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23
12
2009

Kurz gesagt lautet sein Rat: „Essen Sie nur dann, wenn Sie Hunger haben, und zwar nur das, worauf Sie echte Lust verspüren und was Ihnen gut schmeckt.“

Lust ist der beste Berater – Nicht nur zu Weihnachten stellt sich die Frage nach der richtigen Ernährung Ein neues Buch behauptet: Der Körper weiß selbst, was er braucht. Experten schränken das ein – Saskia Weneit im Tagesspiegel

By GRR 0

Wichtig ist das innerliche Stöhnen. Dieser wohlige Laut, direkt aus dem Bauch. „Wenn er kommt, dann haben Sie alles richtig gemacht und den echten Hunger mit dem richtigen Essen gestillt“, sagt der Frankfurter Ernährungswissenschaftler Uwe Knop. Sein Thema ist der ewige Streit zwischen Körper und Geist, zwischen „ich will“ und „ich darf nicht“.

Ein Kampf, der gerade auch zu Weihnachten die Gemüter beherrscht. Meist verliert die Ratio. Dann heißt es: Rein mit dem Schokoweihnachtsmann, mit den Knödeln oder der fettigen Gans. Aber das macht nichts, behauptet Knop in seinem Buch „Hunger und Lust – Kulinarische Körperintelligenz“, das im Sommer erschienen ist und für einige mediale Aufregung gesorgt hat.

Kurz gesagt lautet sein Rat: „Essen Sie nur dann, wenn Sie Hunger haben, und zwar nur das, worauf Sie echte Lust verspüren und was Ihnen gut schmeckt.“

Natürlich, so Knop, solle man sich nicht wahllos über Leckereien hermachen. Sondern sich immer fragen, ob man gerade wirklich Hunger hat oder nur Appetit. Hat man wirklich Hunger, dann solle man sich nicht zermürben, ob etwas erlaubt ist. Weil man sich so den Genuss verbietet. „Der Körper sagt, was richtig ist.“ Das klingt sehr simpel. Nur auf den Körper hören und das Essen, worauf man Hunger hat – das wird ein Fest! Solange man nicht Appetit und Hunger durcheinander bringt.

Andreas Pfeiffer, Direktor der Abteilung Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin an der Berliner Charité, kennt das Buch. Aber er ist nicht einverstanden mit dem, was drin steht. „Die meisten Menschen essen das, was ihnen schmeckt und nicht, was gesund ist“, sagt er. Durch das große Angebot an Essen sei es schwer, sich dem zu entziehen. Pfeiffer, der auch die Abteilung für Klinische Ernährung im Deutschen Institut für Ernährungsforschung leitet, sieht ständig Menschen, die infolge ihrer Ernährung krank werden.

Die Zahl der Diabetes-Fälle steige stetig, unter Fettleibigkeit litten inzwischen über 20 Prozent der europäischen Bevölkerung. Schuld sei das Überangebot an Nahrungsmitteln. Daher könne der Mensch überhaupt nicht mehr wirklich entscheiden, was sein Körper braucht.

Da ist er gar nicht so weit entfernt von Knops Position. Auch Knop meint, der Mensch hätte verlernt, auf seinen Körper zu hören. Darum esse er Dinge, auf die er keine Lust hätte, die aber als gesund bezeichnet werden. „Diese ganzen Regeln bringen viele Menschen durcheinander, dadurch ist deren Gefühl für Hunger entkoppelt“, sagt er. Kommt Salat auf den Teller, obwohl man eigentlich nach einem Steak giert, sei dies auf Dauer kein gutes Essverhalten. Unzufriedenheit drohe, wenn nicht gegessen wird, was befriedigt.

Genuss und Befriedigung blieben aus, wenn etwas zu sich genommen werde, worauf man eigentlich keine Lust habe. Letztendlich komme doch der Heißhunger und der Körper fordere mit aller Macht, was er braucht, um die nötigen Nährstoffe zu bekommen. „Der Körper braucht Harmonie und nicht einen ständigen Kampf zwischen Verstand und Gefühl, bei dem dauernd Verbote im Kopf herumschwirren“, meint Knop.

Ein Wohlgefühl beim Essen wolle er erreichen. Ohne Regeln, ohne Studien. Der Ernährung werde ein viel zu hoher Faktor eingeräumt beim Thema Gesundheit. Essen mache satt, sonst nichts. Gesundheit sei nicht essbar, Faktoren wie Gene, sozialer Status, Umwelt, Zufriedenheit würden entscheiden. „Es gibt grundsätzlich weder gesunde Nahrungsmittel noch ungesundes Essen“, so seine Meinung. Alles sei erlaubt – allein die Menge entscheidet. Die Nährstoffversorgung sieht Knop dabei nicht gefährdet. Würde man wirklich auf seinen Körper hören, würde die Versorgung über das Hunger- und Lustempfinden reguliert werden.

Diese These kann Ernährungsmediziner Pfeiffer überhaupt nicht teilen. Essen spiele für die Gesundheit direkt eine Rolle, sagt er. Mit Ernährung könne man schließlich das Risiko für Erkrankungen wie Diabetes beeinflussen. Auch wenn es wenig hartes, gesichertes Wissen über Ernährung gebe, sei klar, welche Rolle Vitamine, Fette und Ballaststoffe spielen.

Thomas Ellrott ist Leiter des Instituts für Ernährungspsychologie der Georg-August-Universität in Göttingen. Auch er hält die Einteilung „gesund, ungesund“ für problematisch. „Natürlich kann kein einzelner Apfel das Attribut gesund bekommen“, sagt er. Die Menge über Jahre sei entscheidend.

Zu Knops These, das Hungergefühl alleine würde für die richtige Ernährung sorgen, meint Ellrott: „Sicher gibt es Menschen, die sich rein nach ihrem Hungergefühl ernähren können, unabhängig von den Außenreizen.“ Allerdings hätte nicht jeder die Möglichkeit dazu. Der Institutsleiter beschäftigt sich mit der Frage, warum die meisten Menschen anders essen, als sie sollten. Nach seiner Erfahrung glaubt er nicht, dass Menschen dauerhaft wieder lernen können, auf das innere Hungergefühl zu hören und die Außenreize zu ignorieren. „Viele essen doch, was da ist oder was billig ist“, sagt er. Dahinter stecke ein lebenslanger Prozess.

Schon in der Kindheit würde das intuitive oder instinktive Essverhalten durch Außenreize kaputt gemacht. Da sei es unwahrscheinlich, durch eine bewusste Intention, wie sie Knop empfiehlt, ein anderes Essverhalten durchzuhalten. Außerdem sei es im Alltag schwierig, nach seinem persönlichen Hunger zu essen. „Wir sind soziale Wesen, die gemeinsame Essenszeiten haben“, so Ellrott. Allerdings stimmt er Knop zu: Bei Ernährungsumstellungen wie Diäten und Anlässen wie Weihnachten mache eine zwanghafte Einschränkung durch Verbote nicht glücklich.

Also zurück zur entscheidenden Frage: Darf man in den Weihnachtstagen hemmungslos schlemmen? Die Ernährungswissenschaftler sind sich weitgehend einig: Zwischen Weihnachten und Neujahr wird man nicht dick. Sondern zwischen Neujahr und Weihnachten. Knop rät vor allem von hungerfreiem „Pflichtessen“ ab. Ernährungsmediziner Pfeiffer betont, man könne gerne zuschlagen – müsse aber danach auch wieder ausgleichen. In drei Tagen könne man viel anrichten und den Leberfettgehalt ungesund erhöhen.

Sein Ratschlag: Wenig gesättigte Fette, viele Ballaststoffe, viel Gemüse und viel Bewegung. „Zu Weihnachten sollte man sich nicht mit Verboten den Genuss verderben – lohnt nicht. Sondern auf eine gute Mischung auf dem Teller achten. Und den Spaziergang zwischen den Mahlzeiten nicht vergessen“, sagt auch Ellrott.

Die Bewegung bringe den natürlichen Appetit auf die nächste Runde zurück. Eine kleine Sünde sei jederzeit in Ordnung – solange sie nicht zur Regel werde.

Mehr Infos zum Thema im Internet unter  www.ernaehrungspsychologie.org und www.echte-esser.de

Saskia Weneit im Tagesspiegel, Montag, dem 21. Dezember 2009 

author: GRR

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