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26
02
2012

2011 IAAF World Outdoor Championships Daegu, South Korea August 27-September 5, 2011 Photo: Jean-Pierre Durrand@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

Kugelstoßen Neue Klasse gesucht – Kilogramm für Kilogramm – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Solche Gewichtsprobleme und solch eine Diät wünscht sich mancher. „Man sieht ja, dass ich den anderen körperlich unterlegen bin“, behauptete David Storl, als er sich im Winter mit den Haudegen des Kugelstoßens maß, mit dem riesigen Olympiasieger Tomasz Majewski und mit den ehemaligen Weltmeistern Christian Cantwell und Reese Hoffa aus Amerika.

Da stand er rank und schlank zwischen den reifen Herren, der 21 Jahre alte Weltmeister, sah immer noch aus wie der Zehnkämpfer, der er einmal war, und schien den Herren mit mehr oder weniger ausgeprägten Bäuchen die gut und gern zehn Kilo zu neiden, die jeder von ihnen mindestens mehr auf die Waage bringt als er. 121 Kilo wog der 1,97 Meter lange Storl damals.

Zur deutschen Hallenmeisterschaft, die er an diesem Samstagabend in Karlsruhe mit starken 21,40 Meter gewonnen hat, dürfte er schon sechs bis acht Pfund zugelegt haben. Schließlich hält er streng Diät. „Zur Hallen-Weltmeisterschaft in Istanbul will ich 125 Kilo wiegen“, hat er für den kommenden Monat versprochen.
 
Möge sich niemand täuschen: Zunehmen ist ebenso anstrengend wie abnehmen. „Irgendwann muss man halt damit anfangen“, sagt Storl. „Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass man fünf Mahlzeiten hat am Tag, dann geht es.“ So isst Storl vor dem Training Milchreis und Nüsse, zu den anderen Mahlzeiten stehen Eiweiß und Kohlenhydrate auf dem Speiseplan: Fleisch und Nudeln, Reis und Rührei nicht zu knapp. „Er kann ganz schön reinhauen“, lobt Sven Lang. „Aber wenn er mal keinen Appetit hat, zwinge ich ihn auch nicht.“

So oder so gehe es bei all dem natürlich um Muskelmasse, nicht etwa um Speck um die Hüften – oder sonst wo. Beim Coaching in der Kantine des Olympiastützpunktes Chemnitz muss der Trainer ohnehin eine sensible Balance wahren.
Germany Indoor Shotput Meeting © dapd

„Zu viel Masse“: Christina Schwanitz musste Gewicht reduzieren

Christina Schwanitz, nach 18,68 Metern in Karlsruhe von Nadine Kleinert (19,13 Meter) deutlich geschlagen, musste den umgekehrten Weg gehen. „Zwölf Kilo habe ich abgenommen“, verrät die 1,88 Meter große Athletin, die ihr Gewicht mit 99 Kilo angab. „Drei Kilo Muskeln habe ich zugelegt.“ Ihre neue Leichtfüßigkeit ist ebenso wie die verbesserte Statik von Storl auch einem Ernährungsberater zu verdanken. Denn selbstverständlich geht es nicht um Hungern oder Schlingen, wenn man sich so einen Bumms im rechten Arm erhalten will, wie ihn die Sächsin bei der Rückkehr aus dem Schwäbischen zu Lang hatte.

Zwanzig Meter traut der Trainer ihr in diesem Jahr zu, in dem sie 26 Jahre alt wird. Dabei hat Christina Schwanitz ihre Arbeit an den Kraftmaschinen reduziert und klagt leidenschaftlich über das, was Lang ihr abverlangt. „Wir machen Ausdauertraining, Laufen, Schwimmen, Skilanglauf“, ruft sie. „Ich habe doch ein Auto!“
 
Reibungsfläche: Für David Storl gehört zur guten Vorbereitung nicht nur die richtige Grundierung, sondern auch eine Gewichtszunahme im oberen Bereich

Mit Kalorienzufuhr und Energieverbrauch ermöglicht Lang seinen Athleten nicht nur die Vielseitigkeit, die er von ihnen erwartet. Er betreibt auch so etwas wie Massenmanagement. Denn einerseits müssen Kugelstoßer beweglich und explosiv sein. „David ist mit Abstand der schnellste Kugelstoßer der Welt“, schwärmt Lang. Nicht nur gleitet der junge Weltmeister wie kein Zweiter durch den Ring von nur 2,13 Meter Durchmesser. Er kann auch rennen wie ein Jamaikaner, jedenfalls ganz kurze Strecken. „Auf den ersten zehn Metern mit Hochstart kann er mit richtigen Sprintern mithalten“, sagt Lang. „Dreißig Meter läuft er bei fliegendem Start in weniger als drei Sekunden.“

„Zu viel Masse“

Andererseits aber müssen diese Leichtathleten Schwergewichte sein, um sich mit ihren Stößen nicht von den Füßen zu reißen und aus dem Ring zu katapultieren. „Da wirken ganz schöne Kräfte“, sagt Lang über die komplexe Bewegung, die nichts anderem dient, als Eisenkugeln von vier Kilo bei den Frauen oder sogar 7,257 Kilo bei den Männern mehr oder weniger zwanzig Meter weit zu katapultieren.

„Man muss stabil stehen und Gegendruck entwickeln.“ Lang hängt einer Vorstellung von Beweglichkeit und Schnelligkeit an. Deshalb beschied er Christina Schwanitz, die er schon als Kind trainiert hatte, beim Wiedersehen vor zwei Jahren: „Zu viel Masse.“ Jetzt lobt er ihren schnellen Arm, ihre schnelle Schulter. „Ich bin zuversichtlich“, sagt er, „dass etwas mit ihr gelingt“.

Storl dagegen will sich auf keinen Fall zufriedengeben, da er weit vor der Zeit Weltmeister geworden ist. „Am meisten hat sich die Erwartungshaltung an mich selbst geändert“, sagt er. „Wenn ich im Training zwanzigeinhalb stoße, finde ich immer etwas, das mir nicht gefallen hat. Mein Trainer sagt, dass ich auch mit weniger zufrieden und nicht so ungeduldig sein soll. Die Leistung komme schon im Wettkampf. Da muss man sich erst mal dran gewöhnen.“

Dem Weltmeister hat der Erfolg offenbar Appetit gemacht.

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 24. Februar 2012

author: GRR

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