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Marathon in Berlin – Wie Usain Bolt – nur unter 9,3 Sekunden – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
„Dies ist der Beweis: Ich bin kein verrückter Professor.“ Sagt der verrückte Professor. Yannis Pitsiladis, Sportwissenschaftler an der Universität von Brighton, verfolgt mit Eifer das Ziel, so lange an so vielen Stellschrauben zu drehen, dass schon bald der erste Marathonläufer in weniger als zwei Stunden am Ziel ist. 42 195 Meter in weniger als 120 Minuten, das bedeutet: jeden einzelnen Kilometer in nicht mehr als 2:51 Minuten zu laufen.
Das ist noch niemandem gelungen. Der Weltrekord steht, seit Dennis Kimetto ihn vor zwei Jahren beim Berlin-Marathon lief, bei 2:02:57 Stunden. Seine Zeit um 178 Sekunden zu unterbieten, entspricht einer Steigerung von 3,17 Prozent. Auf den Sprint umgelegt bedeutete dies, den 100-Meter-Weltrekord von Usain Bolt von 9,58 auf unter 9,30 zu verbessern – unvorstellbar.
„Wir brauchen verrückte Leute, um Ideen zu entwickeln“, sagt der niederländische Athletenmanager Jos Hermens. Er verfolgt den Zwei-Stunden-Plan gemeinsam mit Pitsiladis seit fast vier Jahren. Dreißig Millionen Dollar brauchten sie, um mit den besten Athleten und den besten Wissenschaftlern das Projekt zu realisieren. Schreitet die Entwicklung des Weltrekords im bisherigen Tempo voran, dürfte die Zwei-Stunden-Grenze in dreißig bis vierzig Jahren erreicht sein.
Als Pitsilatis und Hermens vor zwei Jahren an die Öffentlichkeit gingen, zielten sie auf 2019. Die beiden sind an diesem Sonntag beim Marathon in Berlin. Kenenisa Bekele, drei Mal Olympiasieger auf der Bahn, fünf Mal Weltmeister und unübertroffen mit seinen Rekorden von 12:37,35 Minuten über 5000 und 26:17,53 über 10000 Meter, will sich an der Spitze des Straßenlaufs etablieren.
Er lässt sich dabei von Pitsiladis und Hermens unterstützen. Afrikanische Barfuß-Läufer verlören ein Prozent Energie, wenn sie Laufschuhe tragen, sagen die beiden Experten. Deshalb trägt der Äthiopier modifizierte Spezialschuhe seines Sponsors. Bis nächstes Jahr, verspricht Pitsiladis, werde sein Projekt gar einen eigenen Schuh entwickelt haben.
Dazu soll ein Sportgetränk, ein Prototyp aus Schweden, Bekele schneller machen.
Es überwindet das natürliche Limit der Glucose-Aufnahme im Magen von acht Prozent, indem es den Zucker in einer Substanz, die sich erst im Darm auflöst, dorthin transportiert. Der Darm nimmt fast doppelt so viel Glucose auf: das Äquivalent zur Druckbetankung im Motorsport. Wenn das im Rennen so gut funktioniere wie im Training, schätzt Pitsiladis, sollte Bekele eine Minute gewinnen.
Schuhe und Energieversorgung sind nur zwei von einem Dutzend Felder, auf denen „sub2hrs“ die Leistung von Langläufern steigern will. Es gelte, „marginal wins“, noch so kleine Zeitgewinne, zu akkumulieren. Spektakulärster Aspekt der Unternehmung ist die Genanalyse. Pitsiladis leitet auch das Athlome Project: eine Datenbank für die DNA von Topathleten aller Sportarten und aus aller Welt. Sie soll es ermöglichen, angeborene Voraussetzungen für spitzensportliche Höchstleistungen zu erkennen, die Blaupause für Talent.
Den Beweis, dass er kein verrückter Professor sei, will Pitsiladis darin erkennen, dass Marathon-Olympiasieger Eliud Kipchoge in der kommenden Woche zu eingehenden Untersuchungen nach Portland in Oregon fliegt, den Sitz seines Sponsors Nike. Dort, wo Trainer Alberto Salazar das Oregon Project betreibt, das Läufer wie Mo Farah und Galen Rupp mit allen Erkenntnissen der Wissenschaft schneller macht, wird sich der Kenianer vermessen lassen und auch eine DNA-Probe geben – was er dem Projekt seines Managers Hermens verweigert.
Was aber will Nike mit der DNA? Für Pitsiladis liegt die Antwort auf der Hand: Auch der Sportartikelhersteller engagiert sich auf seinem Feld. „Das Schöne ist: Dies wird ein Rennen werden“, sagt er. „Dies ist nicht Science Fiction. Wir wollen beweisen, dass dies nicht die verrückte Idee eines verrückten Professors ist.“
Konkurrenz stimmt sie fröhlich
Zwar noch keinen Sponsor, doch in der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) haben Pitsiladis und Hermens einen namhaften Förderer gefunden. Genexpression bei Athleten zu überwachen, jede hormonelle Veränderung zu realisieren, bedeutet nicht nur, das Training optimieren zu können und Gesundheits- und Verletzungsprophylaxe auf die Spitze zu treiben. Die Technologie ermöglicht Wissenschaftlern auch die vollständige Kontrolle darüber, was dem Athletenkörper zugeführt wird.
Eine Million Dollar lässt es sich die Wada kosten, dabei zu sein, wenn „sub2hrs“ in Eldoret in Kenia und in Bekoji in Äthiopien entsprechende Labors einrichtet. Die Konkurrenz, die Pitsiladis so fröhlich stimmt, könnte zu erstaunlicher Einigkeit führen. Nichts macht die besten Langläufer der Welt schneller als die besten Langläufer der Welt. Zum Plan für ihren Lauf der Läufe gehört deshalb, dass Hermes und Pitsiladis die besten fünf oder gar zehn der Welt verpflichten wollen zum Angriff auf die Zwei-Stunden-Grenze – nur eine Frage des Startgelds.
Pitsiladis hat über einen Lauf am Toten Meer nachgedacht, wo durch die Lage unter Normal null der Sauerstoffgehalt von fünf Prozent mehr als normal kenianischen und äthiopischen Läufern einen zusätzlichen Leistungsvorteil bescheren könnte. Doch eine Laufstrecke auf Pontons, vor dem Wüstenwind durch Wände geschützt, wäre dann doch zu aufwendig zu bauen.
Hermens glaubt, die Formel-1-Rennstrecke von Monza könnte ausreichend Laborbedingungen für den Lauf der Läufe bieten. „Oder vielleicht eine Halle mit optimiertem Luftdruck und Spezial-Boden“. Der weite Weg zum perfekten Marathon ist gesäumt von verrückten Ideen.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 25.09. 2016