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Ketogene Ernährung und Karnivore Ernährung – Eine kritische Bewertung -Teil 1 – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Ketogene Ernährung
Eine Ernährung mit viel Fett und Eiweiß aber kaum Kohlenhydraten (ketogene Ernährung) wird bei Krebspatienten, Auto- immunerkrankung, Migräne, neurodegenerativen Erkrankungen, schweren psychischen Erkrankungen, Diabetes mellitus, gestörtem Glukosemetabolismus, Epilepsie und zur Gewichtsreduktion empfohlen.
Auch unter Ausdauersportlern wird sie teilweise eingesetzt. Eine ketogene Ernährung besteht zu 60 bis 85 Prozent aus Fett, 10–30 Prozent Eiweiß und maximal 20–50 g (< 10 Prozent) Kohlenhydraten überwiegend in Form von Gemüse.
Das Verhältnis von Fett zu Eiweiß plus Kohlenhydraten beträgt 4:1 oder 3:1. Die ketogene Ernährung ist also streng kohlenhydratreduziert. Dem gegenüber spricht man bei einer Zufuhr von 50–150 g Kohlenhydraten von einer kohlenhydratreduzierten oder Low-Carb Ernährung.
In der ketogenen Ernährung dienen hochwertige Fettsäuren aus Kokosöl, Olivenöl, Weidebutter, Avocadoöl, Nussölen, MCT-Öl (Medium Chain Triglycerides), Butterschmalz, Avocado und Nüssen als Hauptenergielieferant. Viel Fett macht allerdings, wenn zu viel davon gegessen wird, auch fett. Die ketogene Ernährung ist kein Wundermittel für massiv Übergewichtige!
Viele verschiedene Krebsarten gewinnen die Energie für das Tumorwachstum durch die Vergärung von Glukose. Die dabei entstehende Milchsäure wirkt wie ein Schutzschild für den Tumor und hindert die Immunzellen daran, die Krebszellen aktiv anzugreifen. Außerdem fördert die Milchsäure die Ausbreitung des Tumors, hemmt das Selbstzerstörungsprogramm (Apoptose) und mindert damit die Wirkung von Therapien. Die Vermeidung von Kohlenhydraten ist eine Möglichkeit über die Ernährung die Krebstherapie zu unterstützen. Eine Kombination von ketogener Ernährung und Sport auch zusammen mit Intervallfasten scheint ideal. Ketonkörper können von Krebszellen praktisch nicht verwertet werden. Bei einer Krebserkrankung sollten Sie Ihre Ernährung mit dem Onkologen bzw. dem behandelnden Arzt besprechen (Gonder und Worm 2010, Gonder et al. 2019, Kämmerer et al 2012 u. 2014).
Gefördert wird die Ketogenese durch Fasten, Bewegung, Kälte und eine stark kohlenhydratreduzierte Ernährung, also immer dann, wenn ein energetischer Engpass entsteht. Insulin hemmt und Glukagon stimuliert die Ketogenese. Die Bildung von Ketonkörpern (Azeton, Acetoacetat und Beta-Hydroxybutyrat) aus Fettsäuren in der Leber ist ein physiologischer Prozess, wenn keine Kohlenhydrate (unter 50 g pro Tag) zugeführt werden oder beim Fasten. Dieser natürliche Stoffwechselweg hat den Menschen bei Nahrungsknappheit das Überleben ermöglicht. Jeder Säugling lebt in Ketose, solange er gestillt wird. Die allermeisten Zellen im Körper können Ketone sehr effizient als Energielieferanten verwerten, insbesondere von Herz- und Skelettmuskulatur, Gehirn sowie Niere. Nur Azeton spielt metabolisch keine Rolle und wird als Stoffwechsel-Endprodukt über die Atemluft ausgeschieden.
Eine ketogene Ernährung:
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wirkt entzündungshemmend,
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fördert die Mitochondrienbildung,
- senkt die Bildung von Sauerstoff- radikalen,
- fördert die Fettverbrennung,
- senkt den Blutzuckerspiegel und
- steigert die Konzentration.
Die Messung der Ketose kann im Blut, im Urin und in der Atemluft erfolgen. Die akkurateste Methode ist der Bluttest. Eine Ketose darf man aber nicht mit der Ketoazidose verwechseln, einer lebensbedrohlichen Stoffwechselentgleisung, aufgrund Insulinmangels, beim Typ-1-Diabetiker. Beim Gesunden wird ab einer gewissen Höhe von Ketonkörpern Insulin ausgeschüttet und die Bildung von Ketonkörpern gestoppt. Bei der ketogenen Ernährung kann eine Supplementierung mit Kalzium, Magnesium, Zink, Vitamin D und B-Vitaminen erforderlich sein. Ketone gibt es mittlerweile auch als Nahrungsergänzungssmittel (NEM).
Die ketogene Ernährung ist aber kein Allheilmittel. Es gibt bisher keine Erkenntnisse, ob eine dauerhafte Ketose der Gesundheit zuträglich ist. Dabei kann es zu einer Erniedrigung der Schilddrüsenhormone (T3) kommen und bei niedrigem Insulinspiegel ist die Aufnahme von Aminosäuren in die Zelle reduziert, was z. B. zu einer verminderten Bildung von Immunglobulinen führen kann. Schilddrüsenhormone sind aber wichtige Regulatoren vieler Körperfunktionen und das Gaspedal des Energiestoffwechsels. Außerdem kommt es vermehrt zur Gluconeogenese, was das Kortisol erhöht. Dies und erniedrigte Schild- drüsenhormone senken das Testosteron. Die physiologisch herbeigeführte Insulin-Resistenz kann zu erhöhtem Blutzuckerspiegel führen. Außerdem können erhöhte Cholesterinwerte auftreten.
Es scheint also nicht sinnvoll, auf Dauer im Zustand der Ketose zu verharren, sofern man nicht unter den o. g. Erkrankungen leidet. Eine dauerhafte Ketose ist im Grunde genommen eine medizinische Therapie. Immer wieder einmal in die Ketose zu gehen, kann sich lohnen, um verschiedene Energiestoffwechselwege zu trainieren (hybride Energieversorgung). Besser für den Gesunden ist eine metabolische Flexibilität mit einer Zufuhr von 50–150 g Kohlenhydraten pro Tag (Gemüse, Kartoffel, Sauerteigbrot) im Sinne einer Low-Carb Ernährung (Aderhold 2024). Unser Körper braucht ca. 80-110 g Kohlenhydrate am Tag und die muss er, wenn keine Kohlenhydrate zugeführt werden, aus Eiweiß über die Gluconeogenese herstellen. Bei hoher Trainingsbelastung im Ausdauersport kann zur Leistungsstabilisierung auch eine höhere Zufuhr erforderlich sein (Aderhold und Weigelt 2018, Aderhold 2024).
Im Überblick:
Vorteile der ketogenen Ernährung:
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Gewichtsabnahme – Der Körper verbrennt Fett als Hauptenergiequelle, was zu einer effektiven Fettverbrennung führen kann.
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Stabilisierung des Blutzuckerspiegels – Kann helfen, Blutzuckerschwankungen zu reduzieren, was besonders für Diabetiker vorteilhaft ist.
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Verbesserte mentale Klarheit und Energie – Viele berichten von besserer Konzentration und weniger Energieeinbrüchen.
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Geringeres Hungergefühl – Fette und Proteine sättigen länger als Kohlenhydrate.
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Potenzielle gesundheitliche Vorteile – Studien zeigen mögliche positive Effekte auf Epilepsie, neurodegenerative Erkrankungen und einige Krebsarten.
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Bessere Blutfettwerte – Kann das Verhältnis von HDL (gutes Cholesterin) zu LDL verbessern.
Nachteile der ketogenen Ernährung:
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Keto-Grippe – In den ersten Tagen kann es zu Kopfschmerzen, Müdigkeit und Reizbarkeit kommen, da sich der Körper umstellt.
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Eingeschränkte Lebensmittelauswahl – Viele Grundnahrungsmittel (Brot, Reis, Nudeln, Obst) sind tabu.
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Möglicher Nährstoffmangel – Durch die Reduzierung von Obst, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten kann es zu Defiziten an Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen kommen.
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Schwer langfristig durchzuhalten – Aufgrund der restriktiven Natur fällt es vielen schwer, sich dauerhaft ketogen zu ernähren.
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Mögliche Nebenwirkungen – Dazu gehören Verdauungsprobleme (Verstopfung), erhöhter Cholesterinspiegel bei manchen Personen und Mundgeruch.
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Nicht für jeden geeignet – Menschen mit bestimmten Erkrankungen (z. B. Leber- oder Nierenerkrankungen) sollten vorsichtig sein.
Die ketogene Ernährung kann sowohl die Schilddrüse als auch den Kortisolspiegel beeinflussen. Hier sind die wichtigsten Punkte:
Einfluss auf die Schilddrüse
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Senkung der Schilddrüsenhormone (T3)
– Studien zeigen, dass die ketogene Ernährung die Werte des aktiven Schilddrüsenhormons Trijodthyronin (T3) senken kann.
– Dies geschieht, weil der Körper in der Ketose den Energieverbrauch anpasst und weniger Schilddrüsenhormone benötigt.
– Ein niedriger T3-Wert bedeutet nicht automatisch eine schlechte Schilddrüsenfunktion, kann aber bei manchen zu Symptomen wie Müdigkeit, Kälteempfindlichkeit und verlangsamtem Stoffwechsel führen. -
Möglicher Jod- und Selenmangel
– Da viele ketogene Ernährungspläne wenig jodhaltige Lebensmittel (z. B. Meeresfrüchte) enthalten, kann es zu Jodmangel kommen.
– Selen ist wichtig für die Umwandlung von T4 in T3 – ein Mangel kann die Schilddrüsenfunktion zusätzlich beeinträchtigen. -
Besonders relevant für Menschen mit Schilddrüsenerkrankungen
– Personen mit Hashimoto-Thyreoiditis oder Hypothyreose sollten vorsichtig sein, da die ketogene Ernährung den Stoffwechsel weiter verlangsamen kann.
– Für einige Menschen kann eine moderate Kohlenhydratzufuhr (z. B. 50–100 g pro Tag) die bessere Wahl sein.
Einfluss auf den Kortisolspiegel (Stresshormon)
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Erhöhte Kortisolproduktion möglich
– Die Umstellung auf Ketose bedeutet für den Körper zunächst Stress, da er von Zucker- auf Fettverbrennung umschaltet.
– Dies kann zu einer kurzfristigen Erhöhung des Kortisolspiegels führen, was Schlafprobleme, Reizbarkeit und Stressgefühle verstärken kann. -
Weniger Blutzuckerschwankungen = weniger Stressreaktionen
– Langfristig kann eine ketogene Ernährung stabilere Blutzuckerwerte und weniger Insulinschwankungen bewirken, was Stressreaktionen reduzieren kann.
– Manche Menschen berichten daher über eine bessere Stressresistenz und mentale Klarheit. -
Ketose & Schlaf
– Ein zu hoher Kortisolspiegel kann den Schlaf beeinträchtigen. Einige Menschen berichten in den ersten Wochen von Schlafproblemen, die sich später normalisieren.
– Eine moderate Kohlenhydrataufnahme (z. B. am Abend) kann helfen, den Kortisolspiegel zu regulieren und besseren Schlaf zu fördern.
Fazit: Keto & Hormonhaushalt
Für gesunde Menschen kann Keto positive Effekte haben, indem es Blutzucker stabilisiert und Heißhunger reduziert.
Bei Schilddrüsenerkrankungen oder hohem Stresslevel ist Vorsicht geboten, da Keto T3 senken und Kortisol kurzfristig erhöhen kann.
Lösung: Eine individuell angepasste ketogene Ernährung mit ausreichend Mikronährstoffen und moderater Kohlenhydratzufuhr kann helfen, negative Effekte zu minimieren.
Die ketogene Ernährung kann bei verschiedenen Krankheiten sinnvoll sein, aber sie ist nicht für jeden geeignet. Hier eine Übersicht:
Sinnvoll bei:
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Epilepsie:
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Besonders bei therapieresistenter Epilepsie (vor allem bei Kindern) kann die ketogene Ernährung Anfälle reduzieren.
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Typ-2-Diabetes:
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Kann helfen, den Blutzucker- und Insulinspiegel zu stabilisieren und die Insulinresistenz zu verbessern.
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Übergewicht und Adipositas:
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Fördert die Fettverbrennung und kann zu einer effektiveren Gewichtsreduktion führen.
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Metabolisches Syndrom:
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Reduziert Risikofaktoren wie hohen Blutzucker, Bluthochdruck und schlechte Blutfettwerte.
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PCOS (Polyzystisches Ovarialsyndrom):
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Kann den Hormonhaushalt verbessern und Symptome wie Insulinresistenz und unregelmäßige Zyklen lindern.
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Neurodegenerative Erkrankungen (z. B. Alzheimer, Parkinson, ALS):
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Die ketogenen Ketone können als alternative Energiequelle für das Gehirn dienen und möglicherweise Symptome lindern.
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Krebs (in bestimmten Fällen):
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Einige Studien legen nahe, dass eine ketogene Ernährung Krebszellen aushungern könnte, da sie primär Glukose zur Energiegewinnung benötigen.
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Migräne:
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Ketogene Ernährung könnte die Häufigkeit und Intensität von Migräneanfällen reduzieren.
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Nicht sinnvoll oder potenziell gefährlich bei:
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Typ-1-Diabetes:
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Erhöht das Risiko für gefährliche Ketoazidosen.
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Leber- und Nierenerkrankungen:
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Kann die Organe belasten, da sie mehr Fett und Proteine verarbeiten müssen.
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Gallenblasenerkrankungen oder fehlende Gallenblase:
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Fettverdauung kann problematisch sein.
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Seltene Stoffwechselstörungen (z. B. Carnitin-Mangel, Pyruvat-Carboxylase-Mangel):
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Diese Erkrankungen verhindern die effektive Nutzung von Fetten zur Energiegewinnung.
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Schwangerschaft und Stillzeit:
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Der Bedarf an Kohlenhydraten ist hier höher, daher könnte eine strikte ketogene Ernährung Risiken bergen.
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Essstörungen oder Neigung dazu:
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Kann restriktives Essverhalten verstärken und zu Mangelernährung führen.
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Chronische Darmerkrankungen (z. B. Morbus Crohn, Colitis ulcerosa):
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Kann Symptome verschlechtern, da Ballaststoffe oft reduziert werden.
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Fazit: Die ketogene Ernährung kann bei gezieltem Einsatz gesundheitliche Vorteile bringen, ist aber nicht für jeden geeignet. Wer sie ausprobieren möchte, sollte sich gut informieren und idealerweise mit einem Arzt oder Ernährungsberater sprechen.
Die ketogene Ernährung ist im Grunde genommen eine medizinische Therapie und sollte mit einem Arzt abgesprochen werden.
Fortsetzung in Teil 2.
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold