Nein, es ist nicht die letzte Ausfahrt der A 81 vor Stuttgart! Es ist d i e Ausfahrt ins Bottwartal, der romantisch und beschaulichen Landschaft am Flüsschen Bottwar – und zumindest Mitte Oktober überaus ausdauernd sportlichen Landschaft. ©wus-media - Wilfried Raatz
Letzter Tanz in Großbottwar – Wilfried Raatz berichtet
Nein, es ist nicht die letzte Ausfahrt der A 81 vor Stuttgart! Es ist d i e Ausfahrt ins Bottwartal, der romantisch und beschaulichen Landschaft am Flüsschen Bottwar – und zumindest Mitte Oktober überaus ausdauernd sportlichen Landschaft. Das ist allerdings auch notwendig, wenn sonntags zwischen Schmidhausen und Beilstein im Norden bzw. Steinheim und Murr im Süden von Großbottwar vieles nicht mehr so geht, wie man oder frau es gewöhnt ist.
Im Konzert der Großen im Herbst spielt der Bottwartal-Marathon, übrigens seit 2010 nicht zuletzt dank seiner vorbildlichen Organisation und Strahlkraft für die Region Mitglied bei German Road Races, zwar im Vergleich zu Karlsruhe, Berlin, Köln, München und Frankfurt nur eine bescheidene Rolle mit 4.300 Anmeldungen, aber eine, im Grunde genommen, vernachlässigbare Parallele gibt es zu den namhaften Stadtmarathons der Republik: Auf dem Siegertreppchen stehen auch schnelle afrikanische Läufer. Doch es sind nur wenige, die den Weg in die Landschaft zwischen Stuttgart und Heilbronn kommen.
Sie kommen aus dem Management von Wieland Pokorny. Der sieht sich allerdings weitaus weniger als Manager, sondern vielmehr als Trainer beim SSV Ulm und im weiteren Sinne als Projektleiter für das Projekt „Running for a better future“. Mit den erlaufenen Preisgeldern sollen die Familien der Läufer in Kenia unterstützt werden. „Am Montag geht es zurück nach Hause, nach Eldoret“, sagt zum Beispiel Elisha Kipchirchir Rotich, der vor wenigen Minuten den Halbmarathonlauf auf der Nordschleife in 1:07:30 gewonnen hat und sich gerade in der goldenen Herbstsonne am Start-Zielbereich wärmt. Sein Ergebnis sei „not so bad“, schließlich lässt sich nicht alle Tage Bestzeit laufen. Diese stehe zwar bei einer 1:05, doch diese Zeit lässt sich vor allem nicht alleine unterbieten. Schließlich lagen die Nächstplatzierten mit Johannes Weingärtner und Ulrich Königs mit vier bzw. acht Minuten weit zurück.
Kollege Ben Masai jagte derweil über die Südschleife dem Ziel entgegen, das für alle Wettbewerbe an der Kellerei der Bottwarer Winzer installiert war. Und kurioses kam dabei heraus: Der im vergangenen Jahr über die Marathondistanz laufende Masai lag mit 1:07:37 bei seinem Alleingang sieben Sekunden hinter seinem Kollegen Rotich. Und hatte dabei vor Landsmann Andrew Kipchirchir Sitenei (1:13:01) und dem eine Minute dahinter bereits folgenden Tübinger Matthias Koch (1:14:08) einen noch größeren Vorsprung.
Die Frauenwertungen sowohl auf der Nord- als auch auf der Südschleife waren fest in heimischer Hand. Im „Norden“ setzte sich mit Heike Volkert eine ausgesprochene Halbmarathon-Spezialistin in 1:25:34 Stunden durch, exakt im Zeitfenster ihrer Siege beim Stuttgarter Zeitung-Lauf und beim Darmstadt-Marathon. Dahinter folgten Branka Hajek (1:28:09) und Grit Schaller (1:28:20), im „Süden“ waren die Stuttgarter Vorstädter mit Lisa Maria Schreier (Kornwestheim/ 1:31:13) und Floh Wasko (Feuerbach/ 1:32:42) voraus.
Norschleife? Südschleife? Eine der zahlreichen Besonderheiten beim Bottwartal-Marathon. Schließlich kamen die Organisatoren um Werner Neumann auf diese Idee, um die Strecke über die leider immer stärker ausgedünnte Marathondistanz etwas mit Leben zu füllen. Gesagt getan, die Nordschleife über Hof und Lembach, Gronau, Schmidhausen, Beilstein und Oberstenfeld finishten bei der achten Auflage 1148 LäuferInnen, die Südschleife durch Kleinbottwar, Steinheim und Murr 590 LäuferInnen.
Aber damit noch nicht genug, Dreiviertel-Marathon nennt sich eine Distanz, die in letzter Konsequenz mehr als Halbmarathon und weniger als Marathon bedeutet, aber durchaus ein probates Mittel ist, um eine sanfte Hinführung zur 42,195 km-Strecke zu erreichen. Vielleicht sind der Heilbronner Kay-Uwe Müller und die für das (wohlkingende) Team Alfa Romeo Cuore Sportivo startende Annette Wieland (2:34:53) schon im kommenden Jahr auf der leicht veränderten Marathonstrecke zu finden.
Mit 389 Finishern wurden die (ärgsten) Befürchtungen von Organisationschef Werner Neumann Realität. Doch damit ist man in bester Gesellschaft mit vielen anderen sogenannten Marathonläufen, die alleine durch die attraktiven Nebenwettbewerben noch überlegensfähig sind. Da hilft auch der ausgelobte Startplatz (mit Zusatzleistungen) für den New York-Marathon gewiss wenig, den Ali Schneider als einstiger Race-Direktor des München-Marathon und ausgewiesener Marathon-Reiseprofi an den glücklichen Gewinner Hans Himmelein vom TSV Schrotzberg nach 4:09:08 Stunden mit dem Frank Sinatra-Song „New York, New York“ im Ziel überreichen konnte.
„Wir sind gut im Soll“, so der OK-Chef weiter, der nach acht Jahren an der Spitze des Bottwartal-Marathon sein zeitaufwändiges Engagement an Gerhard Petermann übertragen wird. „An das Boomjahr 2009 mit über 5000 Anmeldungen werden wir sicherlich nicht mehr herankommen, aber auch damit lässt sich gut leben!“ Und bedauert in einem Hintergrundgespräch den Wechsel aus Großbottwar nach Steinheim als die Drehscheibe des Marathons im Bottwartal. „Wir sind seit dem Beginn 2004 ständig gewachsen, wir haben Jahr für Jahr eine Optimierung der Abläufe erreichen können, doch jetzt müssen wir weg. Das ist schon schade!“ Und Neumanns Blick geht zwangsläufig zum Gebäudekomplex der Kellerei der Bottwartaler Winzer-Genossenschaft, die nach acht Jahren nicht mehr gewillt ist, das Projekt Bottwartal-Marathon zu unterstützen.
Für das ultimative Highlight sorgten gewiss die Marathonläufer. Der dreifache Marathonsieger Marco Diehl lag lange Zeit auf Siegeskurs, ehe der Kenianer Amos Kimeli Rotich einen Gang hoch schaltete und den Friedberger Vermögensberater noch auf Rang zwei verdrängen konnte. Mit 2:33:42 lag Rotich, der eine Hausrekordmarke von 2:22:47 vorweisen kann, allerdings nur zwei Minuten vor Diehl, der übrigens bei sechs von acht Bottwartal-Marathon-Auflagen am Start war. Uwe Schnarrenberger (AST Süssen/ 2:48:33) schob sich noch vor Michael Sommer auf den dritten Rang, der gerne bei seinem Heimspiel noch einmal auf das Treppchen geklettert wäre. Für den passionierten Ultra-Champion aus Oberstenfeld wurden 2:49:51 notiert.
Dritte im Gesamteinlauf des Marathons – wurde allerdings eine Frau: Edna Kimaiyo. Die kleine Kenianerin lief 2:48:23 Stunden und lag damit als einzige weibliche Teilnehmerin unter der begehrten Drei-Stunden-Marke, die Stephanie Feger und Pamela Veith mit 3:04:57 und 3:05:48 verpassten.
Der letzte Tanz und somit Abschied in Großbottwar und dem Heimatort von OK-Chef Werner Neumann, Neubeginn mit Gerhard Petermann etwas weiter südlich in Steinheim mit „logistischen Verbesserungen“, wie der Neue an der Spitze schon im Vorfeld ankündigte. Was bleibt, das ist ein beliebter Herbstlauf mit Aussichten auf nahe Burgen und Weinberge und Einblicke in schmucke Ortschaften auf einer nahezu unveränderten Strecke und eine vorbildlichen Organisation.
Die treuen Stammgäste werden den Prolog 2012 mit Spannung erwarten und dabei Eventtreue zeigen.
Wilfried Raatz