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22
08
2008

Vielleicht geht sie aber auch ganz anders. Vielleicht ist Usain Bolt, 22 Jahre alt aus Jamaika, nur deshalb der schnellste Mann der Welt geworden, weil ihm ein Arzt oder ein Trainer besondere Mittel gegeben haben, verbotene Tempomacher

Läufer-Land – Der Jamaika-Faktor – Die Jamaikaner gewinnen eine Lauf-Medaille nach der anderen. Geht da alles mit rechten Dingen zu? Friedhard Teuffel, Peking, im Tagesspiegel – Doping – Spiele mit Substanz – Unser Olympia-Reporter Friedhard Teuffel analysiert die bisherigen Doping-Fälle.

By GRR 0

Laufen ist eigentlich wie schnelles Tanzen in die immer gleiche Richtung, es gibt einen Rhythmus, einen Beat, der ganze Körper bewegt sich mit. So kommt es einem jungen Sportler aus einem kleinen Land vor, der gerne tanzt, und deshalb auch gerne rennt. Er wird immer schneller, bis ihm keiner mehr folgen kann.

Er wird der schnellste Mann der Welt, und einer seiner Trainer erzählt nach seinem großen Sieg, dass dieser Mann in dem kleinen Land jetzt die Kinder davon abhalten wird, zu stehlen und zu betrügen, weil er ihnen einen Ausweg gezeigt hat aus der Kriminalität.

Es könnte die Geschichte von Usain Bolt sein.

Vielleicht geht sie aber auch ganz anders. Vielleicht ist Usain Bolt, 22 Jahre alt aus Jamaika, nur deshalb der schnellste Mann der Welt geworden, weil ihm ein Arzt oder ein Trainer besondere Mittel gegeben haben, verbotene Tempomacher. Doch solche Mittel sind unsichtbar für das Publikum. Sie wären auch unsichtbar gewesen für 91 000 Zuschauer am Mittwochabend im Nationalstadion von Peking, die Usain Bolt feiern für seinen Olympiasieg und Weltrekord über 200 Meter, seinen zweiten Olympiasieg, seinen zweiten Weltrekord innerhalb von wenigen Tagen. Bolt bedankt sich für die Aufmerksamkeit mit einigen Tänzchen, er macht den Abend zur Reggae-Night.

Das Phänomen Usain Bolt erklären

Kann so jemand betrügen? Unten, im Bauch des Stadions, erklären die jamaikanischen Trainer einer nach dem anderen das Phänomen Bolt. Den Anfang macht Bertland Cameron, er kennt Bolt seit dessen zwölften Lebensjahr, er sagt: „Ich habe noch nie jemanden wie Bolt gesehen. Von seiner Physis von seiner mentalen Stärke." Und was ist mit Doping? „Wir wissen, dass er sauber ist. Er nimmt noch nicht einmal Nahrungsergänzungsmittel. Er isst, trinkt und schläft."

Ein paar Meter weiter steht Maurice Wilson, Sprinttrainer, sein Kopf steckt genau wie der seines Kollegen Cameron unter einer Baseballkappe. Er hat Bolt mal bei einer Nachwuchs-Weltmeisterschaft betreut, da habe der sich noch nicht einmal warmgelaufen und stattdessen ein Videospiel gespielt – und trotzdem gewonnen. Hartes Training sei der Grund für Bolts Erfolg, aber vor allem seine Lauftechnik. „Haben Sie jemals einen Läufer gesehen, der seine Knie so hebt wie er? Das ist gottgegebenen."

Man muss nicht einmal aus Jamaika kommen, um so zu schwärmen. „Er ist der talentierteste Athlet überhaupt. Erschafft es, zu 100 Prozent, den Körperschwerpunkt zu treffen", sagt Thomas Kremer, der Bundestrainer der deutschen Sprinterinnen. Zum Thema Doping möchte er sich offiziell nicht äußern.

Immer neue Talente

Es gibt noch etwas, einen Jamaika-Faktor. Eine Tradition von drei in Jamaika geboren Olympiasiegern, Ben Johnson, Linford Christie, Donovan Bailey, die alle drei in andere Länder auswanderten und von denen zwei, Johnson und Christie, als Doper überführt wurden. Und es kommen immer neue Talente nach. „Sie laufen nicht so viele Hauptwettkämpfe. Sie haben optimale klimatische Voraussetzungen", sagt Bundestrainer Kremer.

In Peking wirkt der Jamaika-Faktor nicht nur bei Bolt, die drei Erstplatzierten im 100-Meter-Sprint kommen aus Jamaika, die Siegerin über 200 Meter und 400 Meter Hürden auch noch, macht vor den Staffelwettbewerben fünf Goldmedaillen. Zwei der Goldmedaillengewinnerinnen haben ein Siegerlächeln mit Zahnspange, und eine Zahnspange galt einmal als Hinweis auf ein mögliches Doping mit Wachstumshormon. Als ein europäischer Sprinttrainer gefragt wird, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sei, dass Bolt nicht gedopt habe, sagt er: „Null Prozent. Seit dreißig Jahren wird im Sprint gedopt, auch jetzt, mit Cocktails aus Wachstumshormon, Epo und Insulin. Organisiert wird es nicht über die Trainer, sondern über die Manager, sie haben das Geld in der Hand, das dazu nötig ist."

Keine nationale Anti-Doping-Agentur

Die Jamaikaner sagen, sie würden ihre Athleten kontrollieren. Andere werfen ihnen das Gegenteil vor. Es gibt keine nationale Anti-Doping-Agentur wie in anderen Ländern. Im Juni war Sprinter Julien Dunkley erwischt worden, er war schon für Peking qualifiziert.

Doch die Jamaikaner verteidigen ihre Athleten. Kurz vor Mitternacht am Mittwoch steht Stephen Francis in den Katakomben des Stadions, Trainer des ehemaligen Weltrekordhalters Asafa Powell, und sagt: „Ich kann die Leute nicht daran hindern, zu zweifeln. Aber es kommen eben Menschen, die eine Ausnahme sind. Sie haben Einstein, Isaac Newton, Beethoven – und Usain Bolt."

Es gibt Geschichten im Sport, die sind fast zu schön, um wahr zu sein.

Doping – Spiele mit Substanz – Unser Olympia-Reporter Friedhard Teuffel analysiert die bisherigen Doping-Fälle.

Meistens wird ein Dopingverdacht nur hinter vorgehaltener Hand geäußert, aber Melanie Seeger legte keinen Wert mehr auf Anonymität. Über Olga Kaniskina, die Siegerin im Wettbewerb 20 Kilometer Gehen, sagte Seeger: „Die Russin kommt aus einer Trainingsgruppe, wo die Hälfte gedopt ist. Wir müssen überlegen, ob sich das überhaupt noch lohnt.“

Die Dopingprobe könnte bei der Aufklärung helfen, ob hier nur eine frustrierte 23. sprach, oder ob Seeger einen berechtigten Verdacht äußerte. „Die Spitze kann Zeiten gehen, da können wir trainieren, so viel wir wollen“, sagte Seeger. „Ich hoffe, dass die große Bombe platzt und wir unsere Chance bekommen.“ Schon vor den Spielen in Peking waren sieben russische Leichtathletinnen wegen Dopingverdachts suspendiert worden, das hatte Seegers Misstrauen noch einmal verstärkt.

Die Dopingfälle bislang

Die Pferde einmal ausgenommen gab es bislang fünf Dopingfälle bei diesen Olympischen Spielen und der spektakulärste betraf die ukrainische Siebenkämpferin Ludmilla Blonska. Sie hatte die Silbermedaille gewonnen. Die Teilnahme an den Spielen in Peking war schon ihre zweite Chance. 2003 war ihr Doping mit dem Anabolikum Stanazolol nachgewiesen worden. Diesmal war wieder ein Anabolikum im Spiel.

Bei diesen Olympischen Spielen wird jedoch erneut deutlich, dass die Welt auch beim Doping in verschiedene Teile zerfallen ist. Länder aus Osteuropa etwa bedienen sich noch immer billigeren und leichter nachweisbaren Dopingmitteln –  wie eben Blonska. In anderen Ländern sind dagegen Cocktails im Einsatz aus schwer bis gar nicht nachweisbaren Substanzen.

Rechtzeitig abgesetzt

Vor allem haben die Athleten ihre Mittel rechtzeitig vor den Spielen abgesetzt. Da nützt es nichts, wenn bei ihnen im Olympischen Dorf nun jeden zweiten Tag der Kontrolleur vorbeischaut, das Programm mit 4500 Kontrollen in Peking schreckt allenfalls etwas ab und erwischt diejenigen, die auf einfachem Niveau dopen. „Wir brauchen künftig noch intelligentere Zielkontrollen in der Vorbereitungsphase. Die Athleten müssen mit den Kontrollen überrascht werden, auch an mehreren Tagen hintereinander“, sagte Ulrike Spitz, die Sprecherin der Nationalen Anti-Doping-Agentur.

Die anderen vier Fälle in Peking sind die spanische Radfahrerin Maria Isabel Moreno, die mit Epo überführt wurde, der nordkoreanische Schütze Kim Jong-Su (Betablocker), der einmal Bronze und einmal Silber gewonnen hatte, sowie eine vietnamesische Kunstturnerin (Diuretikum) und die griechische 400-Meter-Hürdenläuferin Fani Halkia (Steroid). Halkia, Olympiasiegerin von 2004, hatte schon früher großen Verdacht erregt, war bislang jedoch davongekommen.

Proben werden eingefroren

Zahlreiche Weltrekorde, gerade im Schwimmen und in der Leichtathletik nähren die bestehenden Zweifel. Die Proben von Peking werden nun acht Jahre lang eingefroren und können jederzeit noch einmal untersucht werden.

Was Doping bewirken kann, zeigte in Peking der ungarische Diskuswerfer Robert Fazekas. In Athen war er mit 70,93 Meter Olympaisieger geworden. Jedoch hatte der Ungar genau wie sein Landsmann Adrian Annus, der Gold im Hammerwerfen gewonnen hatte, bei der Dopingprobe fremden Urin abgegeben. Sie erhielten die übliche Zwei-Jahres-Sperre und verloren ihre Medaillen. In Peking kam Fazekas nun auf die olympische Bühne zurück – und warf 63,43 Meter.

Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Frietag, dem 22. August 2008  

author: GRR

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