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21
06
2012

Der Bierbauch ist aber immer noch viel zu häufig. Sport macht Männer schön, weil er das Bewegungsbild verändert. Fitte Leute gehen anders, stehen anders, sie sitzen sogar anders als bewegungsarme Menschen.

Laufen macht intelligent, weil es Fett im Gehirn abbaut – Gespräch mit Prof. Dr. Gertrud Höhler über das neue LSB-Projekt „Männergesundheit“ in SPORT IN BERLIN

By GRR 0

Das geringe Interesse der Männer an den Gesundheitssport-Angeboten der Vereine hat den LSB bewogen, das Projekt „Männergesundheit" ins Leben zu rufen. Auch das LSB-Gesundheitsforum, das am 9. Juni in der Sport­schule stattfindet und gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Healthcode organisiert wird, ist diesem Thema gewidmet.

Über „Männergesundheit" sprach „Sport in Berlin" mit Prof. Dr. Gertrud Höhler.

Es gibt immer mehr Initiativen, Internetportale und Blogs zum Thema „Männergesundheit". Woran liegt das? Warum kümmern sich Männer nicht genug um ihre Gesundheit?

Auf Internetangebote kann man mit dem Gefühl der Diskretion zugreifen. Sucht man einen Arzt auf, so das Denken der Männer, dann muss man Schwäche zeigen. Männer trauen sich zu, ihrem Körper zu befehlen, wie er wann funktionieren soll. Sie beachten Zeichen der Erschöpfung zu spät, weil ihr Selbstbild sie als Täter, nicht als Opfer zeigt.

In den Sportvereinen gibt es mehr Männer als Frauen:  Mehr als zwei Drittel der Mitglieder in den Berliner Vereinen sind Männer. Sport scheint also ein wichtiges Thema für die Männer zu sein.  Warum spiegelt sich diese Tatsache nicht in ihrem Gesundheitszustand und in ihrer Lebenserwartung wider?

Männer treiben Sport, wie ihren Beruf, unter Leistungsgesichtspunkten. Sie wollen Wettbewerb, und sie wollen sich laufend verbessern. Sie übertragen also den Leistungsanspruch aus der Berufswelt auch auf den Sport. So entsteht häufig Stress, weil sie sich mehr abverlangen als nach einem langen Arbeitstag geliefert werden kann. Anspannung statt Entspannung ist das Ergebnis. Männer „gehen schlecht mit sich um"; sie fördern den Verschleiss ihrer Energien, daher die geringere Lebenserwartung.

Immer mehr Männer treiben aktiv Sport. Ein Beispiel ist die Laufbewegung, die starken Zulauf hat. Warum ist die Laufbewegung für Männer attraktiv?

Laufen ist, so meinen die meisten Menschen, das, was man sowieso kann. Dass „gut" zu laufen erst gelernt werden muss, spüren sie dann. Männer berichten von ihren Lauferlebnissen aber vor allem mit Übertreibungen: Wie viele Kilometer in welcher Heldenzeit gelaufen, wie viel mehr geschafft als noch letzten Monat. „Ich höre auf, weil ich mich nicht mehr verbessern kann", sagt ein Mann. Er steht im Wettbewerb mit sich selbst, er produziert seinen Stress.

In den mit SPORT PRO GESUNDHEIT zertifizierten Gesundheitssportangeboten der Berliner Vereine wiederum sind Männer unterrepräsentiert. Wie müssen Gesundheitssport-Angebote beschaffen sein, damit Männer daran teilnehmen wollen?

Männer haben generell ein Problem mit „Angeboten". Sie spielen Tennis mit Leuten, die sie kennen, Fussball mit ihrem Club, sie joggen mit Freunden. „Breitensport" ist in Männerohren ein Angebot für Leute, die nichts mehr erreichen wollen. „Gesundheitssport" erinnert sie an Krankheit; was sie wollen sind Leistungschancen, Konkurrenz, Fitness-Programme.

Sie sagen, dass man Männern präventive, gesundheitsorientierte Sportangebote anders verkaufen muss, als über den Begriff „Gesundheit". Wie kann man derartig ausgerichtete Sportangebote erfolgreich verkaufen, damit sie auch für Männer attraktiv sind?

Auch Wörter wie „präventiv" oder „Vorsorge" sollten fehlen, wenn man Männer gewinnen will. Was er sucht, ist ein stärkeres Ego, eine trainierte Erscheinung mit gut entwickelter Muskelmasse. Männer schlürfen Wissen über Muskelpartien, Nährlösungen und Übungseinheiten mit Lust, wenn sie spüren: Hier geht es um mein Erfolgsprofil. Wer für Männergesundheit etwas tun will, sollte ein kurzgefasstes Brevier liefern, das Männer fasziniert: Darin muss stehen, dass Laufen intelligenter macht, weil es Fett im Gehirn abbaut; dass geistige Fitness an körperliche Fitness andockt; dass Überlegenheit im Beruf mit den Hormonen der „Herrentiere" erreicht wird, die ihr Gehirn nach sportlicher Belastung ausschüttet: körpereigene Drogen kostenlos, für das Sieger-Image im Büro.

Welche Rolle spielt das Alter bei der Motivation, Sport zu treiben? Zum Beispiel: 20-Jährige wollen im Wettkampf ihre Kräfte messen,  40-Jährige suchen durch Sport mentale Stärke für ihre Karriere und 65-Jährige wollen mit ihren Enkeln noch ein bisschen Fußball spielen können.

Der Wandel ist in vollem Gange: Mit 65 geht viel mehr als ein bisschen, das wissen die vitalen Sechziger längst. Sie segeln, sie rudern, sie joggen. Behandeln Sie einen Sechzigjährigen von heute wie einen Vierzigjährigen der achtziger Jahre, dann liegen Sie richtig. Er wird mit den Enkeln auf Bäume klettern, um die Wette laufen, anstatt seine Verschleisswehwehchen zu verfolgen. Mit älteren Männern – und Frauen – kann der Sport ein Mitspieler von hoher Potenz in der Gesundheitspolitik werden: Muskelmasse schont die Sehnen, schützt die Gelenke. Hier ist ein ganz neues Feld für die Wettbewerbsfreude der Männer zu öffnen: Wer ist der fitteste mit dem hellsten Kopf? Denn immer noch, und im Alter immer mehr, hängt beides zusammen. Fitness schützt vor Alterserkrankungen.

Männer wollen heutzutage schön sein, immer mehr interessieren sich für Mode und gehen zur Kosmetik. Der Bierbauch ist nicht mehr en vogue. Inwiefern macht  Sport Männer schön?

Der Bierbauch ist aber immer noch viel zu häufig. Sport macht Männer schön, weil er das Bewegungsbild verändert. Fitte Leute gehen anders, stehen anders, sie sitzen sogar anders als bewegungsarme Menschen. Jugendlichkeit teilt sich anderen vor allem durch un­ser Bewegungsprofil mit. „Schön sein" heisst ja: Ausstrahlung entwickeln, so dass andere sich in unserer Gesellschaft wohlfühlen. Diese Kraft kann der Mann nur ausstrahlen, wenn er sie pflegt: sich selbst belasten durch hohe Ansprüche an die eigene Fitness, ist der Weg, um andere zu beeindrucken.

Sie schreiben, der Kopfarbeiter, der sich nicht bewegt, verliert nicht seine Intelligenz, aber seine Intelligenz verliert den Glanz. Was heißt das?

Die Intelligenz des immobilen Menschen verliert an Übertragungskraft, weil der Bewegungsfeind ein Gegner seines eigenen Körpers ist. Das spüren andere. Wenn der immobil hockende Mann andern schlaue Ratschläge gibt, fragen sich die andern: Möchte ich so werden wie er? Fühle ich mich in seiner Nähe klüger? –  Zweimal Nein. Dass andere sich bei uns klüger und stärker fühlen, das gelingt nur, wenn wir „glänzen", weil wir glaubwürdig sind.

Was sagen Sie jenen mit Muskelpaketen bepackten extrem Sport treibenden Männern, denen beim Training schon die Adern herausquellen?

Schönheitsideal von vorgestern! Komplexhaftes Verhalten, das alle sehen! Aber ernster: Sie schädigen ihre Gesundheit. Homo sapiens, der schlaue Sieger der Evolution, braucht nicht mehr soviel Muskelmasse, Muskeln ohne Arbeit sind nicht nur Luxus, sie sind eine schwere Last, die den Kreislauf, die Sehnen und Gelenke, das Herz, die Lunge überfordern. Muskelkilos ohne Arbeit sind ein Antigesundheitsprogramm.

Jetzt haben sich zwei Frauen über „Männergesundheit" unterhalten. Was sagen Sie den Männern, die vielleicht denken: Ihr könnt uns viel erzählen, ich weiß am besten, was mir gut tut.

Ja, er weiss viel von dem, was ihm guttäte. Aber er probiert auch aus, wie viel man gegen seine Gesundheit tun kann. Dazu sagen wir: Sobald er weiss, dass seine körperliche Fitness seinen Berufserfolg steuert, wird er sein Glück nicht mehr im Widerspruch suchen.

 

Prof. Dr. Gertrud Höhler in SPORT IN BERLIN – Juni 2012

 

author: GRR

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