings statt, meist völlig unbeeinflusst davon, dass Tausende von Sportlern, Journalisten und anderen Gästen in die Stadt gekommen waren. Doch das ist noch zu einfach: Auch innerhalb des Sports gibt es längst unterschiedliche Wirklichkeiten.
Der Jamaikaner Usain Bolt ist in Peking so schnell gerannt und der Amerikaner Michael Phelps ist so schnell geschwommen, als kämen sie aus einer anderen Welt. Der eine erreichte mit mehreren Metern Vorsprung und Weltrekord das Ziel, obwohl er sogar noch abgebremst hatte. Der andere gewann acht Goldmedaillen in einer Woche, und kaum trug er eine davon um den Hals und hatte einmal durchgeatmet, sprang er auf scheinbar wundersame Weise erholt wieder ins Becken.
Sind die beiden gedopt? Oder einfach Jahrhunderttalente? Oder gedopte Jahrhunderttalente? Das ist längst zur Glaubensfrage geworden, weil selbst Experten sich kein Urteil darüber zutrauen, ob nicht vielleicht doch Bemühung und Begabung die Athleten so schnell gemacht haben. Es wissen wohl nur die Ärzte, Trainer und die Athleten selbst, was sie für diese unglaublichen Leistungen getan haben. Unzählige negative Dopingproben beweisen jedenfalls nichts.
Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, hat Bolt und Phelps zu den Ikonen dieser Spiele erhoben. Wenn sie das wären, würde das gegen diese Olympischen Spiele sprechen, in denen das IOC überhaupt viel von seinen Werten unter dem Druck der Chinesen fallen ließ. Bolt und Phelps sind einfach die prominentesten Vertreter eines Sports, in dem man entweder sehr viel guten Willen oder Naivität braucht, um den Athleten noch saubere Leistungen abzunehmen. Beides ist noch ausreichend vorhanden: Hat man nicht die Leistung mit eigenen Augen gesehen, ist sie nicht dadurch Wirklichkeit geworden? Ist das Duell zwischen dem gedopten Ben Johnson und dem mutmaßlich gedopten Carl Lewis von 1988 nicht immer noch einer der größten Augenblicke der olympischen Geschichte? Zumal das Rennen durch das Doping einen zusätzlichen Gruselfaktor erhält.
Die deutschen Leichtathleten und Schwimmer haben in Peking nicht viel gewonnen. Anders gesagt: Sie haben viele unverdächtige Leistungen gezeigt. Das heißt jedoch nicht, dass sie noch nie mit Doping in Berührung gekommen sind. Eine eigene Liga für scheinbar ungedopte Athleten wird es ohnehin nicht geben. Dem Sport bleibt daher nichts anderes übrig, als mit Forschung und Kontrollen und internationalen Standards dafür zu kämpfen, dass die verschiedenen Dimensionen nicht zu weit auseinanderdriften.
Die Chinesen haben bei ihren Spielen mühelos die Amerikaner an der Spitze des Medaillenspiegels abgelöst. Mühelos? Auch von dieser Wirklichkeit sollte sich der Sport nicht zu sehr beeindrucken lassen. Denn der Preis lässt sich nur erahnen, den viele Kinder und Jugendliche dafür bezahlt haben, die von staatlichen Talentfindern in ihre Sportarten delegiert worden waren. Auf dem Weg in die Olympiamannschaft sind die meisten auf der Strecke geblieben. Und manche vielleicht zu früh angekommen, wie die Gerüchte um angeblich 14 Jahre alte Olympiaturnerinnen zeigen. Es wäre arrogant, den Chinesen die Aufstiegsmöglichkeit durch Sport zu verwehren. Aber man muss den Preis benennen, der nötig ist, um solche Leistungen zu erreichen.
Die Begeisterung für den Sport an sich, für den Wettkampf, wirkte in Peking eingeübt, das Publikum sprang nicht darauf an, wenn etwa Speerwerferinnen oder Hochspringerinnen angefeuert werden wollten. Etwas Besseres kann dem Sport jetzt nicht passieren, als in London die nächsten Sommerspiele zu veranstalten. In England wurden viele Sportarten erfunden, der Geist des Sports zum Leben erweckt.
In den Stadien und Hallen, aber auch auf den Straßen von London kann sich der olympische Sport die Leidenschaft und den Spaß für seine Bewegung zurückholen.
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Montag, dem 25. August 2008