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16
07
2012

Aerial view of the Olympic Park showing the Olympic Stadium and warm-up track and Canary Wharf in the background. Picture taken on 16 April 2012.

LONDON 2012 – Analyse – Kennen Sie London – Was bringen Olympische Spiele? Christian Hönicke im Tagesspiegel

By GRR 0

Inzwischen belegen viele Studien, dass Olympia weder die Beschäftigung noch die Einkommen langfristig steigen lässt. Warum also Olympia? „Dafür gibt es viele Argumente“, sagt Wolfgang Maennig. Der Ruder-Olympiasieger von 1980 und heutige Sportökonom beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von Sportevents und hat dafür schon viele Statistiken gewälzt und erstellt. Er erzählt vom „Feelgood-Effekt“, vom Stolz auf die eigene Stadt.

Und vom sogenannten „Nation Brands Index“, in dem versucht wird, das Ansehen eines Landes zu messen. Dabei schätzen weltweit Menschen Länder anhand von 17 Kriterien ein, etwa dessen Gastfreundschaft oder Kultur.

„Vor der WM 2006 lag Deutschland da immer so zwischen Rang vier und sieben“, sagt Maennig, „danach konstant auf Platz zwei. In allen Kategorien haben wir uns nach der WM klar verbessert.“

Inzwischen geht man davon aus, dass auch Olympia das Ansehen eines ganzen Landes nachhaltig beeinflussen kann. In Australien hat man im Jahr 2000 errechnet, dass Olympia in Sydney dem Land eine Werbewirkung im Wert von etwa vier Milliarden Euro bescherte. Seit die Spiele von Mexiko City 1968 erstmals live und in Farbe in aller Welt zu sehen waren, sind sie aber vor allem für die Metropolen dieser Welt die attraktivste Werbebühne. Knapp fünf Milliarden Menschen werden in wenigen Tagen verfolgen, wie sich das altehrwürdige London eine Verjüngungskur verpassen will.

Die Olympischen Spiele sind aber mehr als ein zweieinhalbwöchiger Werbespot. Sie sind ein gigantisches Renovierungs-projekt: Im Wettkampf der Metropolen bietet Olympia die große Chance, in kürzester Zeit Infrastruktur und Image zu modernisieren – wenn man es gut plant. „München war da ein bisschen stilbildend“, sagt Hans-Jörg Stiehler. Der Leipziger war an einem Projekt der „Internationalen Gesellschaft für Medien und Kommunikationsforschung“ beteiligt, die die Auswirkungen von Olympischen Spielen auf die Städte von München 1972 bis Athen 2004 untersuchte.

Mit unterschiedlichen Ergebnissen. München etwa habe „von der Infrastruktur her und von der Bedeutung des Orts ungeheuer gewonnen“, sagt Stiehler. „Sie haben eine ordentliche U-Bahn bekommen, Stadt- und Sportinfrastrukur erhalten und das olympische Dorf mit gescheiter Nachnutzung.“ Die Stadt erfand sich auch ein bisschen neu: „Durch Olympia ist München als Kultur- und Medienstandort überhaupt erst auf die internationale Landkarte gekommen.“

 

In einem neuen Licht. Die Olympischen Spiele 2000 brachten Sydney ein modernes Image  und Australien einen Werbewert von vier Milliarden Euro ein. 

Erfolgreiche Stadtrenovierung betrieb 1992 auch Barcelona. Der schmuddligen Hafenstadt gelang die Wandlung zur Kulturmetropole. Die halbe Innenstadt wurde saniert, mit dem olympischen Dorf entlang der Küste wurde ein komplett neues Stadtviertel gewonnen und die Verkehrsinfrastruktur verbessert. „Die Stadt ist richtig aufgeblüht und profitiert immer noch davon“, sagte Stiehler.

 

Montreal hat noch heute an den Spielen von 1976 zu knabbern

 

Münchens direkter Nachfolger Montreal dagegen ist ein Beispiel dafür, dass Olympia auch ein Fluch sein kann. Kanada ließ die Stadt damals mit den ausufernden Kosten allein, „und sie bezahlen immer noch dafür“, sagt Stiehler. Das Finanzdebakel von Montreal markierte einen Wendepunkt. Inzwischen werden Olympiabewerbungen als nationale Aufgabe betrachtet, deren Finanzierung meist das ganze Land übernimmt.

Die Attraktivität einer Bewerbung für die Städte ist dadurch gestiegen, „denn so kann man Töpfe für die Stadtentwicklung anbohren, an die man sonst nicht oder erst viel später herankommen würde“, sagt Stiehler. Sportökonom Maennig rechnet vor: Olympia in London soll die Briten zwischen neun und 14 Milliarden Euro kosten. „Aber die Organisationskosten liegen traditionell nur bei etwa 2,5 Milliarden Dollar und werden voll gedeckt durch die Einnahmen der Organisationskomitees – die Masse stellt das IOC aus Fernseh- und Sponsoringerlösen bereit.“

Die restlichen Baukosten seien keine reinen Olympiakosten. Viele Verkehrs- und Infrastukurmaßnahmen seien meist ohnehin nötig und würden einfach vorgezogen. So wurde in London das Eisenbahnnetz ausgebaut, um die unter ihrem Alter ächzende U-Bahn zu entlasten. Und das olympische Dorf im Ostlondoner Stadtteil Stratford soll später in dringend benötigten Wohnraum umgewandelt werden.

Die sinnvolle Nachnutzung von Infrastruktur und Anlagen ist der entscheidende Faktor für die Olympiastadt. Hier kann sogar eine gescheiterte Bewerbung ihr Gutes haben. Obwohl Berlin nicht den Zuschlag bekam, wurden damals Velodrom und Max-Schmeling-Halle gebaut – zwei Veranstaltungsorte, die auch heute noch benötigt werden.

 

Die überdimensionierten Sportstätten von Athen 2004 verrotten derweil.

 

 

Athen scheiterte 2004 an dieser Frage. „Die Stadt und das Land waren für Olympia nicht geeignet“, sagt Maennig. Man baute eine U-Bahn vom Flughafen in die Stadt, die man sich nicht leisten konnte. „Die Griechen wussten doch, dass sie pleite waren, und hätten besser auf die teure Bewerbung verzichtet.“ Und weil die Stimmung schlecht war und die Anlangen danach verrotteten, hielt sich auch der Werbeeffekt in Grenzen.

Eine ähnliche Erfahrung ist Leipzig zum Glück erspart geblieben. Stiehler ist jedenfalls froh, dass seine Stadt den Zuschlag für 2012 nicht bekommen hat. Die Sportstätten hätte nach den zweieinhalb Wochen kein Mensch mehr gebraucht, und an die Verkehrsschneisen, die durch die Stadt hätten geschlagen werden müssen, mag Stiehler gar nicht denken. Leipzig, sagt er, hätte sich an diesem gigantischen Ereignis „überhoben, und zwar erheblich“.

Auch IOC-Präsident Rogge war froh über die Absage an Leipzig; die Stadt sei einfach zu klein für Olympia.

In vier Jahren wird Rio de Janeiro Gastgeber der Spiele sein, das passt schon eher. 2014 findet die Fußball-WM in Brasilien statt. Wie sehr Rio sein Image als Hort von Gewalt und Kriminalität korrigieren will, zeigt sich in der beispiellosen Konsequenz der Bauarbeiten. Unter Protesten von Menschenrechtlern werden Favelas abgerissen, um Platz zu machen. Platz für das neue Rio.

Ob es besser als das alte ist, wird sich wie immer erst zeigen, wenn die olympische Flamme erloschen ist.

Christian Hönicke im Tagesspiegel, Sonntag, dem 15. Juli 2012

 

 

Peking 2008 –  Im Vogelnest finden jetzt Freundschaftsspiele statt – Benedikt Voigt im Tagesspiegel

Im Pekinger Nordosten, wo sich die Flughafenautobahn mit dem vierten Ring kreuzt, hat die chinesische Hauptstadt die olympischen Ringe gefälscht. Fünf mannshohe Kreise zieren dort den Rasen, doch statt übereinander stehen sie nebeneinander und statt der olympischen Farben tragen sie kommunistisches Rot. Die roten Ringe künden den Vorbeifahrenden vom neuen „Pekinger Geist“, der eine Fortsetzung des olympischen Geistes sein soll: Patriotismus, Innovation, Gemeinschaft, Tugendhaftigkeit.

Die politische Propaganda bedient sich weiterhin bei den Ideen Olympias. Das Erbe der Olympischen Spiele von Peking hingegen bleibt durchwachsen – so, wie es auch die politisch umstrittenen, aber spektakulär organisierten Sommerspiele von 2008 waren.

Am deutlichsten wird das beim Pekinger Olympiastadion, das als „Vogelnest“ in die Geschichte eingegangen ist. Weiterhin findet China keine dauerhafte Verwendung für das aufwendige Bauwerk. Demnächst kicken dort die Fußballklubs von Arsenal und Manchester City in aller Freundschaft, im August wird der italienische Supercup zwischen Neapel und Juventus Turin dort entschieden, wo Usain Bolt vor vier Jahren zur Goldmedaille sprintete.

Nach Betreiberangaben besuchen bis zu 30 000 Touristen täglich das leere Stadion und bezahlen dafür 50 Yuan (6,50 Euro) Eintritt. Der Vogelnest-Besucher Wen Dandan möchte gar nichts zahlen. „Sie haben das Geld der Steuerzahler benutzt, um es zu bauen, also sollten sie jetzt nicht noch mal Geld verlangen“, sagt der Student. Und es war sehr viel Geld der Steuerzahler.

Rund 40 Milliarden Euro haben die Spiele und die mit ihnen verbundenen Infrastrukturmaßnahmen gekostet (London rechnet mit rund 12 Milliarden Euro). Wie die Zeitschrift „Time Out Beijing“ berichtet, würde das Vogelneststadion bei gleichbleibenden Einnahmen erst in 30 Jahren seine Kosten wieder eingespielt haben. Am besten besucht wird noch das Schwimmstadion, das zum Teil in ein Spaßbad umfunktioniert worden ist.

Das Basketballstadion ist unter anderem an die Anschutz Entertainment Group (AEG) und die NBA verkauft worden und harrt der Zeit, bis die NBA in China eigene Teams besitzt. Die Wartezeit wird mit Spielen des örtlichen Basketballteams Beijing Ducks und Konzerten überbrückt.

Ein Großteil des Geldes floss in die Infrastruktur. Als 2001 die Olympischen Spiele nach Peking vergeben wurden, besaß die Stadt nur zwei U-Bahnlinien, inzwischen sind es 15. Auch die olympischen Verkehrsregelungen sind in veränderter Form aufrechterhalten worden, an jedem Wochentag darf ein Fünftel aller Pekinger Autos nicht benutzt werden. Doch auch das hilft dem notorisch verstopften Verkehr wenig: Seit Olympia ist die Zahl der Pkws in Peking von 3,5 auf fünf Millionen gestiegen.

Das verursacht ein großes Problem. Die Luftverschmutzung, die mit einigem Aufwand für Olympia verbessert worden war, hat sich verschlechtert. „Die temporären Maßnahmen haben auf lange Sicht nicht geholfen“, sagt Yong Rong von Greenpeace Ostasien. Neben dem Autoverkehr tragen die Kohlekraftwerke der umliegenden Provinzen zu den hohen Feinstaubwerten in der Stadt bei.

So kommt es, dass sich so mancher Pekinger an 2008 als das Jahr erinnert, in dem Olympia in die Stadt kam – und der Himmel blau war.

 

Benedikt Voigt im Tagesspiegel, Sonntag, dem 15. Juli 2012

author: GRR

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