Die Eliteathleten beim Chicago Marathon 2011: Heinz Frei, Moses Mosop, Ryan Hall, Liliya Shobukhova mit Carey Pinkowski (von links). ©Helmut Winter
„Let´s Run Together“ – Am Sonntag startet der 34. Bank of America Chicago Marathon – Helmut Winter berichtet
Unter dem Motto „Let´s Run Together” wird am kommenden Sonntag der 34. Chicago Marathon starten, der mittlerweile zu den größten Veranstaltungen dieser Kategorie zählt. Seit 2007 wird die Teilnehmerzahl auf 45000 begrenzt, die immer früher erreicht wird; in diesem Jahr bereits im Februar. Herausragend dabei die Verteilung der Geschlechter, mit 20.000 Frauen und 25.000 Männern ist man von einer Gleichverteilung wenig entfernt, ein interessantes und fast generelles Phänomen der Laufszene in den USA.
Mit dem „zusammen“ laufen wird es allerdings wenig werden, nachdem die Elite um 7:30 in der Frühe vor der Masse startet. Die Spitzenkönner der Szene werden sich schnell absetzen und etwa 10 km erreicht haben, bevor alle Teilnehmer auf der Strecke sind. Und wenn der Sieger das Ziel erreicht, wird gut die Hälfte des Feldes noch nicht einmal die Hälfte erreicht haben. Aber es sind vor allem die Leistungen an der Spitze, die für die Wertigkeit einer Veranstaltung sehr wichtig sind, und z.B. die Aufmerksamkeit der Medien sowie die Zuwendungen der Sponsoren sichern.
Das hat der rührige Racedirector Carey Pinkowski lange begriffen, und er unternimmt immer wieder große Anstrengungen, Chicago in der Weltspitze der Marathonszene zu etablieren. Dabei hat Chicago – auch bedingt durch nicht sehr ungünstiges (Lauf-)Wetter – in den letzten Jahren den Anschluss an die absolute Weltspitze etwas verloren. Nach dem Weltrekord in Berlin vor 14 Tagen ist der Abstand zur Spitze noch größer geworden. Vor knapp einer Dekade hatte Chicago die Liste der schnellsten Zehnermittel sogar einmal angeführt, mittlerweile liegt man mit 2:06:03 über eine Minute hinter Berlin (2:04:55) auf Platz 5, dicht gefolgt von Amsterdam, Paris, Dubai, Frankfurt und sogar Fukuoka.
Das möchte man gerne ändern, der Wille (und die Ressourcen) sind sehr sichtbar. Aber irgendwie scheint man in Chicago das Glück in letzter Zeit nicht gepachtet zu haben. Denn die im Frühsommer angekündigte Jagd auf den Weltrekord scheint doch etwas aus dem Fokus der Realitäten verschwunden zu sein, nicht nur deshalb, weil Makaus Fabelzeit in Berlin mit 2:03:38 die Messlatte weiter erhöht hat.
Schon die Wettervorsage für den kommenden Sonntag ist am Limit für absolute Höchstleistungen. Denn nach recht kalten Tagen ist mittlerweile der Sommer nach Illinois zurückgekehrt, die Temperaturen erreichen am Nachmittag über 25 °C. Auch für den Sonntag wird es deutlich über 20°C gehen, allerdings erst gegen Mittag. Für die Elite sehen die Daten nicht ganz so ungünstig aus, beim Start bereits um 7:30 Uhr sollen 15°C herrschen, beim Zieleinlauf des Siegers kurz nach 9:30 ca. 19°C mit einem Taupunkt von 11°C. Damit ist die Luft recht trocken und der berüchtigte Wind wird sich in der Windy City zurückhalten. Somit werden die Bedingungen nur wenig schlechter als in Berlin beim Weltrekordlauf vor zwei Wochen sein.
Bei den Spitzenathleten sieht die Sache bei den Männern weniger günstig aus. Topathlet Moses Mosop, im Boston im Frühjahr bei seinem Debut 2:03:06 schnell, erklärte nach einer Streckenbesichtigung im Sommer, dass in Chicago 2:02 möglich sind. Ob er dabei allerdings an den kommenden Sonntag dachte, ist mittlerweile sehr unsicher. Denn sein toller 30 km Weltrekord auf der Bahn in Eugene im Juni war zwar sehr beeindruckend – insb. im Schlussteil – , ist aber nun sein Hauptproblem. Bei den 75 (!) Runden auf der Bahn in dünnen Spikes hatte er nämlich die Sehnen derart beansprucht, dass er gut einem Monate mit dem Training aussetzen musste. Entsprechend vorsichtig trat er bei der Pressekonferenz auf. Von 2:02 war nichts mehr zu hören, gewinnen will er den Lauf aber auf jeden Fall. Es bleibt also abzuwarten, ob seine Beschwerden sich in Grenzen halten lassen.
Da sieht es beim US-Star Ryan Hall schon ganz anders aus. Der will trotz der Olympiaqualifikation im Januar 2012 in Chicago voll angreifen und fühlt sich mindestens so gut in Form wie vor Boston. Er ist somit bester Dinge, den US-Rekord von Khannouchi (2:05:38, London) zu verbessern. Das Potential hat Hall allemal, aber nach tollen Auftritten hat er immer wieder mit Mittelmaß enttäuscht.
Enttäuschend ist auch, dass der Geheimfavorit Bazu Worku aus Äthiopien nicht starten wird. Der 21 jährige Shootingstar der Szene, der vor allen durch seinen Lauf im Regen 2010 in Berlin in 2:05:25 überzeugte, war vom äthiopischen Verband für den WM-Marathon in Daegu gemeldet worden. Dort stieg er aber früh aus, und das wurde ihm nun zum Verhängnis. Der Verband wirft ihm taktisches Verhalten vor und hat kurzfristig seine Zusage für Chicago zurückgezogen. Damit fehlt an der Spitze ein Aspirant, der ein sehr hohes Tempo an der Spitze mitgehen könnte.
Obwohl somit der Konstellation der Spitzenathleten nicht sehr günstig erscheint, ist geplant mit sehr ambitionierten 61:50 bis 62:10 die Hälfte anzulaufen, wobei insb. Jonathan Maiyo als Tempomacher solche Vorgaben umsetzen kann. Wer dann noch in der Spitze dabei ist, wenn es nach der Hälfte hinaus nach Pilsen, Little Italy und Chinatown geht, wird sich zeigen. In den Favoritenkreis ist sicher auch Marilson Dos Santos gerückt, der immerhin zweimal in New York City gewinnen konnte und sich im Frühjahr in London auf 2:06:34 steigerte. Zu beachten sein wird vor allem auch Evans Cheruiyot, der in Chicago 2008 in sehr guten 2:06:25 gewann, sowie Bernard Kipyego, der im Halbmarathon 2009 in Rotterdam 59:10 erzielte und bei seinem Debut in Rotterdam 2010 in 2:07:01 überzeugen konnte. Kipyego kann im Marathon sicher deutlich schneller laufen.
Bei den Frauen wäre alles andere als der Sieg von Liliya Shobukhova aus Russland eine Überraschung. Sie könnte als erste Läuferin ein Triple in Chicago realisieren und war bei der Pressekonferenz entsprechend selbstbewusst. In etwa 69 bis 69:30 will die Spitze anlaufen, um erstmals unter 2:20 zu bleiben. Das wäre dann der Marathon Majors Sieg sowie die Qualifikation für Olympia 2012 in London. Härteste Widersacherinnen dürfen Kayoko Fukushhi aus Japan sein, die ihr Marathondebut in 2:40 völlig verpatzte, mit 67:26 Minuten aber ein Niveau von den Unterdistanzen mitbringt, die ihre Absichten an 2:20 zu laufen, nicht unrealistisch erscheinen lassen. Und gespannt sein darf man auf das Debut der Dibaba-Schwester Ejegayehu, die über 10000 m mit 30:18,4 absolute Weltklasse darstellt.
Während bei den Frauen die Vorjahressiegerin die Startnummer 101 trägt, wird die „1“ fehlen. Sammy Wanjiru konnte den Chicago-Marathon in den letzten beiden Jahren gewinnen, beim ersten Mal 2009 mit Streckenrekord von 2:05:41, der allerdings am Sonntag erheblich in Gefahr geraten könnte. Nach den traurigen (nicht: tragischen!) Vorfällen im letzten Jahr kann Sammy nicht mehr dabei sein. In einem kurzen „Tribute“ wurden mit kurzen Worten und einem Video an Sammy gedacht, wobei Racedirector Carey Pinkowski während der Einspielung des Videos sich in die hintere Ecke des Raums zurückzog. Der als überaus kompetente und mit Ansätzen von Arroganz bekannte Macher der Chicago-Marathons hatte Tränen in den Augen und war sichtlich bemüht, die Fassung zu wahren.
Angemessener hätte man einem so großen Sportler und Menschen, wie es Sammy Wanjiru war, kaum gerecht werden können. Man kann überzeugt sein, dass auch seine Mitstreiter mit großartigen Leistungen Sammy in ihrer Art gedenken.
Freuen wir uns auf den Sonntag.
Helmut Winter