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2012

Wer ist Erste, wer ist Zweite: Tarmoh (vorn) und Felix ©USA Track & Field

Kommentar – Tu felix Allyson – TRIALS in den USA – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

03.07.2012 ·  Die unbekannte Jeneba Tarmoh verzichtet auf ihren 100-Meter-Startplatz zugunsten der berühmten Allyson Felix. Dass Tarmoh freiwillig den Höhepunkt ihrer Saison wegwirft, womöglich den ihrer Karriere, darf bezweifelt werden.

Münzwurf? Ein Sprint mit nur zwei Teilnehmerinnen? Das eine wie das andere hätte über einen Platz in der Olympiamannschaft der Vereinigten Staaten entscheiden können. Doch nun ist der dritte Platz für den 100-Meter-Lauf der Frauen durch einen schnöden Verzicht vergeben worden: an die 25 Jahre alte Allyson Felix, neun mal Weltmeisterin allein und mit den Staffeln über vier Mal 100 und vier mal 400 Meter.

Raus ist die drei Jahre jüngere Jeneba Tarmoh, die nach dem Sprint-Finale vor inzwischen zehn Tagen schon die Bronzemedaille der Meisterschaft und den Trainingsanzug der Olympiamannschaft in Händen hielt, eine Ehrenrunde gelaufen war und eine Pressekonferenz bestritten hatte.

Überraschend wurde dann Allyson Felix vom vierten ebenfalls auf den dritten Platz befördert, und erst nach Tagen kam heraus, wie das geschehen konnte.

Der Kampfrichter legt selbst Protest ein

Der Kampfrichter Roger Jennings hatte, wie schon tausend Mal zuvor, das Zielfoto ausgewertet. Allyson Felix war nach seinem Urteil Vierte. Wegen der Bedeutung seiner Entscheidung, so sagte er einem Reporter, legte er allerdings selbst Protest ein und bat um einen Schiedsspruch.

Über diesen verriet er dann, dass er überstimmt worden sei. Kein Wunder, dass Jeneba Tarmoh sich „irgendwie beraubt“ fühlte, zumal ihr Trainer Bob Kersee den Entscheidungslauf auf die lange Bank schob. Er betreut auch Allyson Felix, und sie hatte er zu schonen.

Eine Woche nach dem Sprint lief sie im Finale über 200 Meter die unglaubliche Zeit von 21,69 Sekunden. Nun würde sie, erwarteten viele, ihren Platz im Sprint der Trainingspartnerin überlassen. Doch statt Großzügig hatte sie den Showdown im Sinn.

Gerüchte über eine Nike-Intervention machten die Runde

Trainer und Funktionäre, Journalisten und Fernsehkommentatoren schwärmten schon von dem Duell am Montagabend, einen Tag nach dem Ende der Trials, im leeren Stadion von Eugene – live im Fernsehen, eingebettet in die Übertragung von den Trials der Schwimmer. Gerüchte über die Intervention des Sportartikelherstellers Nike, der beide Läuferinnen ausstattet und dem ein Interesse am Start der berühmteren nachgesagt wurde, machten die Runde.

Und dann plötzlich, im Pressedienst des amerikanischen Verbandes: die von Jeneba Tarmoh unterschriebene Mitteilung, dass sie auf ihren Startplatz zugunsten von Allyson Felix verzichte. Sie wisse, dass sie nun Reserveläuferin sei, schreibt sie demnach, und nur laufen werde, wenn jemand ausfalle oder verzichte.

Man kann sich viel vorstellen, auch den nervlichen Zustand der Läuferin nach mehr als einer Woche mit schlaflosen Nächten. Doch dass sie freiwillig den Höhepunkt ihrer Saison wegwirft, womöglich den ihrer Karriere, darf bezweifelt werden.
Schließlich hätten ihr die Regeln erlaubt, einen Münzwurf zu verlangen. Der wäre weniger spektakulär als der Lauf gewesen.

Aber ihre Siegchancen gegen die ausgeschlafene Allyson Felix hätten 50:50 gestanden.

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 3. Juli 2012

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