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05
09
2008

Entscheidend ist immer der statistische Endpunkt „Tod“. Dieser tritt in vielen Studien nachgewiesen bei Ausdauertrainierten selbst bei Koronarkranken im Durchschnitt später ein als bei körperlich Inaktiven

Mit 70 noch spitze. Auswirkungen eines Lauftrainings auf das Altern. Referat von Dr. med. Dieter Kleinmann, Internist und Sportmediziner, beim Münsteraner Marathon-Medizin-Symposium am 16.08.2008 – Folge II

By GRR 0

Dr. med. Dieter Kleinmann, Internist und Sportmediziner, Autor des Buches „LAUFNEBENWIRKUNGEN, vom Ermüdungsbruch zum plötzlichen Herztod“, hier beim Two Oceans-Lauf 2007 in Kapstadt (56 km, rund 500 Höhenmeter), lebt „erstaunlicherweise“ trotz seiner absolvierten weit über 100 Marathonläufe und 7 Ultraläufen, einschließlich ultralangen Hochgebirgsläufen (Davos) immer noch! Keine Selbstverständlichkeit in Anbetracht der berichteten Troponinerhöhungen als Zeichen einer Herzmuskelschädigung (?) und der echokardiographischen Herzermüdungszeichen nach solchen Läufen. Doch wie sind derartige Beobachtungen, einschließlich bei älteren Marathonläufern eventuell schon vorliegendem Koronarkalk zu bewerten? Haben sie eine klinische Relevanz, was die Prognose und das Wohlbefinden („Lebensqualität“) betrifft oder sind es lediglich interessante Laborparameter?

„Langläufer leben länger“, auch Marathonläufer! Die Beweislage ist mittlerweile eindeutig und eindrucksvoll, selbst wenn immer wieder über Todesfälle, Troponinerhöhung als Zeichen einer Herzschädigung, echokardiographische Herzermüdungszeichen nach Marathon oder gehäuft verkalkte Herzkranzarterien bei Marathonläufern berichtet wird.

Entscheidend ist immer der statistische Endpunkt „Tod“. Dieser tritt in vielen Studien nachgewiesen bei Ausdauertrainierten selbst bei Koronarkranken im Durchschnitt später ein als bei körperlich Inaktiven, Troponinerhöhung oder Koronarkalk hin oder her!

Wird die derzeitige Empfehlung der American Heart Association eingehalten, sich fast täglich mindestens 30 Minuten „moderat“ zu bewegen, so sank bei 252 925 Männern und Frauen im Alter von 50 bis 71 Jahren die Sterblichkeit um 27 % im Beobachtungszeitraum und um 32%, wenn 3 x 20 Minuten und mehr „intensiv“ trainiert wurde.

„Survival  of the fittest – more evidence“ (Überleben der Leistungsfähigsten – mehr Beweise), so überschrieb GJ Balady sein Editorial zu der viel beachteten Untersuchung von Myers und Mitarbeitern über den prognostischen Faktor des Fitnessgrades. 6213 Männer im Durchschnittsalter von 59 Jahren, die in die kardiologische Klinik zum Fahrradergometertest gekommen waren, wurden in 2 Gruppen unterteilt: diejenigen mit krankhaftem Testergebnis bzw. Herz-Kreislauf-Vorerkrankung (3679 Teilnehmer) sowie solchen mit normalem Test und gesundem Herzen (2 534 Personen). Endpunkt der Untersuchung war die Gesamtsterblichkeit in einem Beobachtungszeitraum von durchschnittlich 6,2 Jahren

In diesen 6 Jahren starben 1258 überwiegend ältere Personen, entsprechend einer jährlichen Sterblichkeitsrate von 2,6%. Abgesehen vom Alter erwies sich die maximale körperliche Leistungsfähigkeit hinsichtlich des Sterblichkeitsrisikos als bedeutendster prognostischer Faktor in beiden Gruppen, ob herzkrank oder nicht. Damit war die Fitness, was die Abschätzung des Sterblichkeitsrisikos betrifft, aussagekräftiger als die klassischen Risikofaktoren Bluthochdruck, Zuckerkrankheit und Zigarettenrauchen.

So war das Sterblichkeitsrisiko beispielsweise bei einem ergometrisch hoch belastbaren durchtrainierten Bluthochdruckkranken nur halb so groß wie bei einem untrainierten mit geringer Leistung im Ergometertest. Selbst Koronarkranke mit einer Leistung von über 8 METs lebten durchschnittlich länger als Gesunde mit einer Leistung zwischen 5 und 8 METs. Jede Metabolische Einheit an Leistungszuwachs verbesserte die Überlebensrate um 12 %!

Eine 2008 veröffentlichte Studie an über 15 000 Veteranen ergab eine 70%ige Sterbereduktion im Beobachtungszeitraum bei einem Fitnessgrad von über 10 METs, bei 7,1 bis 10 METs eine 50%ige! Das Sterberisiko („all-cause mortality“) sank pro 1-MET Leistungssteigerung um 13%. Auch bei kardiovaskulärer Erkrankung war das Sterberisiko abhängig von der Testleistung.

In einer Studie der Arbeitsgruppe um Blair an knapp 10 000 Männern sank das Sterblichkeitsrisiko um 44%, wenn die bei der maximalen Laufbandbelastung als „unfit“ eingestuften Männer sich bis zur Kontrolluntersuchung nach rund 5 Jahren „fit“ trainierten. Jede Minute, die beim 2. Maximaltest auf dem Laufband länger durchgehalten wurde, senkte das Sterblichkeitsrisiko um 7,9 %. Eine verminderte Sterblichkeit im Beobachtungszeitraum fand sich auch für Kranke. – Personen mit hoher Fitness hatten trotz Rauchens oder  eines erhöhten Cholesterins oder Bluthochdrucks ein geringeres Sterberisiko als solche mit schlechter Fitness und ohne diese Risikofaktoren.

Wie eigene Praxisbeispiele mit einer Verlaufsbeobachtung von über 20 Jahren belegen, ist trotz einer vorliegenden KHK mit Zustand nach Herzinfarkt und bereits unter Durchleuchtung erkennbarem Koronarkalk bei regelmäßigem Marathontraining eine überdurchschnittliche Lebenserwartung möglich. Oft wird von Ärzten, die den Marathon grundsätzlich ablehnen, nicht berücksichtigt, dass die Herzfrequenz sowie der Blutdruck und damit die Herzarbeit beim Marathon pro Zeiteinheit deutlich tiefer liegen als beispielsweise beim Tragen eines Getränkekastens oder schwerer Einkaufstaschen treppan. So fanden sich nach einer Studie von 955 plötzlichen Todesfällen 9,2 % im Haushalt, 16,1 % beim Wandern, 5,1 % auf der Toilette aber nur 0,9 % beim Laufen! Leistungsbegrenzend beim Marathon ist in der Regel die Muskelermüdung bzw. orthopädische Probleme und nicht eine Herzüberlastung.

In der Praxis wird häufig die Frage gestellt „wieviel Jahre lebt man durch Ausdauersport länger?“ Hierüber gibt die „Framingham Heart Study“ Auskunft.  2873 Frauen, 2336 Männer im Alter von 28 – 62 Jahren wurden halbjährlich 46 Jahre lang untersucht. Bei mäßiger bzw. hoher körperlicher Aktivität hatten Frauen eine um 1,5 bzw. 3,5 Jahre höhere Lebenserwartung gegenüber Inaktiven und blieben  1,3 bzw. 3,3 J. länger ohne kardiovaskuläre Krankheit.  Bei Männer lagen die Werte  bei 1,3 bzw. 3,7 Jahre mehr Lebenserwartung. Frühere Ausdauersportler (Langstreckler einschließlich Marathonläufer und Skilangläufer) der Weltklasse lebten nach einer finnischen Studie sogar durchschnittlich 5,7 Jahre länger als inaktive Normalpersonen.

Über einen Zeitraum von 21 Jahren beobachteten Chakravarty und Mitarbeiter 538 über 50-Jährige Läufer (durchschnittlich 4 Stunden Lauftraining/Woche) und verglichen sie mit einer entsprechenden gesunden Kontrollgruppe (n = 423), die keinen regelmäßigen Sport betrieb. Die unsportlichen Studienteilnehmer waren durchschnittlich 16 Jahre früher körperlich beeinträchtigt als die Läufer. Während bei letzteren 15 % im Studienverlauf starben, waren es bei den inaktiven Senioren 34 %.

Lange Zeit wurde eine hohe Lebenserwartung nur auf eine günstige Erbanlage zurückgeführt.
Zur Frage der Erbanlage ist eine Studie an finnischen Zwillingen mit einer Beobachtungszeit von 17 Jahren veröffentlicht worden. Danach wurde das Sterberisiko bei den regelmäßig körperlich aktiven Zwillingen um 38% gesenkt. Selbst bei den gelegentlich aktiven Zwillingspartnern war das Sterblichkeitsrisiko noch um 24% herabgesetzt.   Somit bewirkt regelmäßige körperliche Aktivität trotz einer genetischen Komponente der Langlebigkeit eine Risikoreduktion.
   
 „Der Mensch ist so alt wie seine Gefäße.“

Das Endothel bildet die innerste Zellschicht der Gefäßwand, liegt also zwischen dem strömenden Blut und der glatten Gefäßmuskulatur, zu der eine Verbindung über das Gas NO (Stickstoffmonoxid) besteht. NO wird von der Endothelzelle selbst produziert, eine Entdeckung für die Louis Ignarro 1998 den Nobelpreis erhielt. NO hat 2 wichtige Funktionen. Es stellt die Gefäße weit, senkt dadurch den Gefäßwiderstand, den Blutdruck und verbessert die Durchblutung. Daneben wirkt NO antiatherosklerotisch. Über verschiedene Mechanismen wird die arteriosklerotische Einengung des Gefäßlumens erschwert:

Unterdrückung der Gerinnselbildung und der Wucherung der Gefäßwandmuskulatur; Hemmung der Monozyten beim Eindringen durch das Endothel der Gefäßwand, wo sie sich in Makrophagen („Fresszellen“) umwandeln und LDL-Cholesterin aufnehmen („Schaumzellen“); die durch NO bewirkte Neutralisierung der freien Radikale ist nicht nur eine Maßnahme gegen die Arteriosklerose sondern auch gegen Alterungsprozesse im Allgemeinen und gegen die Krebsentstehung.

Bei den Alterungsprozeß fördernden Risiken wie Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck, Koronare Herzkrankheit usw. ist die NO-Produktion vermindert („endotheliale Dysfunktion“). Sie verbessert sich durch Ausdauertraining innerhalb von 4 Wochen, um nach Trainingseinstellung auch genauso schnell wieder zurückzugehen. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass abhängig vom muskulären Kalorienverbrauch weniger Herzkreislauf-Zwischenfälle auftreten, z. B. bei einem Kalorienverbrauch von über 1500 kcal/Woche 41 % weniger. Das Ausdauertraining hatte in dieser Studie vor allem die Entzündungsparameter und den Blutdruck günstig beeinflusst.

Niederschwellige chronische Entzündungsprozesse an der Gefäßwand scheinen für die Entwicklung einer Arteriosklerose, der Neurodegeneration und der Krebsentstehung ein wichtiger Faktor zu sein. Auch hier zeigt sich in Bezug auf den Entzündungsmarker CRP eine Abhängigkeit vom Trainingsumfang mit den niedrigsten Werten bei einem Kalorienverbrauch von über 2269 kcal/Woche.

Das Altern wird auch als Folge von Glykosylierungsprozessen (AGE-Theorie, advanced glycosylation endproducts) angesehen. Der Blutzucker (Glukose) spielt die Schlüsselrolle bei der Glykosylierung bestimmter Eiweiße (Proteine). Dabei ziehen sich eine Aldehydgruppe    (-CHO) der Glukose und eine Aminogruppe (-NH2) eines Proteins gegenseitig an. Hierdurch Bildung und Anhäufung von Querverbindungen, die für den Elastizitäts- und Funktionsverlust im Alter verantwortlich sind. Solche verzuckerten und quer vernetzten Proteinmoleküle versteifen das Gewebe überall im Organismus beim alternden Menschen und Tier. Absenkung des Glukosespiegels (Kalorienrestriktion, Ausdauertraining) mit Vermeidung einer Hyperinsulinämie wirkt dem Altern entgegen. – Laborratten hatten bei Kalorienreduktion um 30% eine um 50% höhere Überlebenszeit.

Ein Ausdauertraining wirkt dem Altern offenbar auch über eine Beeinflussung der Telomere entgegen. Telomere sind die Enden der Chromosomen. Sie stabilisieren die Chromosomen, enthalten jedoch keine Erbinformationen. Mit jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere. Wird ein kritisches Minimum erreicht, setzt der programmierte Zelltod (Apoptose) ein oder es kommt zum Wachstumsstopp bei Alterung der Zelle (Seneszenz). – 2401 Zwillinge, Durchschnittsalter 49 Jahre. wurden je nach körperlicher Aktivität in 4 Gruppen unterteilt und die Telomerlänge gemessen. In der Gruppe der Aktivsten waren die Telomere im Schnitt 200 Nukleotide länger als bei den gleichaltrigen Inaktiven auch unter Berücksichtigung von Begleitfaktoren wie Rauchen oder Übergewicht. Bei einem durchschnittlichen Verlust von 20 Nukleotiden pro Jahr entspricht dies theoretisch einem Vorteil von 10 Lebensjahren.

Auch das Hirn altert durch Ausdauertraining weniger schnell. Dieses wirkt sich positiv auf Hirnmarker wie Anstieg von BDNF (brain-derived neurotrophic factor), Serotonin, die Durchblutung sowie die Neubildung und Vernetzung von Nervenzellen aus. Beispielsweise zeigte eine Studie an rund 6000 Frauen (Alter über 65) durch Walking einen geringeren Abfall kognitiver Leistungen (Erkennen, Aufmerksamkeit, Erinnerung, Lernen, Kreativität etc.). Selbst bei 60 bis 79-Jährigen konnte nach halbjährigem Ausdauertraining im MRT (Kernspin) eine Zunahme der grauen und weißen Hirnsubstanz registriert werden, nicht jedoch bei der Kontrollgruppe, die nur Stretching und kräftigende Übungen durchführten.

Fazit
Jedes Ausdauertraining, ob „moderat“ oder „intensiv“ ist dosisabhängig mehr oder weniger effektiv.
Anzustreben ist ein wöchentlicher Energieumsatz von mindestens 1500 bis 2000 kcal (rund 30 km zu Fuß) durch Einsatz großer Muskelgruppen mit Aussicht auf Lebensverlängerung bei körperlicher und geistiger Fitness. Der Kalorienverbrauch für Laufen/Walking, die einfachste Art der Bewegung, kann durch folgende Formel (ebene Strecke) annähernd berechnet werden:

Kalorienverbrauch (kcal) = Körpergewicht (kg) x zurückgelegte Strecke (km) x 0,7

Optimal sind neben moderaten Schweiß treibenden Ausdauerbelastungen Phasen höherer Intensitäten mit deutlich erschwerter Atmung. Ein solches Training macht vor allem bei Übergewicht und widrigen Wetterbedingungen oft keinen Spaß, ist aber eine „wohltuende Strapaze“!

(Literatur in Kleinmann, D.: LAUFNEBENWIRKUNGEN, vom Ermüdungsbruch zum plötzlichen Herztod. Was können Sie dagegen tun? Deutscher Ärzte-Verlag Köln)

author: GRR

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