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02
07
2011

Wir wissen, dass erfolgreiche gesundheitsorientierte Sportprogramme nicht nur mit physiologischen Veränderungen und Effekten für die Gesundheit einhergehen, sondern dass dort auch psychische Effekte methodisch angeleitet oder erzeugt werden.

Motivationsforschung in der Bewegungsförderung – Interview mit Sportpsychologin Prof. Dr. Petra Wagner – SPORT PRO GESUNDHEIT des DOSB

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„Wir müssen selbstkritisch bekennen: Bisher fehlen in der Gesundheitsförderung die Erfolge zum Hochhalten der Motivation“

Der Stellenwert der Gesundheitsförderung durch Sport und Bewegung ist in unserem heutigen Gesundheitssystem in den letzten Jahren ständig gewachsen, wie sich zuletzt auf der Jahrestagung der Kommission Gesundheit der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) in Vechta Anfang November 2010 zeigte.

Die Bedeutung mündete sogar in einem nationalen Aktionsplan der Bundesregierung. Die Motivation der Menschen spielt dabei sowohl in der Prävention als auch in der Rehabilitation die ausschlaggebende Rolle. Nur wenn sie dauerhaft hoch gehalten werden kann, haben Interventionen langfristig Erfolg, wie Prof. Dr. Petra Wagner (Universität Leipzig), 2. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp), in einem Interview erläutert.

Auf der Jahrestagung der dvs-Kommission Gesundheit in Vechta stand die Qualität der Gesundheitsförderung durch Bewegung im Fokus. Ausschlaggebend für die Qualität ist die ausreichende Motivation der Teilnehmer. Mit diesem Phänomen beschäftigen sich Sportpsychologen. Welche Erkenntnisse liegen bisher vor?


In Vechta hat Prof. Dr. Reinhard Fuchs (Universität Freiburg) in seinem Hauptvortrag die Schwierigkeiten der Motivation bei Interventionen aus der Sicht der Sportpsychologen beschrieben. In Beispielen hat Fuchs die nachhaltige Wirksamkeit sehr kritisch beleuchtet. Konkretisiert hat er dieses Vorgehen an dem Setting Arztpraxis, wo ein reines Ausgeben und Auslegen von Broschüren und Info-Flyern als Bewegungsberatung maximal zu kurzfristigen Erfolgen führt, langfristig aber Beratung mit unterstützenden Maßnahmen hilft. Uns fehlt aber noch das Wissen darüber, wie diese Unterstützung auszusehen hat.

Als Einstieg in das zu ändernde Gesundheitsverhalten ist diese Intervention durch den Arzt effektiv, wie Studien u. a. von Ass-Prof. Gorden Sudeck (Universität Bern) zeigen. Es gibt Verbesserungen, die aber kurzfristiger Natur sind, wenn keine weitere ärztliche Beratung erfolgt. Ein anderes Beispiel: Ein Patient mit Adipositas. Er wird in die Klinik überwiesen, dort ist er dann in vielen Fällen gut aufgehoben. Der Patient ist motiviert. Er bekommt präzise Anweisungen. Er beginnt sein Übergewicht abzubauen.

 

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Dann kehrt er wieder nach Hause zurück und besucht seinen Arzt mit der Erwartung, jetzt eine Beratung über Folgemaßnahmen zu erhalten. Und diese kann der Arzt fatalerweise nicht vorweisen. Notwendig wäre etwas wie ein 'Bewegungs-Coach', der gemeinsam mit den Menschen heraus findet, was er als Maßnahme braucht, und ihn dann dabei führt. Diese Kette wird derzeit leider bei uns irgendwo unterbrochen. Ein Ansatz ist zum Beispiel das Rezept auf Bewegung des organisierten Sports, mit dem die Ärzte den Patienten Bewegung verschreiben können. Gleichzeitig gibt der Arzt dem Patienten Informationen zu zertifizierten Angeboten in der Nähe weiter.

Worin liegt denn dieser Mangel gegründet?

Es gibt zum einen zu wenig Forschung zu diesem Thema, deren Befunde auch nachhaltig in die Praxis überführt und hier implementiert werden. Zudem erschweren gesetzliche Rahmenvorgaben an vielen Stellen den Einstieg für die Kostenträger in diesem Bereich. Es gibt zwar immer wieder die Forderungen nach Nachhaltigkeit, aber zum zweiten fehlen als mittelbare Folge aus der schwachen Unterstützung die Strukturen – vom Mediziner über Vermittlung des richtigen Angebots bis hin zur Anpassung des Angebots an die Bedürfnisse. Und zum dritten hat auch die Sportwissenschaft nicht die Ansätze für die entsprechenden Lösungen parat. Wir haben noch keine Antwort gefunden auf die Frage: Wie schaffen wir eine Nachhaltigkeit, wie kommen wir zu einer Verstetigung der Verhaltensänderung?

Fängt das Problem nicht schon früher bei der Frage an, wie ich überhaupt bestimmte Kreise, wie z.B. sozial schwächere Schichten, zu Sport und Bewegung bekomme?

Das ist in der Tat richtig. Die vorher erwähnten Punkte gelten für Menschen, die schon aktiv sind, entweder von sich aus, durch Beratung beispielsweise eines Arztes oder im Rahmen eines Reha-Prozesses. Sie haben schon eine wichtige Hürde überwunden. Die viel gravierendere Frage ist doch, wie schaffen wir es, Menschen zur Bewegung zu motivieren, die bisher komplett inaktiv waren, die es am nötigsten hätten. Bisher ist es meist so, dass die, die schon aktiv sind, nun auch noch im Gesundheitssport aktiv werden. Zwar können wir in einzelnen Fällen der Inaktivität Fortschritte aufweisen.

Bei älteren Frauen, die erwiesenermaßen in Jugend und im mittleren Alter viel inaktiver als Männer sind, gehen durch Interventionen die Teilnahmequoten im Rentenalter wieder hoch. Der Geschlechterunterschied ist viel kleiner geworden. Aber inaktive Männer zur Aktivität zu bewegen, ist viel, viel schwerer. Hier bleiben die Erfolge weitgehend aus.

Insgesamt ist dieser Zustand aus unserer Sicht sehr unbefriedigend. Die klare Schlussfolgerung: Wir brauchen adäquate und wirkungsvollere Maßnahmen. Was wir an Interventionen haben, fruchtet noch nicht. Wir haben aus einer selbstkritischen Warte heraus den Knackpunkt noch nicht geschafft.

Worin liegt dieses Manko begründet?

Wir würden es uns zu einfach machen, wenn wir sagen, es liegt am fehlenden Geld. Sicherlich gibt es nur wenige Kostenträger im Gesundheitswesen, die bereit sind, in Nachhaltigkeit, gerade bei bisher inaktiven Menschen, zu investieren. Klar geben uns die Kostenträger meist ein präzise umrissenes Zeitfenster vor, in dem die Intervention abgeschlossen sein muss, damit der Erfolg abgerechnet werden kann. Denn sie stehen unter einem enormen Finanzdruck.

Es liegt aber auch an der Wissenschaft. Wir müssen uns ständig hinterfragen. Woran liegt es, dass ich mit meinem Interventionsansatz nicht weiter komme? Es ist extrem schwierig, qualitativ hochwertige Studien umzusetzen, wie Fuchs in Vechta gezeigt hat, denn die Thematik ist ungeheuer komplex. Wenn es einfacher wäre, wären wir bestimmt schon ein gutes Stück weiter. Aber es hilft alles nichts, hier müssen wir uns konkreter Gedanken machen und qualitativ hochwertige Studien realisieren.

Was kann denn die asp als wissenschaftliche Vereinigung der Sportpsychologen tun, damit die Motivationsforschung bei der Bewegungsförderung endlich den ersehnten Schritt nach vorne macht?

Wir müssten innehalten und die Bedürfnisse der verschiedenen Beteiligten wie Patienten, Kostenträger, Krankenhäuser feststellen. Wir sollten die ausgetretenen Pfade verlassen und ganz genau hinschauen, wo welcher Bedarf vorliegt, und müssten dann die Konzeptionen präzise daran ausrichten. Dieses Hinterfragen kann beispielsweise auf einem Kongress erfolgen. Dort sollte zunächst die Frage nach dem Status Quo in der Wissenschaft beantwortet werden: Was haben wir zum Thema Verhaltensänderung und Intervention erreicht bisher, wie sieht denn konkret unser Wissenstand aus? Fuchs hat auf der Jahrestagung in Vechta eine sehr gute Vorlage geliefert.

Und danach müsste in einem zweiten Schritt das Hinterfragen der Bedürfnisse erfolgen. Und als letztes müsste daraus die Ableitung von neuen zielgerichteten Interventionsstudien erfolgen. Wenn wir nicht kritisch mit diesen Punkten umgehen, wird der zukünftige Weg so mühselig wie bisher bleiben und uns nicht richtig weiterbringen.

Warum wäre – gerade das Thema Nachhaltigkeit betreffend – eine Zusammenarbeit der Sportpsychologen mit dem organisiertem Sport mit beispielsweise ihrem Qualitätssiegel SPORT PRO GESUNDHEIT sinnvoll?

Wir wissen, dass erfolgreiche gesundheitsorientierte Sportprogramme nicht nur mit physiologischen Veränderungen und Effekten für die Gesundheit einhergehen, sondern dass dort auch psychische Effekte methodisch angeleitet oder erzeugt werden. Die Maßnahmen der Sportkurse wollen ja nicht nur Gesundheitsaspekte herstellen, sondern auch langfristig und nachhaltig das alltägliche Verhalten der Personen beeinflussen.

Es ist eine Expertenrunde von Wissenschaftlern zu dem Qualitätssiegel eingerichtet worden. Hier würden wir uns gerne als Sportpsychologen einbringen, denn es ist mein Wunsch, die Zusammenarbeit von DOSB und der Sportpsychologie weiter auszubauen.

Quelle: DOSB –  SPORT PRO GESUNDHEIT

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