Blog
08
08
2012

2008 Olympic Games Beijing, China August 8-24, 2008 Photo: Takashi Ito@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

LONDON 2012 – Hürdensprinter Liu Xiang – Die Wiederholung eines Albtraums – Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

07.08.2012 ·  Chinas Star Liu Xiang scheitert wie vor vier Jahren schon an der ersten Hürde. Offenbar hat er sich wieder an der lädierten Achillessehne verletzt. Unter tosendem Beifall der Fans hüpft er weiter bis zur letzten Hürde – und küsst diese.

Das grausame Scheitern von Liu Xiang bei Olympischen Spielen hat sich in London wiederholt: Wie 2008 in Peking stürzte der chinesische Favorit auf die Goldmedaille im Vorlauf an der ersten Hürde. Wieder scheint er eine schwere Verletzung der Achillessehne am rechten Bein erlitten zu haben, vermutlich einen Riss.

Diesmal verschwand der inzwischen 29 Jahre alte Olympiasieger von Athen 2004 nicht schnell in den Katakomben wie vor vier Jahren, als er schlagartig die Enttäuschung des chinesischen Publikums spürte, das den Olympiasieg von ihm erwartet hatte.

Diesmal richtete er sich auf und hüpfte unter dem tosenden Beifall des britischen Publikums auf einem Bein, dem linken, bis zum Ende der Bahn. In einer Geste, als springe er aus der Endlosschleife eines Albtraums, hüpfte er vor dem zehnten Hindernis in seine Bahn zurück, legte er beide Hände auf die Hürde und küsste sie. Als er ins Ziel kam, immer noch auf einem Bein, hob der Ungar Balázs Baji Lius Arm in den Himmel, als könnte er ihn so zum Sieger erklären.
Auf einem Rollstuhl ins Krankenhaus

Auf die Schultern seiner Konkurrenten Andrew Turner und Jackson  gestützt, humpelte der Chinese aus dem Innenraum. In einem Rollstuhl brachten ihn Helfer ins Krankenhaus. Im Gegensatz zu Peking, wo er, als das Rennen wegen Fehlstarts abgebrochen wurde, in die erste Hürde lief und dann wegen unerträglicher Schmerzen in der entzündeten Sehne die Bahn verließ, versuchte Liu in London die erste Hürde zu überspringen.

Er trat aber, offenbar weil er nicht abspringen konnte, mit dem ausgestreckten linken Bein in die Hürde. Die Rückseite seines Unterschenkels war mit einem sogenannten Kinesio Tape beklebt. Die Sehne sei über die Jahre selbstverständlich behandelt worden, sagte Feng Shu Yong, der Cheftrainer der chinesischen Leichtathletikmannschaft; man habe aber keine spezielle Behandlung für London vorgenommen. Die Verletzung, offensichtlich schwer, sei überraschend passiert. Spritzen in die Sehne habe Liu nie erhalten.

 

Gequält von einer chronischen Verletzung

Verstörend an der Karriere von Liu wirkte stets, dass nicht zu erkennen war, ob es der eigene Ehrgeiz war, der ihn in die Überlastung trieb, oder ob der staatliche Sportapparat über seine Einsätze und damit auch über seine Gesundheit entschied. Vor fünf, sechs Jahren war Liu Xiang auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit. In Lausanne verbesserte er 2006 den Weltrekord über 110 Meter Hürden um drei Hundertstelsekunden auf 12,88 Sekunden. Ein Jahr später wurde er in Osaka Weltmeister.

Mag sein, dass er sich in London, gequält von seiner chronischen Verletzung und verfolgt von traumatischen Erlebnissen, vom Spitzensport verabschiedet hat. „Niemand ahnt, wie hart Liu Xiang gearbeitet hat und was er alles auf sich nahm, um die Ergebnisse zu erzielen, die wir von ihm kennen“, sagte an diesem Dienstag Cheftrainer Feng Shu Yong. Sun Haiping, der Liu in dessen Heimatstadt Schanghai seit mehr als einem Jahrzehnt trainiert, war nicht zu sprechen.
 
Er hatte vor vier Jahren unter Tränen die Schuld für Lius Scheitern auf sich genommen und beschrieben, dass der Verband und er wegen der Bedeutung der Spiele in Peking die Entzündung der Achillessehne lange ignoriert hatten. Nach den Spielen ließ Liu sich in Amerika operieren. In diesem Jahr schien der Hürdensprinter endlich wieder das höchste Niveau zu erreichen. In Schanghai unterbot er im Mai zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder 13 Sekunden, und noch schneller als in diesen 12,97 Sekunden war er beim Sportfest von Eugene: inoffiziell, da der Rückenwind zu stark war, lief er eine Zehntelsekunde schneller – 12,87 Sekunden. Das entsprach dem aktuellen Weltrekord des Kubaners Dayron Robles.

 

„Liu ist immer Favorit“

Beim Sportfest in London im Juli verzichtete Liu auf den Endlauf; angeblich wegen Rückenbeschwerden. Der Amerikaner Aries Merritt, mit 12,93 Sekunden der schnellste Hürdensprinter des Jahres, sagte damals: „Liu ist immer der Favorit. Er ist ein Kumpel und ein außergewöhnlicher Athlet.

Er spricht nicht wirklich englisch, man versteht nicht immer, was er sagt. Aber auf der Bahn macht er sich verständlich.“

 

Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 7. August 2012

author: GRR

Comment
0

Leave a reply