Den RBB-Autoren Philipp Büchner und Jörg Klawitter ist eine Art Gesamtkunstwerk gelungen.
Körperkontakte – „Der Trainer war der Täter“: Eine eindrucksvolle ARD-Dokumentation über den sexuellen Missbrauch in Sportvereinen. Frank Bachner im Tagespiegel – Heute um 23.30 h in der ARD
Braune Blätter liegen auf dem saftlosen Gras der Wiese, ein paar Meter entfernt schwimmen Enten träge über einen See. Ein Herbsttag irgendwo in Brandenburg. In der Nähe des Wassers sitzt Heiko, vermummt mit einer Skijacke, die Kapuze über den Kopf gezogen, das Gesicht nur im Profil zu sehen. Und unscharf. Heiko ist 25 Jahre alt; als ihn sein Trainer sexuell misshandelte, war er zwölf. Ein hilfloses Opfer in einem Sportverein.
Mit Heikos Geschichte beginnt eine Dokumentation über sexuellen Missbrauch im Sport, wahrscheinlich die beste, die im Fernsehen seit langer Zeit ausgestrahlt worden ist. Missbrauch ist ein Dauerthema, es läuft Gefahr, dass die Menschen damit übersättigt werden.
Seltsam genug, dass der Missbrauch im Sport vom Fernsehen trotzdem selten behandelt wurde. Nirgendwo sonst vermutlich versammeln sich so viele Pädophile wie gerade im Sport.
Den RBB-Autoren Philipp Büchner und Jörg Klawitter ist eine Art Gesamtkunstwerk gelungen. In 30 Minuten packen sie alle wesentlichen Aspekte, sie berichten differenziert und einfühlsam, und trotzdem ist die Dokumentation nicht mit Informationen überfrachtet. Dazu kommt gerade in den ersten, emotional geprägten Minuten eine schlichte, aber starke Bildsprache.
Bis zum ersten harten Schnitt, bis zum Blick in eine Beratungsstelle, arbeiten die Autoren in ihren Bildern mit kleinen, aber gerade deshalb wirkungsvollen Symbolen. Einen Fußballplatz mit jungen Spielern sieht man durchs Netz eines Tors, an dem die Kamera langsam entlangfährt. Das Netz wirkt wie ein Gitter, das einen von den Kindern abhalten soll.
Büchner und Klawitter hätten sich auf ein eindrucksvolles Täter-Opfer-Schema beschränken, sie hätten ein paar furchtbare Taten dokumentieren können. Das hätte genügend Wirkung gehabt. Aber ihre Dokumentation ist umfassender. Eine Pädagogin erzählt, wie man Missbrauch erkennt und sich gegen ihn wehren kann, ein Sexualwissenschaftler schildert die Psyche der Täter und nimmt ihnen damit das Dämonenhafte, ein hoher Sportfunktionär schildert den passiven Widerstand von Vereinsfunktionären im Kampf gegen Missbrauch. Ihre Bequemlichkeit, ihre Ignoranz. Vor allem aber lassen die Autoren gegen die Hysterisierung beim Thema argumentieren. Nicht jeder Körperkontakt eines Trainers ist eine kriminelle Handlung, nicht jeder Coach, der Athleten freudestrahlend in den Arm nimmt, entlarvt sich damit als Pädophiler.
Kritik an diesem Film reduziert sich auf eine Kleinigkeit. Am 60-köpfigen Runden Tisch gegen sexuellen Missbrauch sitzt nur ein Vertreter des Sports – die Autoren beklagen es. Warum es so ist? Familienministerin Kristina Schröder wird danach nicht befragt. Ein Detail, wenig bedeutend in einer großartigen Dokumentation.
Frank Bachner im Tagesspiegel, Mittwoch, dem 9. März 2011