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28
07
2008

Weil sie im Mittelpunkt von hochtourigen Spekulationen und großen Erwartungen gestanden hatte, war es nicht leicht, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben.

Leben und leben lassen – Ein Goldstück weniger – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Dann eben Urlaub: die erfahrene, mitfühlende Athletin hat in sich rein gehört

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Jetzt werde sie erst mal baden gehen, sagte Franka Dietzsch und hielt ihr Mobiltelefon hoch. Es übertrug das Rauschen der Ostsee in die Welt. Das war die Nachricht: Es gibt ein Leben außerhalb des Sports. Franka Dietzsch, drei Mal Weltmeisterin im Diskuswerfen, funkt aus der Heimat Koserow auf Usedom, dass die Welt keine Scheibe sei.

Ein wenig überhitzt ist die Sportwelt weniger als zwei Wochen vor der Eröffnung der Olympischen Spielen, und alles dreht sich um Peking. Nur Franka Dietzsch nicht. Sie drehte sich seit dem Frühjahr um sich selbst und kam doch nicht in Schwung. Bluthochdruck, Schilddrüsenstörung, Fußverletzung – kein Wunder, dass die große Athletin nicht nur enttäuscht ist, ihre letzte Chance auf eine Olympiamedaille aufgeben zu müssen. Sie sei auch erleichtert, verriet sie, dass die Vernunft gesiegt habe.

Weil sie im Mittelpunkt von hochtourigen Spekulationen und großen Erwartungen gestanden hatte, war es nicht leicht, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Doch sie ließ sich nicht wider besseres Wissen mitreißen. In Peking, das war ihr bewusst, hätte sie wohl nur verlieren können.

Eine Seltenheit im Sammelbecken der Einzelkämpfer

Eine Medaillenhoffnung war sie wegen der gesundheitlichen Vorgeschichte kaum noch, dennoch wird vor allem den Leichtathleten ein Goldstück fehlen; eine erfahrene, mitfühlende Athletin, die immer ein Ohr für die anderen hat, der andere nie einerlei waren – eine Seltenheit in diesem Sammelbecken der Einzelkämpfer.
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An diesem Dienstag wird Franka Dietzsch wieder beim Sportclub Neubrandenburg anzutreffen sein. Sie will mit ihrem Trainer, mit ihrem Verein und mit ihrem Sponsor besprechen, wie es weitergeht. Zwischendurch wird sie trainieren. Denn ein letztes großes sportliches Ziel hat die Vierzigjährige: die Weltmeisterschaft 2009 in Berlin, praktisch vor ihrer Haustür. Das Innehalten ist vorüber, die Pause ist vorbei. Franka Dietzsch dreht sich weiter.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Montag, dem 28. Juli 2008

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