Blog
29
10
2008

Etwa 550 000 Menschen in Deutschland haben wie Anne einen Typ-1-Diabetes, der meist in Kindheit oder Jugend auftritt. Im Gegensatz zum Typ-2-Diabetes – früher häufig Altersdiabetes genannt – produziert der Körper eines Typ-1-Diabetikers kein eigenes Insulin.

Marathon mit Diabetes – EINMAL NACH 42,195 KM ÜBER DIE ZIELLINIE LAUFEN IST DAS ZIEL VIELER LÄUFER – AUCH SOLCHER MIT DIABETES. DIE ZUCKERKRANKHEIT MACHT ZWAR EINIGES KOMPLIZIERTER, ABER EINEN MARATHON NICHT UNMÖGLICH – Britta Heinemann in RUNNERS WORLD

By GRR 0

ANNE FABIAN-WERNER AUS SOEST IST 33 JAHRE ALT und läuft seit 2005. Im Frühjahr 2007 hat sie ihren ersten Marathon bewältigt – mit einer tollen Zeit von knapp unter 3:45 Stunden. Das ganz Besondere daran: Mit neun Jahren wurde bei Anne ein Typ-1-Diabetes festgestellt, Blutzuckermessen und Spritzen sind für sie längst Routine.

Wenn sie mit ihrer Laufgruppe auf der Bahn Intervalle rennt, merkt man kaum, dass sie Diabetikerin ist – im Gegenteil, sie läuft den meisten Vereinskollegen davon. Einzig an ihrem kleinen Notfall-Pack, das sie immer dabei hat, kann man erkennen, dass sie das Training besser organisieren muss als ihre Mitläufer. In die kleine Gürteltasche packt sie Energieriegel und Traubenzucker, ihr Blutzuckermessegerät und Jubin, eine Zuckerlösung, die bei Unterzuckerung verwendet wird und noch schneller wirkt als Traubenzucker.

Etwa 550 000 Menschen in Deutschland haben wie Anne einen Typ-1-Diabetes, der meist in Kindheit oder Jugend auftritt. Im Gegensatz zum Typ-2-Diabetes – früher häufig Altersdiabetes genannt – produziert der Körper eines Typ-1-Diabetikers kein eigenes Insulin. Durch eine Entzündungsreaktion zerstört das Immunsystem die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Das Hormon Insulin sorgt dafür, dass die Glukose (Traubenzucker, ein Einfachzucker) aus dem Blut in der Leber und in den Muskeln gespeichert wird.

Beim Stoffwechselgesunden wird es bei hohem Blutzuckerspiegel, etwa nach dem Essen, von der Bauchspeicheldrüse ins Blut abgegeben – der Blutzuckerspiegel sinkt. Um diesen Prozess nachzuahmen, spritzen Diabetiker Insulin, meist eine Kombination von langwirksamem Insulin, das über den gesamten Tagesverlauf wirkt und schnellem Insulin zu den Mahlzeiten. Da beim Sport der Blutzuckerspiegel ebenfalls sinkt, muss das Training bei der Berechnung der richtigen Insulinmenge berücksichtigt werden.

Bevor Anne Fabian-Werner also trainiert, muss sie sich Gedanken darüber machen, wie lange und wie intensiv sie laufen möchte und ob die Trainingseinheit vormittags oder abends stattfindet. Sie spritzt dann vorher weniger Insulin und nimmt mehr Kohlenhydrate auf als gewöhnlich, um eine Unterzuckerung beim Training zu vermeiden. Ein Diabetologe, der selber läuft, half ihr bei der richtigen Einstellung.

Sie muss zwar dreimal täglich spritzen, kann dadurch aber flexibel auf ihre Trainingsanforderungen reagieren. Vielleicht ist die gute Organisation auch ein Grund dafür, dass sie – wie auch andere Diabetiker  – disziplinierter im Training und in der Vorbereitung auf Wettkämpfe ist als viele gesunde Läufer.

Unterzuckerung vermeiden

Eine bessere Vorbereitung von Diabetikern auf Langstreckenläufe hat auch Ulrike Thurm, Vorsitzende der IDAA Deutschland (International Diabetic Athletes Association = Internationale Vereinigung diabetischer Sportler) beobachtet. Die Diplomsportlehrerin und Diabetesberaterin betreute von 2002 bis 2006 diabetische Sportler beim Berlin-Marathon und in der Vorbereitung darauf. Medizinische Betreuer auf Fahrrädern entlang der Strecke waren mit Blutzuckermessgeräten, Not-BE (BE = Broteinheit, Kohlenhydrate zur Vermeidung oder Versorgung einer Unterzuckerung), Acetonteststreifen unterwegs, um jederzeit Hilfe leisten zu können.

Zusätzlich gab es spezielle Diabetes-Versorgungspunkte im Start- und Zielbereich sowie auf der Strecke. Hier hatten Diabetiker die Möglichkeit, ihren Blutzucker zu messen, sich mit Glukose-Gel, Energieriegeln und Cola zu versorgen oder Insulin, Spritzen und Acetonteststreifen zu erhalten. „Etwa 50 Diabetiker haben jedes Mal von unserem Angebot Gebrauch gemacht.“ sagt Ulrike Thurm. Sie sind alle gut ins Ziel gekommen. Die paar Sekunden, die das Testen benötigt, nehmen die Diabetiker in Kauf, denn nur so kann eine gefährliche Unterzuckerung vermieden werden.

Tritt eine Unterzuckerung auf, muss das Training oder Rennen in der Regel abgebrochen werden um schnellstmöglich Kohlenhydrate zuzuführen. Um eine Unterzuckerung zu vermeiden, sollte der Blutzuckerspiegel direkt vor dem Lauf deutlich erhöht sein, am besten über 180 mg/dl, vor einem Marathon sogar noch höher liegen – normalerweise soll er zwischen 80 und 120 mg/dl liegen.

Außerdem sollte immer ein Notfallpack mit schnell wirkenden Kohlenhydraten dabei sein, bei längeren Läufen zusätzlich Trinkflaschen mit einer kohlenhydrathaltigen Flüssigkeit, ein Messgerät mit Messstreifen und Energieriegel. Besonders gut für Sportler eignet sich ein Messgerät, mit dem man gleichzeitig den Blutzucker messen und einen Acetontest  durchführen kann.

Und wenn man all das beachtet, dann kann man auch als Diabetiker sich jeden Ausdauertraum erfüllen: Anne Fabian Werner plant irgendwann auf jeden fall, irgendwann einmal an einem Ironman teilzunehmen. 

Britta Heinemann

BUCHTIPP: Ulrike Thurm und Bernhard Gehr, Diabetes- und Sportfibel: mit Diabetes weiter laufen –
Verlag Kirchheim + Co., 19,90 Euro


TYP-2-DIABETES

 
Eine andere Situation als bei der Typ-1-Diabetes gibt es bei den etwa 8 Millionen Typ-2-Diabetikern in Deutschland. Bei dem weitaus häufiger vorkommenden Typ-2-Diabetes ist Bewegungsmangel eine der Hauptursachen. Bewegungsmangel und Übergewicht führen zu einer Insulinresistenz der Muskel-, Leber- und Fettzellen.

Der Schlüsselstoff Insulin wird dann in höherer Menge benötigt als ihn die Bauchspeicheldrüse produzieren kann. Im Normalfall werden blutzuckersenkende Medikamente verschrieben, später kann es zusätzlich nötig werden, Insulin zu spritzen. Körperliche Aktivität kann hier aber dafür sorgen, dass Zucker aus dem Blut verbraucht wird und der Blutzuckerspiegel sinkt.

ACETONTEST
 
Aceton ist ein Ketonkörper, d. h. ein Abbauprodukt von Fettsäuren. Aceton ist ein Kennzeichen einer gefährlichen diabetischen Stoffwechselentgleisung, die bei vollständigem Insulinmangel auftritt. Bei Blutzuckerwerten von über 250 mg/dl muss ein Acetontest durchgeführt werden. Ist er positiv, darf keinerlei körperliche Aktivität durchgeführt werden.

Britta Heinemann in RUNNERS WORLD – Oktober 2008 

 

author: GRR

Comment
0

Leave a reply