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2012 London Olympic Games London, England Aug03-12 2012 Photo: Victah Sailer@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

LONDON 2012 – Olympia 2012 – Die Renaissance der deutschen Leichtathletik – Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

14.08.2012 ·  Acht Medaillen holten die deutschen Leichtathleten bei den Olympischen Spielen in London. Diese Ausbeute ist aber nur die halbe Wahrheit. In der Nationenwertung liegen die Deutschen sogar vor Großbritannien.

Speerwerfen, das hat man in den vergangenen Jahren gelernt, ist eine europäische Domäne – beherrscht vom Norweger Andreas Thorkildsen, dem Olympiasieger von Athen und Peking. Jetzt muss man umlernen. Der 30 Jahre alte Mann aus Kristiansand wurde nur Sechster am Samstagabend, als die Spiele Abschied nahmen vom Olympiastadion in London, hinter seinem ewigen Herausforderer Tero Pitkämäki aus Finnland und dem hoch favorisierten Tschechen Vitezslav Veselý.

Gold aber gewann ein Teenager aus der Karibik: Keshorn Walcott aus Trinidad und Tobago. Der ist gerade einmal 19 Jahre alt, Junioren-Weltmeister, und er wurde in London mit einem Wurf von 84,58 Meter zum ersten Olympiasieger aus der Karibik in einem Feld-Wettbewerb, also außerhalb der Läufe. Walcott ist zudem der erste Speerwurf-Olympiasieger seit 1952, der nicht aus Europa stammt. Tino Häber aus Leipzig wurde Achter und trug so seinen Teil bei zum Abschneiden der deutschen Leichathletik-Mannschaft, das die Enttäuschungen von Athen 2004 und Peking 2008 vergessen macht.

Für Begeisterung und die letzten Medaillen hatten am Freitagabend die Stabhochspringer Björn Otto und Raphael Holzdeppe gesorgt. Beide schwangen sich über die Latte in 5,91 Meter Höhe und mussten sich nur dem überragenden Franzosen Renaud Lavillenie (5,97 Meter) geschlagen geben.
Es waren die ersten deutschen Stabhochsprung-Medaillen seit 16 Jahren. Dazu kam noch Hammerwerferin Betty Heidler, die Bronze gewann.

Wer nur Medaillen zählt, kommt zwar auf eine Summe, die den Ertrag von Athen 2004 (zweimal Silber) und Peking 2008 (einmal Bronze) bei weitem übertrifft und das 77-köpfige deutsche Team auf Platz sieben im Leichtathletik-Medaillenspiegel bringt. In Peking war es Rang 38. „Leichtathleten verachtfachen ihr Ergebnis von Peking 2008. Aktueller Stand 8 Medaillen – boooooooom!“ jubelte denn auch Olympiasieger Robert Harting über Twitter.
 
Doch zum einem war die deutsche Leichtathletik mit der Bronzemedaille von Speerwerferin Christina Obergföll 2008 in einem Tief, das mit der Überalterung ihrer Stars ebenso viel zu tun hatte wie mit der Entmutigung und Perspektivlosigkeit der nächsten Generation. Zum anderen ist das allein auf die ersten drei Plätze beschränkte Bild nicht wirklich aussagekräftig.

Die Goldmedaille von Harting, die Silbermedaillen von Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf, Speerwerferin Christina Obergföll, Kugelstoß-Weltmeister David Storl und Stabhochspringer Otto sowie die Bronzemedaillen von Betty Heidler, Linda Stahl (Speer) und Holzdeppe (Stab) sind nur die Kirschen auf der Sahne.

 

„Krönender Abschluss einer dreijährigen Entwicklung“

 

Die Fachleute messen ihre mannschaftliche Stärke in der sogenannten Nationenwertung, in der das Abschneiden bis Platz acht berücksichtigt wird. Mit mehr als 65 Punkten kommen die Deutschen darin auf Platz fünf hinter den Vereinigten Staaten, Russland, Jamaika und Kenia – und noch vor Äthiopien und Großbritannien.

Vor allem das deutsche Abschneiden vor Gastgeber Großbritannien mit Doppel-Olympiasieger Mo Farah und dem „Super-Saturday“ mit den Siegen von Jessica Ennis im Siebenkampf, Michael Rutherford im Weitsprung und Farahs Erfolg über 10.000 Meter erfüllen die Führung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) mit Stolz.

DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen bezeichnet das Abschneiden seiner Mannschaft als krönenden Abschluss einer dreijährigen Entwicklung, der die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2009 in Berlin den nötigen Schub verliehen hat – obwohl die Konkurrenz stärker war denn je. Athleten aus mehr als 40 Ländern gewannen Medaillen, mehr als 65 Mannschaften werden in der Nationenwertung der Leichtathletik geführt.
„Ein Symbol, dass die deutsche Leichtathletik zurück ist“

Einen nicht geringen Beitrag zur Vielfalt in der olympischen Kernsportart leistet der Welt-Leichtathletik-verband, indem er zehn sogenannte High Performance Centres unterhält, in denen leichtathletische Talente betreut werden, die in ihren Heimatländern nicht ausreichend gefördert werden können. Nicht nur Athleten profitieren von diesen Kompetenzzentren, insbesondere Trainer aus aller Welt erhalten dort spezielle Kenntnisse.

Kurschilgen und DLV-Präsident Clemens Prokop hoben aus dem deutschen Team insbesondere Robert Harting hervor, der unter besonderer Belastung in die Olympischen Spiele gegangen sei. „Der erste Olympiasieg seit 2000 ist ein Symbol, dass die deutsche Leichtathletik zurück ist“, sagte Prokop. Lob für persönliche Bestleistungen zum rechten Zeitpunkt bekamen neben Holzdeppe, Lilli Schwarzkopf und Storl auch die beiden Hindernisläuferinnen des deutschen Teams: Gesa Krause, die schnell rannte wie nie zuvor, und Antje Möldner-Schmidt, die von einer Krebserkrankung zurückgekehrt und zweitbeste Hindernisläuferin Europas geworden ist.

 

Björn Otto: „Die habe ich für mich gewonnen“

Ob er seine Silbermedaille für Deutschland gewonnen habe, wurde Stabhochspringer Björn Otto gefragt, als er seinen Erfolg mit einem Rückblick auf das Tief genoss, in dem er vor einiger Zeit gesteckt hatte. Erst rissen beide Achillessehnen und, kaum war er zurück, verweigerte ihm der Verband seine sportliche Qualifikation für die Weltmeisterschaften 2011 in Daegu wegen einer nicht korrekt vermessenen Stabhoch- sprunganlage.

„Die habe ich für mich gewonnen“, antwortete der Biologe und angehende Pilotenschüler. „Bei allem Glamour dieser Spiele“, sagte DLV-Chef-Bundestrainer Idris Gonschinska, „das gilt es zu erhalten bei Olympischen Spielen: dass diejenigen hier zusammenkommen, die sich durchsetzen und ihre Träume erfüllen.“

Björn Otto ist ein gutes Beispiel.

 

Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 14. August 2012

author: GRR

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