Sein größter Auftritt: Patrick Makau und sein Weltrekord in Berlin ©Victah Sailer
„Laufen ist ein guter Job“ – Patrick Makau hat eine Abkürzung gefunden, um aus der Armut zu rennen. Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Patrick Makau wurde vor 27 Jahren in Manyanzwani im Osten Kenias geboren. Mit Anfang zwanzig etablierte er sich als Straßenläufer von internationalem Rang und gab 2009 in Rotterdam sein Marathon-Debüt. In seinem fünften Lauf auf der Distanz über 42,195 Kilometer, beim Berlin-Marathon 2011, verbesserte er den Weltrekord auf 2:03:38 Stunden.
Mit seiner Frau, seiner Tochter und seinen beiden Söhnen lebt er in den Ngong Hills bei Nairobi. An diesem Sonntag startet er beim Marathon in London.
Bald ist es vier Jahre her, dass Usain Bolt in Peking über 100 Meter Olympiasieger mit Weltrekord wurde. Haben Sie den Endlauf gesehen?
Ich habe ihn hier in Ngong im Fernsehen geguckt. Usain Bolt gewann mit einem offenen Schnürsenkel. Da haben wir etwas gemeinsam. Als ich 2006 mein erstes internationales Rennen lief, einen Halbmarathon in der Türkei, verpasste ich den Start. Als ich endlich in der Spitzengruppe war, löste sich mein linker Schnürsenkel.
Ich habe ihn zugeknotet und bin weitergerannt. Bei Kilometer fünfzehn ging der andere auf. Da bin ich weitergelaufen. Ich habe das Rennen gewonnen.
Was haben Sie noch mit Bolt gemeinsam?
Ich halte den Weltrekord. Eigentlich bin ich der Usain Bolt des Marathons. Er ist unglaublich schnell und vor allem so stark im Kopf. So selbstgewiss muss man sein als Athlet.
Sie wirken ernster als er, wenn Sie laufen. Sie lachen nie.
Wenn ich laufe, rechne ich immer mit. Von Start bis Ziel beobachte ich meinen Körper und schaue, wie er reagiert.
Wenn Sie sagen, die letzten zehn Kilometer Ihres Weltrekordrennens von Berlin waren hart, was heißt das?
Ich bin allein gelaufen, und ich wusste aus dem Training, dass ich den Weltrekord brechen werde. Ich habe mich sehr konzentriert und immer hochgerechnet, dass ich jeden Kilometer unter drei Minuten laufen muss. Ob die Beine stark sind oder schwach: Auf den Kopf kommt es an. Gerade dort muss man stark sein, wenn man lange Strecken läuft.
Viele Läufer sprachen davon, dass sie Ihren Weltrekord brechen wollen. Der erste Versuch in Rotterdam
ist gescheitert. Warum?
Ein Marathon-Weltrekord ist keine Sache des Redens. Man muss es tun. Vielleicht können einige Weltrekordtempo laufen. Das schaffen sie dreißig Kilometer lang oder vierzig. Dann verpassen sie den Rekord auf den letzten zwei Kilometern.
Warum?
Sie haben Energie für vierzig Kilometer, aber nicht für 42. Ich glaube nicht, dass der Rekord in diesem Jahr gebrochen wird. Die Stärksten werden in London laufen. Dort den Weltrekord zu brechen ist unmöglich. Die Strecke lässt das nicht zu.
Wilson Kipsang hat Ihre Zeit in Frankfurt nur um vier Sekunden verpasst.
Kipsang ist ein sehr guter Läufer. Aber vier Sekunden sind sehr viel Zeit, wenn man den Weltrekord angreift.
Marathonläufe werden immer schneller. Warum?
Viele junge Läufer laufen Marathon, nicht mehr wie früher Athleten, die erst mit dreißig damit angefangen haben. Junge Läufer haben einfach mehr Energie.
Warum sind Sie nicht erst Cross oder Bahn gelaufen?
Ich habe eine Abkürzung gefunden, aus der Armut zu rennen. Ich habe mich aus wirtschaftlichen Gründen für Straßenrennen entschieden. Es ging ums Geld. Wenn ich nicht liefe, würde ich eine andere harte Arbeit machen und sehr wenig verdienen. Ich könnte mir und meiner Familie nicht helfen. Laufen ist ein guter Job.
Wie sind Sie aufgewachsen?
Ich wuchs mit sechs Geschwistern auf. Meine Eltern waren Kleinbauern. Vieh hatten wir nicht. In der High School habe ich mit dem Laufen begonnen, 5000 Meter auf der Bahn und acht Kilometer Cross. Ich habe jedes Jahr gewonnen. Jimmy Muindi, ein professioneller Läufer, hat mich in ein Camp in Ngong geholt.
Was waren Ihre Pläne mit achtzehn?
Hart zu trainieren und vielleicht außerhalb Kenias zu starten. Das war mein größtes Ziel. Es ist die Armut, die kleine Athleten dazu bringt, in Straßenrennen und bei Marathons zu starten. Meine ersten Läufe waren Halbmarathons in Kenia und Tansania.
War Ihr Vater einverstanden, dass Sie nach der Schule Läufer werden?
Wenn ich erschöpft war vom Training und kaum essen konnte, hat er manchmal gesagt, dass ich damit
aufhören solle. Niemand hat geglaubt, dass ich etwas erreichen kann. Das hatte auch sein Gutes: Ich bin ohne jeden Druck gelaufen.
Stimmt es, dass Ihre Frau Cathrine in Sie investierte?
Sie war eine Läuferin in meiner Trainingsgruppe und hat mir das Geld für den ersten Flug nach Europa geliehen. Meine Frau wurde sie erst drei Jahre später.
Waren Sie überwältigt, als Sie realisierten, wie hoch die Preisgelder in Europa und Amerika sind?
Ich vermeide es, daran zu denken. Wenn ich mit meinen Eltern und Großeltern darüber spreche, erzähle ich ihnen, wie lang so ein Marathon ist und wie hart es ist, ihn zu laufen. Dann erst erzähle ich ihnen, was man damit verdienen kann. Ich laufe, um meine Familie zu unterstützen und um Arbeitsplätze in meiner Gemeinschaft zu schaffen.
Stimmt es, dass Sie allein trainieren?
Ich habe meine Trainingsgruppe. Aber vieles, was ich mache, ist mein Geheimnis. Manchmal laufe ich deshalb allein.
Was können Sie verraten?
Die Ernährung ist eines der Geheimnisse. Man muss diszipliniert sein, um nicht zuzunehmen.
Usain Bolt wurde von Puma unterstützt, als er noch sehr jung war. Stimmt der Eindruck, dass Sie sich als Athlet dagegen selbst erfinden mussten?
Ich habe hart gearbeitet, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Es ist schwer, ein Held zu werden. Ich habe mir damals überlegt:Wie kann ich so werden wie Paul Tergat oder Haile Gebrselassie? Ich habe Tag und Nacht trainiert.
Um eine Legende zu werden wie Usain Bolt, müssen Sie Olympiasieger werden, oder?
Die Goldmedaille von Olympischen Spielen ist mehr wert als jeder andere Sieg – für mich und für mein Land.
Dürfen Sie überhaupt teilnehmen?
Ich kann nur sagen: Wenn ich die Chance bekomme, werde ich vorbereitet sein. Das Auswahlkomitee hat versprochen, intensiv über mich nachzudenken.
Empfinden Sie das als fair?
Nichts kann mich daran hindern, eine große Karriere zu machen und bedeutende Marathonläufe zu gewinnen. Ob ich bei den Olympischen Spielen starte oder nicht, steht nicht in meiner Macht. Wenn ich nicht nominiert
werde, eröffnet mir das die Möglichkeit, vielleicht noch einmal in Berlin zu starten und meinen Rekord zu verbessern. Ich werde etwas tun, damit man sich an mich erinnert.
Sie haben kein schmuckes Auto, Sie haben einen kleinen Fernseher – was machen Sie mit dem Geld, das Sie verdienen?
Ich baue Appartementhäuser in Nairobi, die ich vermiete. Ich baue vor allem Mais und Kaffee an. Damit beschäftige ich mehr als vierzig Leute. Um den Kindern eine Erziehung zu ermöglichen, will ich eine Schule bauen. Ich hoffe, dass ich einigen eine Karriere als Läufer ermöglichen kann.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Nein. Mir geht es nur darum, den Leuten einen besseren Lebensstandard zu ermöglichen.
Verändert der Erfolg der Marathonläufer Kenia?
Gott hat mir die Möglichkeit gegeben, hart zu trainieren, und damit hat er mir die Chance eröffnet, große
Rennen zu gewinnen und sogar Weltrekord zu laufen. Wenn ich meine Gemeinschaft an diesen Erfolgen teilhaben lasse, bedeutet das, dass sie größere Chancen haben und dass das Land sich entwickelt. Ich ver- suche, anderen Läufern ein gutes Beispiel zu geben. Aber auch wenn man nichts zu erwarten hat, soll man ein guter Mensch sein.
Mühsal gehört zum Leben!
Das Gespräch führte Michael Reinsch. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Sonntag, dem 22. April 2012