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12
2017

Michael Reinsch ©Horst Milde

Johannes Herber im Gespräch: „Athleten sollten für ihre Rechte kämpfen“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0
In Washington wird an diesem Donnerstag die „Universelle Erklärung der Spielerrechte“ veröffentlicht. Die „World Players Association“, Spielergewerkschaft innerhalb des Gewerkschaftsverbands Uni Global Union, will mit der 17 Artikel umfassenden Erklärung Ansprüche auf Mitbestimmung gegenüber den Sportverbänden durchsetzen.
 
In jüngerer Zeit hatten das Internationale Olympische Komitee und der Internationale Fußball-Verband internationale Prinzipien und Menschenrechtsrichtlinien anerkannt, etwa die Richtlinien der Vereinten Nationen zu Unternehmen und Menschenrechten. Die Erklärung der Spielergewerkschaft soll es Athleten ermöglichen, aus diesen Verpflichtungen Ansprüche gegenüber den Sportorganisationen durchzusetzen.
 
Funktionäre dürften fortan nicht mehr die „Spezifika des Sports“ oder dessen Autonomie anführen, wenn das dazu führe, dass die fundamentalen Menschenrechte der Spieler verletzt würden, heißt es in der Präambel.

„Jeder Spieler hat das Recht auf ein sportliches Umfeld, das rechtmäßig verwaltet wird, frei von Korruption, Manipulation und Betrug ist und die fundamentalen Menschenrechte all jener schützt, respektiert und garantiert, die sich im Sport engagieren oder durch Sport beeinflusst sind, einschließlich der Spieler“, heißt es in Artikel 1 der Erklärung. Sie beinhaltet auch einen Anspruch auf Gleichheit vor dem Recht und Rechtsschutz. Er soll Sportlern den Zugang zu ordentlichen Gerichten ermöglichen und die Bindung an den Schiedsgerichtsweg bis hin zum Internationalen Sportschiedsgerichtshof in Lausanne lösen. Die Gewerkschaft, die nach eigenen Angaben 85000 Sportler in mehr als 60 Ländern vertritt, fordert alle Sportverbände auf, die Erklärung der Spielerrechte in ihre Regelwerke zu übernehmen. (chwb.)

An diesem Donnerstag wird erstmals eine Charta der Rechte von Sportlerinnen und Sportlern vorgestellt. Ist diese „Declaration of Player Rights“ relevant für deutsche Sportler?

Die Rechte sind universell gültig, auch in Deutschland. Unsere Mitglieder sind vorrangig Spieler, und wir wollen zeigen, wen wir vertreten. Das heißt nicht, dass wir andere Athleten ausnehmen.

Warum ist diese Deklaration nötig?

Wir sehen, dass Athleten international keinen Rechtsschutz genießen, wie ihn etwa Athleten auf nationaler Ebene haben: durch das Arbeitsrecht oder das Recht, Gewerkschaften zu gründen. Es ist an der Zeit zu definieren, dass Athleten Rechte haben und welche das sind. Die Athletenvertreter in der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und im Internationalen Olympischen Komitee haben das ebenfalls ins Gespräch gebracht.

Sie sind eine Gewerkschaft. Ist Sport Arbeit?

Absolut. Alle unsere Mitgliedsorganisationen mussten den Kampf um die Anerkennung dieses Verständnisses ausfechten, als sie sich in den siebziger und achtziger Jahren in ihren Ländern etabliert haben. Sie haben gewonnen. Die Spielergewerkschaften sind im nationalen Sport anerkannte Akteure.

Die Vorstellung, dass etwa die Teilnahme an Olympischen Spielen der Lohn ist für jahrelanges Training und für Verzicht, akzeptieren Sie nicht?

Die Olympia-Teilnahme ist etwas sehr Besonderes. Aber die Teilnahme allein wiegt nicht all die Arbeit auf, die ein Athlet leistet, um dort seine Leistung zu zeigen. Sport, wie das IOC ihn betreibt, ist ein Geschäft. Wir können nicht die Uhr zurückdrehen. Aber wir können als Gewerkschaft fordern, dass bei dem Geschäft ethische Grundsätze berücksichtigt werden. Das Privileg teilzunehmen ersetzt nicht Sicherheiten und Lohn. Die Länder, die ihre Athleten zu Olympia schicken, sind aufgefordert, dafür Sorge zu tragen. Und die Athleten sollten sich in unabhängigen Organisationen zusammenschließen und für diese Rechte kämpfen.

Das IOC weigert sich, Athleten aus seinen gigantischen Fernseheinnahmen zu bezahlen, mit dem Argument, es halte mit seiner finanziellen Unterstützung den olympischen Sport auf der ganzen Welt am Leben. Akzeptieren Sie das?

Man muss sich schon überlegen, wie man den enormen Reichtum gerechter verteilen kann, auch an die Athleten. Auch olympische Athleten sind Arbeitnehmer. Mit ihren Leistungen und mit ihren Bildern wird Geld verdient. Wann immer es Kollektivverträge gab, in den amerikanischen Ligen, in Rugby und Cricket, hat immer die Sportart davon profitiert.

Olympia hat aktuell mit dem Doping in Russland zu tun, wie Fußball und Leichtathletik steckt es in internationalen Korruptionsermittlungen. Richtet sich die Deklaration an die Athleten in diesen Verbänden?

Sicher. Aber sie richtet sich auch an die Klubs, es geht auch um Arbeitsrechte.

Sind IOC und Fifa zu mächtig? Sind sie in den falschen Händen?

Aus der Autonomie des Sports, die die Verbände für sich reklamieren, erwächst eine Verantwortung. Die Verbände können sich legitimieren, indem sie alle Betroffenen, insbesondere Athleten, in die Entscheidungen einbeziehen und mit ihnen die Rahmenbedingungen ihrer Teilnahme aushandeln. Das würde für Transparenz sorgen und die Macht eindämmen.

Reichen nicht Athletenvertretungen, wie es sie beim IOC und bei Verbänden gibt?

Diese Vertretungen sind Organe der Verbände und nicht unabhängig. Sie sind keine Gewerkschaften, die Verhandlungen führen. Die Athletenkommission der Wada ist vollständig vom Generalsekretär der Wada berufen. Die des IOC ist teilweise gewählt, teilweise berufen; ihre Mitglieder haben ein Mandat von acht Jahren, das sie zu keinerlei Rechenschaft gegenüber den Athleten verpflichtet. Die Kandidaten müssen von ihren Nationalen Olympischen Komitees abgesegnet werden. Wir glauben zudem, dass die IOC-Athletenkommission nicht die essentiellen Themen bearbeitet hat: eine Lebensgrundlage für die Athleten zu schaffen, Gesundheitsschutz, Meinungsfreiheit und eine Reform der Werberegeln, so dass Athleten aus ihren Leistungen Ertrag schöpfen können.

Stehen Sie im Wettbewerb mit den Athletenkommissionen von IOC und Wada?

Wenn diese Athleten auch das Gefühl haben, dass etwas schiefläuft, dass Athletenrechte mit Füßen getreten werden, wenn sie die Notwendigkeit sehen, die Rechte der Athleten zu formulieren, ist das grundsätzlich sehr gut. Wir sind offen, mit diesen Gruppen und dem IOC zusammenzuarbeiten. Nun haben wir einen Maßstab gesetzt. Die Verankerung in den UN-Leitprinzipien, den Menschen- und Arbeitsrechten macht diese Deklaration so stark.

Warum gibt es keine gemeinsame Erklärung?

Das IOC hat die Absicht geäußert, mit uns zusammenzuarbeiten. Wir sind bereit, auf Grundlage unserer Erklärung eine starke Charta für alle Athleten zu erstellen. Aber es muss sichergestellt sein, dass sie auch durchsetzbar und nicht nur eine Absichtserklärung ist.

Ist es von Vorteil, dass gewerkschaftlich ausgerichtete Forderungen handfest sind im Gegensatz zur Behauptung, man treibe Sport für den Frieden der Welt?

Die Charta entspringt 50 Jahren Erfahrung von Spielergewerkschaften. Da geht es knallhart um Arbeitsrechte. Im Gegensatz zu olympischen Athleten haben Spieler Arbeitsverträge. Im Kontext der Großsportereignisse haben sich kürzlich mehrere Sportverbände, darunter die Fifa und das IOC, zur Achtung von Menschen- und Arbeitsrechten bekannt. Das kommt uns entgegen. Wenn man sagt: Die Menschenrechte müssen für alle gelten, sind Athleten zentral betroffen.

Sie fordern die Unschuldsvermutung für Athleten und richten sich damit gegen die Schiedsgerichtsbarkeit des Sports bei der Doping-Bekämpfung. Zugleich wollen Sie die Schiedsgerichtsbarkeit stärken. Wie soll das funktionieren?

Das ist kein Widerspruch. Die Unschuldsvermutung ist ein Menschenrecht. Wenn sich Sportler auf ein Schiedsgericht einlassen, muss es unabhängig sein.

Genügt der Cas, das oberste Schiedsgericht des Sports, Ihren Ansprüchen?

Der Cas muss zuerst die nötigen Reformen durchlaufen, muss ein wahres, unabhängiges Schiedsgericht werden. Aufgrund seiner Struktur ist er das im Moment nicht. Im Fall Pechstein hat der Bundesgerichtshof dem Cas ein Ungleichgewicht attestiert. Außerdem muss der Cas seine Entscheidungen ebenso auf Basis der Menschenrechte treffen, und Athleten dürfen nicht daran gehindert werden, ordentliche Gerichte anzurufen.

Akzeptieren Sie die Wada?

Das müssen wir beziehungsweise die Spieler, die unsere Mitglieder vertreten, tun. Aber wir fordern, dass die Wada unabhängig werden muss. Sie muss Athleten eine stärkere Stimme geben, deren Rechte besser achten.

Ist die Entscheidung, Athleten eines ausgeschlossenen Landes unter der Flagge Olympias antreten zu lassen, in Ihrem Sinn?

Wir teilen das Prinzip, beim Athleten vom Menschen und Individuum auszugehen. Auch diese Entscheidung zeigt, dass es eine Reform geben muss. Das Doping in Russland, das Athleten in die fürchterliche Situation gebracht hat, entweder zu dopen oder ihren Sport nicht mehr ausüben zu dürfen, macht deutlich, dass es nicht ausreicht, einzelne Sportlerinnen und Sportler zu bestrafen. Die Wada muss die Möglichkeit erhalten, auch Länder zu sanktionieren.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 14. Dezember 2017

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR

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