
Kurt Ring - Foto: Wilfried Raatz - ©wus-media
Mein Weihnachtswunschzettel – Ein recht kritischer Rückblick auf ein sportpolitisch schwieriges Jahr – Kurt Ring
Regensburg, 20. Dezember 2015 – „Haben wir den Mut, wir selbst zu sein?“ fragte der spanische Musiker Pablo Casals, ein unermüdlicher Verfechter für Frieden, Demokratie und Freiheit.
Auch in meiner Funktion als Teamchef der LG Telis Finanz in Verantwortung vieler Athleten/Innen die jedes Jahr, jede Saison viele Entbehrungen eingehen, um sich ihre sportlichen Träume zu erfüllen, nehme ich mir die Freiheit, couragiert zu meinen eigenen Werten und Zielen zu stehen, auch wenn sie für viele Etablierte unbequem sind.
Für die Athleten/innen da zu sein, ihnen selbstlos zu dienen, als Lohn dafür ihre Achtung und ihren Respekt zu bekommen, ist einer dieser Werte. Das beinhaltet auch, rückhaltlos ihre Zielvorstellungen zu vertreten, sofern sie mit den Regeln des fairen Wettkampfsports vereinbar sind.
Pierre de Coubertin, der Begründer der modernen Olympischen Spiele bündelte einen seiner Grundsätze in der These „Teilnehmen ist wichtiger als siegen“.
Schließlich ist ein sportlicher Wettstreit keine Abart irgendeiner Kriegsführung. Auch wenn Medaillen, das Podest oder Stockerl in der heutigen Welt des Sports inzwischen eine überragende Bedeutung einnehmen, sollte niemand vergessen, welch armer Wettbewerb einer wäre, gäbe es dort nur noch einen Sieger und zwei Verlierer.
Spätestens dann, wenn sich ein Trainer, Verein oder auch Verband seiner Letztplatzierten schämt, sie vielleicht sogar von Meisterschaften ausschließt, obwohl sie sich entsprechend der Wettkampfvorgaben – in der heutigen Zeit Normleistung genannt – ordentlich dafür qualifiziert hätten.
Lassen Sie mich gerade in diesem Punkt auf die Olympische Bewegung zurückgreifen. In deren Charta steht schwarz auf weiß: „Die Ausübung von Sport ist ein Menschenrecht. Jeder Mensch muss die Möglichkeit zur Ausübung von Sport ohne Diskriminierung jeglicher Art und im olympischen Geist haben; dies erfordert gegenseitiges Verstehen im Geist von Freundschaft, Solidarität und Fairplay“ … und weiter: „Jede Form der Diskriminierung eines Landes oder einer Person auf Grund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung unvereinbar.“
Daraus ergeben sich für mich zwei elementare Fragen. Erstens, steht deutschen Sportlern, sofern sie die internationalen Normkriterien des IOC erfüllen, aber keine Endkampfchance besitzen, nicht auch die Erfüllung ihres ganz eigenen Olympischen Traums zu? Zweitens, ist jener Ausschluss über die fehlende Endkampfchance, den der DOSB in seinen Olympischen Nominierungsrichtlinien für Rio 2016 fordert, nicht eine Diskriminierung im Sinne einer freiheitlich demokratischen Grundordnung, ganz zu schweigen, nicht im Sinne des Olympischen Geistes?
Da habe ich den Mut, einfach ich selbst zu sein, entsetzt und zornig über unsere Verbandsfunktionäre, denen ihre eigene „Performance“, wie sie DLV-Cheftrainer Idriss Cheick Gonschinska nennt, wichtiger ist, als die Erfüllung der Ziele ihrer im eigentlichen Sinne Schutzbefohlenen.
Wie untaugliche Landsknechte werfen sie sie ins Verließ. „Du bringst uns keine Medaille, du bist ein unwerter Sportler“. Ich spreche hier von jungen Athleten/Innen, die ihre Jugend der deutschen Sportbewegung schenken, ihre ganze Tatkraft einsetzen unter Hintanstellung ihrer späteren beruflichen Karriere, nicht selten gepaart mit körperlichen Spätschäden, die der moderne Hochleistungssport mit sich bringt.
In einem der reichsten Länder der Erde dann etwaige Kosten für die sogenannten „Olympiatouristen“ ins Feld zu führen, eingedenk dessen, dass man für jene „Endkampfuntauglichen“ im Vorfeld wenig bis gar nichts zu deren Förderung beigetragen hat, ist in meinen Augen mehr als dreist.
Auch die Sichtweise, eine deutsche Mannschaft würde sich ohne hintere Plätze in Zeiten der Hegemonie von Medaillenspiegeln und Nationenwertungen besser darstellen, ist eine in meinen Augen nicht nachvollziehbare.
Mag sich auch so mancher Funktionär in den Spiegel schauen und fragen, welche Berechtigung doch er hat „auf Steuerkosten“ in Rio dabei zu sein. Ich möchte wetten, dass sich keiner der jetzt Angesprochenen sein Ticket nach Südamerika selbst bezahlen würde, ich gehe aber auch jede Wette ein, dass fast alle „Endkampfuntauglichen“ ihr letztes Hemd für die olympische Teilnahme geben würden.
Die „Performance“, die unsere Top-Funktionäre in letzter Zeit abgegeben haben, allen voran der ehemalige IAAF-Präsident Lamine Diack und auch der jetzige Präsident Sebastian Coe wird zumindest im Fall des Ersteren in der Bewertungskategorie „kriminell“ eingehen.
Da hilft es dann auch wenig, wenn unsere nationalen Top-Leute zwar redlich und sauber dastehen, aber in bester Vogel Strauß Manier zu allem keine Meinung haben, so nach der Devise, wer nichts sagt, kann auch nichts Falsches sagen und wer nichts ändert, kann auch nichts Falsches machen.
Wenn 60 Läufer einen Beschwerdebrief schreiben, Marathon-Veranstalter einen eigenen Verband gründen wollen, Athleten vor Gericht zu klagen beginnen und die Basis weitgehend allein gelassen wird, stinkt es in diesem für Funktionäre immer noch warmen, aber schon leicht faulen Ei.
Doch auf jene Unzufriedenen einmal zuzugehen, ist nicht Sache jener, die immer noch glauben, dass ihr Monopolverband die alleinige Wahrheit gepachtet hat.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den Fall einer meiner Top-Athletinnen erzählen. Corinna Harrer ist bei den Olympischen Spielen 2012 zunächst im Halbfinale mit 21 fehlenden Hundertstel am Einzug ins Finale gescheitert. Nach heutigem Stand der Dinge hätte sie als Fünfte ihres Semifinales ganz regulär das Finale erreicht, einer Leistung, mit der sie in der olympischen Geschichte deutscher Mittelstrecklerinnen im neuen Jahrtausend herausragend alleine dasteht. Das ist im Deutschen Leichtathletik-Verband aber bisher niemandem aufgefallen.
Der Athletin, die in den letzten drei Jahren von vielen schweren Verletzungen heimgesucht wurde und deren Finaltraum vielleicht auf alle Zeiten unerfüllt bleiben wird, hätte die nachträgliche Würdigung und Anerkennung der Offiziellen sicher gut getan. Sie ist inzwischen nicht die einzige, die sich fragt, ob dieser Deutsche Leichtathletik-Verband noch der ihrige ist.
So wünsche ich denn allen Athleten/Innen mit internationalen Zielen so viel Gesundheit und Form, dass sie jede Norm, auch jene unsinnige nationale unterbieten, um sich ihre Träume erfüllen zu können. In diesem Zusammenhang kann ich versichern, dass jede/r Athlet/In der LG Telis Finanz, die/der die nationalen Normen erfüllt, auch bei den Deutschen Meisterschaften starten kann. Denen, die noch nicht so weit sind, wünsche ich eine neue Saison mit vielen Fortschritten.
Ich wünsche allen Helfern, Übungsleitern, Trainern und Funktionsleuten, die sich gerade an der Basis aufopferungsvoll und kostenlos der geliebten Leichtathletik zur Verfügung stellen, geruhsame und erholungsreiche Tage in der Zeit um Weihnachten und Neujahr und der Leichtathletik selbst, endlich den Mut zu Veränderungen aufzubringen.
Kurt Ring
Quelle: LG Telis Finanz Regensburg
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