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LEICHTATHLETIK-WM 2017 IN LONDON – Schicht im Schacht für Usain Bolt: Verehrt, verdächtigt – und bald vergessen? Von KLAUS BLUME
„Würde Bob Marley noch leben, hätte er über mich das Lied geschrieben: Der Größte aller Zeiten." So berauschte sich Usain Bolt in Murdochs Londoner „Sun" an sich selbst.
Wonach dem Reggae-Revoluzzer aus Jamaika – er starb 1981, fünf Jahre vor Bolts Geburt – allerdings nie der Sinn gestanden hätte. Marley ging‘s stets um Widerspruch und gesellschaftliche Umwälzung: „Get up. Stand up."
Sein Landsmann Usain Bolt hingegen verkörpert jene Laufmaschine, die der Gewinnmaximierung wegen hemmungslos die Öffentlichkeit bedient.
„Womit er ein Phänomen ist, das wir weiterhin brauchen", klagte Sebastian Coe, der Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF), Jamaikas Premier Andrew Holness. Denn der 30-Jährige Usain Bolt hat beschlossen: Am 5. August, nach dem WM-Finale über 100 Meter in London, ist Schacht im Schicht. Egal, ob er Erster oder Letzter wird.
Danach reduziert sich sogar Bolt nur noch auf Zahlen und Daten:
Acht olympische Goldmedaillen, elf WM-Titel, drei Weltrekorde; wobei ihn die 9,58 Sekunden (2009 in Berlin) vorerst noch als schnellsten Mann dieses Planeten ausweisen.
Zugleich aber tritt mit ihm auch einer der umstrittensten Athleten der Sportgeschichte ab. Zwar wurde das 1,95 Meter große und 95 Kilo schwere Kraftpaket nie des Dopings überführt, doch in seinem Umfeld gibt es niemanden, der nicht wegen Medikamenten-Betrugs gesperrt wurde: Yohan Blake (Doppel-Olympiasieger und Doppel-Weltmeister), Nesta Carter (Olympiasieger, dreimal Weltmeister), Steve Mullings (Weltmeister 2009) sogar lebenslänglich; auch Raymond Stewart, der WM-Dritte von 1987, wurde auf Lebenszeit ausgeschlossen – wegen Dealens für das US-Doping-Unternehmen Balco.
Eine illustre Truppe! Bolt will von alledem nie etwas mitbekommen haben. Über sich behauptet er ohnehin stereotyp: „Ich bin sauber. Das war ich schon immer." Trotzdem: Nicht nur für den erfahrenen Mainzer Mediziner und Doping-Forscher Perikles Simon sind Bolts Leistungen „einfach nicht plausibel", auch nicht für andere Wissenschaftler. Und der Mexikaner Angel Heredia, er vertickte einst im großen Stil Dopingmittel um die ganze Welt, bevor er als Kronzeuge für amerikanische Kriminalbehörden aussagte, wird noch deutlicher.
Im April 2017 erinnerte er sich vor der ARD-Doping-Redaktion an die Jahre 2007 und 2008: „Trainer aus Jamaika haben mich kontaktiert und mich gefragt, ob Clenbuterol für Sprinter geeignet sei." Dass sich jamaikanische Sprinter bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking mit dem Kälbermastmittel Clenbuterol gedopt haben, schätzte Heredia als „hundertprozentig" ein. Bolt gewann seinerzeit zwei Goldmedaillen: Über 100 und 200 Meter. Das dritte Gold – mit der 4×100-Meter-Staffel – wurde ihm aberkannt, weil Staffelkamerad Nesta Carter des Doping mit 4-Methyl-2-Hexamidin überführt wurde. Bolt verlor kein Wort darüber.
In Europa leben 413 Millionen Menschen, 14 davon liefen die 100-m-Distanz schneller als in 10 Sekunden. Kontrolliert werden alle Athleten von 18 europäischen Doping-Instituten. Auf der karibischen Insel Jamaika leben 2,8 Millionen Menschen. Sechszehn von ihnen sprinteten die 100 Meter bereits schneller als in zehn Sekunden. Ein Anti-Doping-Labor gibt es dort nicht.
Vielleicht liegt Jamaika auch deshalb bei den größten Sportskandalen ganz vorn: Am 24. September 1988 wurde bei den Olympischen Spielen in Seoul der gebürtige Jamaikaner Ben Johnson, im Trikot Kanadas, nach dem Sieg über 100 Meter des Dopings überführt.
Der Urknall der olympischen Doping-Geschichte!
Linford Christie wiederum, geboren und aufgewachsen in Andrew Parish auf Jamaika, gewann bei den Spielen 1992 in Barcelona über 100 Meter ebenso Gold für Großbritannien wie im Jahr drauf bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart. 1999, im bereits fortgeschrittenen Sprintalter von 39 Jahren, wurde er in Dortmund des Nandrolon-Missbrauchs überführt. Danach stieg er zum Cheftrainer der englischen Sprinter auf.
Aber zurück zu Usain Bolt: Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro gewann er gemeinsam mit seinem großen Vorbild Asafa Powell Gold mit der 4×100-Meter-Staffel. Powell war schon 33 Jahre alt und hatte zuvor vier Weltrekorde über 100 Meter aufgestellt, den letzten 2007 mit 9,74 Sekunden im italienischen Rieti. Dass er 2014 wegen der Einnahme der verbotenen Stimulans Oxilofrin sechs Monate lang gesperrt worden war, störte im Olympischen Komitee von Jamaika niemanden; es stellte Powell für Rio auf.
Für Bolt, den stets Unbescholtenen, ist nun am 5. August Schicht im Schacht.
Für einen Athleten, dessen Werbewert das amerikanische Wirtschaftsmagazin „Forbes" – ob er sprintet oder nur posiert – derzeit auf 34,2 Millionen Dollar beziffert. Einer, der auch nach seinem Rücktritt als einer der „marktfähigsten Sportler überhaupt" (Forbes) gilt.
Lord Coe, der Mann, der die Welt der Leichtathleten regiert, wird auch deshalb bange, wenn er an Bolts Rücktritt denkt. Doch dieser sieht schon einen neuen Weltstar am Firmament auftauchen, einen, der sogar ihn vergessen machen könnte:
Wayde van Niekerk aus Bloemfontein in Südafrika. Ein Mann, der über 100, 200 und 400 Meter alles in Grund und Boden rennen kann.
Was selbst Bolt nicht geschafft hat.
Klaus Blume
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