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25
07
2008

Kleine und große Fragen – Die verdächtig schnellen Sprinter sorgen für Spannungen aller Art im vorolympischen Alltag, in dem Jamaikas Asafa Powell erstmals Gold-Qualitäten zeigt – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Stockholm/München – Auf einmal stand ein Grinsen in diesem Gesicht, das an Wettkampftagen sonst wie eingefroren wirkt, und es war ein Rekordgrinsen. Asafa Powell aus Jamaika, einer der schnellsten Menschen der Erde, neigt nicht zur großen Geste, selbst bei seinen besten Rennen blieb sein Jubel immer verhalten.

Aber diesmal? Er hatte den besten Start erwischt beim Leichtathletik-Grand-Prix in Stockholm und rettete den Vorsprung bis ins Ziel dieses 100-MeterLaufs, wenn auch nur knapp, weil Landsmann Usain Bolt
mit seinen langen Beinen beträchtlich Tempo aufgenommen hatte: 9,88 zu 9,89 Sekunden. Powell grinste so breit, dass seine Mundwinkel fast an die Schläfen reichten. Er hörte gar nicht mehr auf zu grinsen. Der Mann wirkte schwer erleichtert, nachdem ihm diese Saison bisher mehr Verletzungen als Siege gebracht hatte. Und später, als er sein Grinsen wieder etwas gebändigt hatte, sagte Asafa Powell: ?Ich habe den heutigen Sieg für mein Selbstvertrauen gebraucht.?

Die internationale Sprintszene hat gerade ein ganz angenehmes Thema zu bearbeiten. Es geht um Favoriten und ihre Verletzungsprobleme, um Comebacks und die Kräfteverhältnisse bei Olympia in Peking, nachdem der 21-jährige Bolt mit viel zu sagenhaften 9,72 Sekunden früh im Jahr den Weltrekord verbessert hat, den im Jahr zuvor Powell auf viel zu sagenhafte 9,74 Sekunden gehoben hatte. Um harmlose Sportfragen geht es also, die gar nichts zu tun haben mit den Verdachtsmomenten, denen sich das Sprintgewerbe gerade in diesen Zeiten der ständigen Rekordläufe ausgesetzt sieht.

Vergangene Woche hat Victor Conte, der frühere Chef des Dopinglabors Balco, mal wieder aus seinem fundierten Wissensschatz geplaudert und als Erster öffentlich die jamaikanischen Wunderläufer hinterfragt. Im vergangenen Dezember habe er in New York mit Richard Pound, dem damaligen Chef der Weltantidoping-Agentur Wada, zusammengesessen und ihm dringend empfohlen, den karibischen Sport genauer unter die Lupe zu nehmen. "Dass die schnellsten Menschen in der Welt von einer einzigen Insel kommen, ist hoch verdächtig", sagte Conte nun, "ich glaube, es gibt einen zügellosen Gebrauch von leistungsfördernden Drogen in der Karibik." Er beklagte auch, dass karibische Läufer im letzten Viertel des Jahres 2007 zu viele Trainingstests vermieden hätten.

Der Verdacht ist berechtigt, zumal der Leichtathletik-Weltverband IAAF nicht gerade als führend gilt auf dem Gebiet der strategischen Sportbetrugsverfolgung. Aber noch können die Jamaikaner Contes Einwürfe
abtun als missgünstiges Geraune einer Sportnation, die ein kleiner Nachbar bedroht. Es gibt keinen positiven Test; dass das nichts heißen muss, ist in Leichtathletik-Kreisen eher selten ein Thema. Die Jamaikaner selbst
wiederum argumentieren mit ihrem speziellen Insel-Ethos. Powell zum Beispiel verweist auf seine Erziehung, die auf ein klares Nein zu Drogen hinausgelaufen sei. "Es gibt Leute, die verzweifelt sind, und die versuchen
wirklich alles, um an die Spitze zu kommen", sagte er vergangenes Jahr in der SZ, "viele Athleten dopen, einfach um ihren Lebensunterhalt zu verdienen."

Er natürlich nicht. Und Mike Fennell, Präsident des jamaikanischen Olympischen Komitees, verweist auf regelmäßige Tests seiner Elite und sagt, alle Zweifler seien "böswillig": "Weil wir gut sind. Und
die Leute mögen es nicht, wenn wir gut sind."Wie gesagt, die kleinen Favoritenfragen sind viel angenehmer. Sie sind gut fürs Geschäft, weil sie die Spannung im vorolympischen Alltag hoch halten.

Nachdem Powell vor zwei Wochen in Rom wegen eines Krampfs in der Leiste aussteigen musste, war er selbst beunruhigt. Nach Stockholm sieht er wieder wie ein ernstzunehmener Goldkandidat aus. Dreifach-Weltmeister Tyson Gay aus den USA wiederum, der dieses Jahr schon 9,77 Sekunden rannte, testet noch seine Verfassung, nachdem er im 200-Meter-Lauf bei den US-Trials verletzt ausschied. Es wird wohl erst diesen Donnerstag bekannt, ob er am Freitag beim Grand Prix im Londoner Crystal Palace zur WM-Revanche gegen
Powell antritt " was das für Peking bedeutet? Unklar.

Usain Bolt strahlt am hellsten, auch wenn sein Trainer Glen Mills immer noch nicht entschieden hat, ob er Bolt in Peking nur über dessen Stammstrecke 200 Meter antreten lässt. Selbst in Stockholm wirkte Bolt wie
der schnellste Mann auf dem Platz. "Mein Start war nicht gut genug", sagte er und hatte recht. Beim Start handelte er sich den Rückstand ein, den er nur eingeholt hätte, wenn das Rennen über 110 Meter gegangen wäre. Für seinen 200-Meter-Einsatz am Samstag in London wiederum hat er "etwas sehr
Besonderes" versprochen, nachdem er vor zehn Tagen in 19,67 Sekunden den jamaikanischen Rekord verbessert hatte. Er ist zurzeit der schnellste aller Olympia-Favoriten.

Und der Verdächtigste.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung vom Donnerstag, dem 24. Juli 2008

author: GRR

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