Der "Zehner" kurz nach dem Start in der Berliner JVA Plötzensee - Foto: Horst Milde
Laufen hinter Gittern – Das Leben hinter Gittern ist auch heutzutage kein Zuckerschlecken. Artur Schmidt* in „SPIRIDON“
Trotz aller Vergünstigungen, die mit dem Strafvollzugsgesetz im Jahr 1977 eingetreten sind, ist das Leben hinter „schwedischen Gardinen“ alles andere als eine sorgenfreie Unterbringung für einen gewissen Zeitraum.
Die Rechte und Pflichten der ca. 50 000 Inhaftierten, die jährlich in 179 Vollzugseinrichtungen in Deutschland untergebracht sind, wurden in den Jahren 2008 für den Jugendvollzug und 2010 für den Erwachsenenvollzug in den einzelnen Bundesländern durch Ländergesetze geändert.
Der Verfasser dieser Zeilen hat 39 Jahre lang die Entwicklung des modernen Strafvollzuges miterlebt. Dabei lag ihm die Möglichkeit des Sporttreibens der Gefangenen besonders am Herzen.
Bevor das Leben der Insassen durch das bundesweite Strafvollzugsgesetz gesetzlich geregelt wurde, bestimmten die einzelnen Justizministerien durch Justizvollzugsordnungen das Leben in den westdeutschen Gefängnissen.
Der Sport spielte eine untergeordnete Rolle. Sicherheit und Ordnung war das primäre Vollzugsziel. Von Einrichtung zu Einrichtung unterschiedlich, wurde nach den baulichen Verhältnissen Sport in Form von Ballspielen angeboten.
Dem sogenannten Sportkreis anzugehören, war ein Privileg. Wurde ein Gefangener dann in diesem, aus Sicherheitsgründen kleinen Kreis aufgenommen, so hatte er in der Regel die Möglichkeit, einmal wöchentlich an Ballspielen teilzunehmen.
Anfang der 70er Jahre fand glücklicherweise ein Umdenken statt. Speziell im hessischen Justizvollzug wurde der Sport dank sportlich orientierter Ministerialbeamter, in Zusammenarbeit mit der hessischen Sportjugend, in modernere Bahnen gelenkt. Der Sport im Vollzug erhielt neue Strukturen. So wurden im Jahr 1973 sportlich interessierte Bedienstete zu Sportübungsleitern beim Landessportbund Hessen ausgebildet und in den Vollzugsanstalten eingesetzt.
Der Sport bekam von nun an eine gewisse Struktur. Entsprechend der jeweiligen sportlichen Interessen der Sportübungsleiter, wurden die Sportprogramme in den einzelnen Anstalten ausgestattet. Das führte sogar zur Gründung von selbständigen, vom Landessportbund als Vollmitglied aufgenommenen Gefangenen-Sportvereinen.
So nahmen über Jahre Fußballmannschaften der Justizvollzugsanstalten Attendorn, Darmstadt, Kassel an der Fußballrunde ihrer Kreise mit Erfolg teil. Die Teams bestanden vorwiegend aus Gefangenen des geschlossenen Vollzugs. So konnten sie ihre Gegner nur auf dem heimischen Spielgelände hinter Mauern empfangen. Für die auswärtigen Teams eine aufregende und spannende Angelegenheit.
Laufen im Strafvollzug
Leichter war es, die Gefangenen läuferisch zu aktivieren. Mitte der 70er Jahre hatten sie die Möglichkeit, in Gruppen oder als Einzelkämpfer in den Innenhöfen der Justizvollzugsanstalten unter Aufsicht zu laufen.
Die in Deutschland aufkommende „Joggingwelle“ ging auch am Vollzug nicht vorbei. Mit der Einführung des Strafvollzugsgesetzes boten sich für den Sport und hier speziell für den Laufsport zusätzliche Möglichkeiten der sportlichen Betätigung. Da das neue Gesetz Vollzugslockerungen bei vorliegender Eignung vorsah, konnte das Lauftraining unter Aufsicht geeigneter Bediensteter außerhalb der Justizvollzugsanstalt (JVA) als sogenannte „Erstlockerung“ in ganz beschränktem Rahmen genehmigt werden. Vereinzelt nahmen urlaubsberechtigte Gefangene an Laufveranstaltungen in Begleitung eines Vollzugsbediensteten in der näheren Umgebung teil.
Eine Maßnahme, die auf sehr großem Vertrauen basierte.
In der hessischen Justizvollzugsanstalt Butzbach verrichtete ein laufbegeisterter evangelische Anstaltspfarrer seinen Dienst. Er bot den Gefangenen ein zweimaliges, wöchentliches Lauftraining außerhalb der Mauern an. Über Jahre lief dieses Projekt mit großem Erfolg. Über tausend Gefangene kamen somit in den Jahren 1986 – 1999 in den Genuss, außerhalb der JVA trainieren zu können. Mit Begeisterung nahmen sie auch mit Erfolg an vielen Volksläufen im mittelhessischen Raum teil. Otto Seesemann hatte ein Vertrauensverhältnis über die Jahre aufgebaut.
Die Außenmauern und die Wachtürme der Berliner JVA Plötzensee – Foto: Horst Milde
Niemals nutzte ein Gefangener die Laufmaßnahme zur Flucht. „Die Mitgefangenen hätten sich an der Nacheile beteiligt“, so berichtet mir der engagierte Anstaltsgeistliche noch heute. Mit Eintritt in den Ruhestand des Pfarrers im Jahr 2000 endete das außergewöhnliche Laufprojekt des charismatischen Seelsorgers.
Stundenlauf mit Dieter Baumann
Es sind jetzt gut 15 Jahre vergangen, als erstmalig im geschlossenen Vollzug der JVA Gießen in einer deutschen Justizvollzugsanstalt eine vom Leichtathletikverband genehmigte Laufveranstaltung durchgeführt wurde. Die Idee, mit Inhaftierten eine offizielle Laufveranstaltung durchzuführen, hatte der Berichtsverfasser zusammen mit dem Olympiasieger Dieter Baumann.
Beide verbindet eine langjährige Freundschaft. So nahm Baumann mehrmals am Herborner Adventslauf teil, den Schmidt organisierte und moderierte. Am Rande des Geschehens planten sie, hinter den Mauern eines Gefängnisses eine Laufveranstaltung durchzuführen. Im April des Jahres 2006 setzten sie dann ihren Plan um.
Der damalige hessische Justizminister Jürgen Banzer war begeistert von dieser Idee.
Somit konnte das Projekt „Lass deinem Körper freien Lauf“ am 3. April 2006 im geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Gießen, in der Schmidt als Vollzugsabteilungsleiter tätig war, durchgeführt werden.
Auf einer 104 m langen (kurzen) Runde, dem sogenannten „Freistundenhof“, der auch gleichzeitig als „Sporthof“ für die Gefangenen diente, liefen Gefangene, Bedienstete, ehrenamtliche Mitarbeiter, Richter, Rechtsanwälte und heimische Sportler. Ziel war es, eine Stunde lang zu laufen.
Mit dabei auch Martin Grüning (Runners World) und Manfred Steffny (Spiridon). Circa 80 Läufer:innen nahmen an dieser Premiere-Veranstaltung mit Begeisterung teil. Das Medieninteresse mit drei TV-Teams war riesengroß. Groß auch die Motivation der Insassen, die sich monatelang mit ihrem Sportbeamten auf diesen „Knast-Höhepunkt“ vorbereitet hatten.
Von nun an war täglich viel Bewegung in der Sportstunde, in der vorher die Gefangenen überwiegend nur Ballsport betrieben. Im angrenzenden offenen Vollzug war die Möglichkeit der laufenden Bewegung wesentlich größer. Auch hier nahm der zuständige Sozialarbeiter, ebenfalls seit Jahren ein begeisterter Läufer, das Laufen in das Tagesprogramm der „Freigänger“ auf. Schnell war der Gedanke geboren, noch im gleichen Jahr mit Dieter Baumann,am 29. Oktober beim Frankfurt-Marathon als Staffel an den Start zu gehen. Das konnte selbstverständlich nur mit Gefangenen aus dem offenen Vollzug geschehen, die lockerungsberechtigt waren.
Drei Tage zuvor liefen zudem sieben Staffeln im 104 m großen Oval des geschlossenen Vollzuges der JVA Gießen den Team-Marathon analog zu Frankfurt. Heute kann man sagen: der erste virtuelle Marathon in Deutschland.
Deutschlandweites Laufprojekt
Der Ruf nach Fortführung der läuferischen Aktivitäten im hessischen Justizvollzug war groß. Da Schmidt kurz vor seinem Eintritt in der Ruhestand stand, fand er mit dem Rockenberger Sportlehrer Dirk Bublitz einen Mann, der die Grundidee in den Jugendvollzug hineintragen wollte. Das Duo Bublitz und Baumann, unterstützt durch den Protagonisten Schmidt, ging mit viel Elan an die Sache heran.
Eine Idee, die von allen Seiten als positiv gewertet wurde.
Fortan war im April 2007 das Laufprojekt mit einer sogenannten „Kick off“-Veranstaltung unter dem Motto „Jugend bewegt sich über Grenzen“ geboren. Im Gründungsjahr nahmen von 32 deutschen Jugendstrafanstalten 24 Jugendeinrichtungen aus 12 Bundesländern teil. Ziel war es, einen Halbmarathon mit fünf Läufern in der jeweiligen JVA zu bewältigen. In zwei Vorentscheidungswettbewerben in wechselnden Justizvollzugsanstalten qualifizierten sich dann die besten Teams für einen Final-Wettkampf. Das erste Bundesfinale fand in der JVA Siegburg statt.
Bis 2019 nahmen regelmäßig 20 Teams an diesem einmaligen Laufprojekt teil. Leider mussten die Veranstaltungen wegen Corona 2020 und 2021 abgesagt werden. Dieter Baumann wird auch 2022 wieder als Motivator ehrenamtlich dabei sein. Seine „Luscht“ am Laufen im „Knascht“ ist auch nach 15 Jahren ungebrochen.
Alljährlich findet mit allen Verantwortlichen der teilnehmenden Justizvollzugsanstalten eine Jahrestagung statt. Hier werden unter anderem der Ablauf und der Finalort des Bundesfinales bestimmt.
Erfreulich, dass von 2017 bis 2019 auch zwei weibliche Teams am Start waren. Dies trug zu einem weiteren Motivationsschub bei den männlichen Jugendlichen bei. Auch muss das Verhalten der Teilnehmer gelobt werden.
Zwar wurde auch vor 2006 in der einen oder anderen deutschen Justizvollzugsanstalt gelaufen. Das geschah jedoch meist auf Eigeninitiative der Gefangenen. Vereinzelt wurde das Laufen von laufbegeisterten Bediensteten in das jeweilige Sportprogramm aufgenommen. Ein gezieltes Lauftraining mit den Gefangenen fand kaum statt.
In der JVA Wolfenbüttel wurde der erste Marathon in einer deutschen Justizvollzugsanstalt am 7.4.2007 durchgeführt. Unter dem Motto „Drinnen für Draußen“ bewältigten 80 Teilnehmer die Marathonstrecke und erliefen 6000 Euro für einen guten Zweck. Angeregt durch die läuferischen Aktivitäten Dieter Baumanns veranstaltete die JVA Darmstadt den ersten Marathon nach den Richtlinien des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.
Der damalige Sportleiter der südhessischen Justizvollzugsanstalt Darmstadt, Gerd Wydra, vom Rockenberger Projekt inspiriert, organisierte 2008 einen Marathonlauf innerhalb der Mauern, der offiziell vermessen und beim Hessischen Leichtathletikverband angemeldet war. Unterstützt von Dieter Bremer, dem langjährigen Streckenchef des Frankfurt-Marathons, war die Erstveranstaltung ein voller Erfolg. Auf einer 1,7-km-Runde nahmen circa 150 Teilnehmer:innen am Marathon teil. Hierzu waren unter strengen Sicherheitsvorkehrungen Läuferinnen und Läufer von außen eingeladen.
Dass man im Knast auch schnell laufen kann, zeigte im Jahr 2012 „Mister Bremen-Marathon“, Oliver Sebrandtke (LC Hansa Stuhr), als er die bis heute schnellste Marathonzeit in einem deutschen Gefängnis mit 2:38:23 h erzielte. Ebenfalls im Jahr 2008 folgte der „Gefängnis-Marathon“ in Oldenburg.
Das Laufen etablierte sich immer mehr in den deutschen Justizvollzugsanstalten. Viele Veranstaltungen folgten.
So unter anderem im Jahr 2014 in der JVA Plötzensee in Berlin ein 10-km-Lauf, der bis heute ausgetragen wird, jedoch auch in der Corona-Zeit nicht durchgeführt werden konnte. Horst Milde, der BERLIN-MARATHON Begründer, konnte diese Idee nach einem Training mit den Gefangenen und der dortigen JVA-Trainerin JoAnna Zybon bei der Senatsverwaltung für Justiz durchsetzen. Zusammen mit dem offiziellen AIMS-Vermesser John Kunkeler und dem Berliner Leichtathletik-Verband (BLV) wird eine rekordfähige 10-km Runde – auch für Externe Läuferinnen und Läufer – angeboten.
Der 10 km Lauf 2019 in der JVA Plötzensee mit Führungsfahrrad (lks.) , Zuschauern und dem Kampfgericht des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV) (in gelb) und Moderator John Kunkeler (r). – Foto: Horst Milde
Im selben Jahr fand in der neu errichteten JVA Rosdorf – nahe Hannover – ebenfalls ein Einzel- und Staffel-Marathon statt. Mit dabei auch die Leiterin der JVA, Regina-Weichert Pleuger, die eine der siebzig Starter:innen war. Zu bemerken ist, dass es im Rahmen dieser Veranstaltungen in keinem Fall zu außerordentlichen Vorkommnissen kam.
Die Teilnehmer von außerhalb kamen anfangs mit gemischten Gefühlen zu den Läufen, mussten jedoch am Ende feststellen, dass das Miteinander durch Respekt und Fairness gezeichnet war. Im Sport gab und gibt es keine Unterschiede zwischen drinnen und draußen.
Nicht unerwähnt bleiben sollte an dieser Stelle sein, dass in San Quentin (USA) im Jahr 2019 ein Marathon durchgeführt wurde. Das San Quentin State Prison hatte über Jahrzehnte keinen guten Ruf. Zu Zeiten, als Jonny Cash 1958 als Gastmusiker im Gefängnis auftrat, galt San Quentin (Kalifornien) als die „härteste“ Strafanstalt in den USA. Nach der Justizreform 2019 verbesserten sich die Haftbedingungen in den Vereinigten Staaten von Amerika. So wurde es möglich, dass 24 Gefangene – von ca. 3.000 Insassen – an einem Marathon innerhalb der Mauern teilnehmen konnten.
Auch hier waren die Laufrunden sehr klein. Insgesamt mussten 105 Runden gelaufen werden, um auf 25 Meilen und 365 Yards (42,195 m) zu kommen. Der älteste Teilnehmer war 82 Jahre und befand sich schon seit 32 Jahren wegen Mordes in Haft. Er finishte und bekam danach von seinen Mitgefangenen das Prädikat „der beste Gefängnis-Daddy“. Einen Monat danach wurde er entlassen.
Sport im Strafvollzug der DDR
Im Strafvollzugsgesetz (STVG) der DDR stand die Erziehung zur Einhaltung des Gesetze des sozialistischen Staates als Vollzugsziel über Allem. Neben dem Einsatz zu gesellschaftlich nützlicher Arbeit, der staatsbürgerlichen Schulung, der Durchsetzung von Ordnung und Disziplin und allgemeinen Bildungsmaßnahmen, führte der Sport in den 44 Einrichtungen eine sehr untergeordnete Rolle. Dies änderte sich erst mit der Wiedervereinigung und der Übernahme des Strafvollzugsgesetzes der BRD.
Mittlerweile ist das Sportangebot in den neuen Bundesländern mindestens auf dem Niveau der alten Bundesländer.
Neu erbaute Einrichtungen mit modernen Sportplätzen und engagierten Mitarbeitern sorgen für einen regen Sportbetrieb. Laufen und Sport ein wichtiger Bestandteil des modernen Strafvollzuges. Laufen gehört mittlerweile in den meisten deutschen Justizvollzugsanstalten zum Sportprogramm. Anfänglich wurde das Sporttreiben im Vollzug als eine dem Strafzweck zuwiderlaufende Maßnahme betrachtet.
War das Sportangebot bis in die 90er Jahre hauptsächlich auf die Ballsportarten, Tischtennis und Kraftsport beschränkt, so fanden Ausdauerangebote wie Laufen und Spinning ihren Platz in den Gefängnissen.
In einer Welt, in der der körperlich Stärkere oftmals die sportlichen Regeln bestimmt, bot das Laufen den körperlich Schwächeren die Möglichkeit der Bestätigung, die sie vormals nicht hatten. Hier konnte der leptosome Gefangene dem muskelbepackten Mitgefangenen zeigen, dass er auch etwas kann.
Lauf in Corona-Zeiten
Auch zu Corona-Zeiten wird unter Beachtung der Regeln in deutschen Vollzugsanstalten mit Begeisterung weiter gelaufen. Zu bemerken ist, dass aufgrund der vielseitig getroffenen Vollzugsmaßnahmen Covid-19 nicht die große Rolle in den deutschen Vollzugsanstalten spielt. Hier werden peinlich genau die AHA-Regeln eingehalten. Die Kontakte nach außen wurden eingeschränkt.
Gerade im Jugendvollzug kommt dem Sport eine besondere Bedeutung zu.
Neben dem Erziehungsgedanken, der Arbeit und der Ausbildung nimmt der Sport bei den jungen Menschen eine wichtige Rolle ein. So bestehen in der hessischen Jugendvollzugsanstalt Rockenberg und in Wiesbaden bis heute konstante Laufgruppen mit bis zu 30 Jugendlichen.
Die Ziele des Laufprojektes umschreibt der Motor des Laufprojektes, Dirk Bublitz, wie folgt: „Ich möchte möglichst viele Jugendliche für den Laufsport begeistern – den Jugendlichen durch das Laufen zu mehr Wohlgefühl verhelfen – den Bezug zum eigenen Körper verbessern – das Selbstwertgefühl steigern – eine oftmals vorhandene negative Sucht (z.B. Drogen) durch eine positive Sucht (Laufen) ersetzen.“
Und so sind sie auch im Corona-Jahr zweimal wöchentlich mit Ehrgeiz und Ausdauer dabei. Ihr Ziel ist es, sich nach Corona für das große Bundesfinale zu qualifizieren. Dabei ist nicht primär ausschlaggebend, unter den fünf schnellsten Läufern ihrer JVA zu sein. Beständigkeit, Ehrgeiz und Zuverlässigkeit nebst läuferischem Vermögen sind die Faktoren der Nominierung.
Sepp-Herberger-Stiftung
An dieser Stelle ist nicht zu vergessen, dass der ehemalige DFB-Fußballtrainer Sepp Herberger sich sehr für den Sport in Jugendvollzugsanstalten eingesetzt hatte. Zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 1977 überraschte ihn der damalige DFB-Präsident Herrmann Neuberger mit der Gründung der „Sepp-Herberger-Stiftung“. Hierfür wurde vom DFB eine Million DM zur Verfügung gestellt.
Die Hauptsäule der Stiftung stellte die Resozialisierung der Gefangenen dar. Herberger besuchte mit Fritz Walter mehr als 200 Justizvollzugsanstalten und warb unter dem Motto „Anstoß für ein neues Leben“ für sein Projekt.
Nach seinem Tod führte Fritz Walter sein Werk fort. Unterstützt von der Agentur für Arbeit und den einzelnen Justizministerien lebt der Gedanke Herbergers bis heute weiter.
Jährlich finden mit unterschiedlichen Paten wie Horst Eckel, Uwe Seeler, Oliver Kahn, um nur einige zu nennen, viele Veranstaltungen hinter Mauern statt. Im Jahr 2019 wurde das Projekt von der UEFA ausgezeichnet. Vor Corona nahmen jährlich mehr als 300 Jugendliche im Alter von 14 bis 24 Jahren daran teil. Sepp Herberger hatte durch den Fußball den Zugang zu den Insassen der Vollzugsanstalten gefunden. Dreißig Jahre später gelang das dem „Vorläufer der Nation“, Dieter Baumann, mit dem Laufsport.
Zwei überragende Persönlichkeiten der deutschen Sportgeschichte, die sich unentgeltlich für eine gute Sache zur Verfügung stellten. Corona wird die Projekte nicht beenden.
Die Planungen für 2022 sind bereits wieder angelaufen. Die Gefangenen werden gegeneinander wieder ihre Turniere austragen, und auch Dieter Baumann wird wieder mit den Gefangenen hinter Gittern die Runden drehen. Dass dies so ist, ist in erster Linie der Verdienst vieler externer und interner Mitarbeiter:innen in den deutschen Justizvollzugsanstalten von Laufen bis Flensburg. Die Bedingungen sind von Anstalt zu Anstalt unterschiedlich, und dennoch werden immer Möglichkeiten gefunden, die Gefangenen zum Laufen zu begeistern.
Zum Schluss wäre mein Vorschlag: Ruft einen virtuellen „Knastlauf“ von der JVA Laufen-Lebenau im Berchtesgardener Land zur nördlichsten deutschen Justizvollzugsanstalt in Flensburg (Schleswig Holstein) über 1084 Kilometer ins Leben.
Ein lohnendes Ziel in Corona-Zeiten.
Artur Schmidt
Entnommen dem Lauf-Fachmagazin „SPIRIDON“ Juni/6/2021
https://www.laufmagazin-spiridon.de/
*Artur Schmidt ist seit Jahren beliebter Laufmoderator bei vielen deutschen Laufveranstaltungen, bzw. selbst auch Veranstalter. Bis zu seiner Pensionierung war er stellvertretender Direktor der JVA Gießen, jetzt ist er ständiger Mitarbeiter der Lauf-Fachzeitschrift SPIRIDON mit seiner Kolumne „Artur blickt zurück“!